Einige wenige Senatoren entscheiden darüber.

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Olympia Snowe wird noch viel von sich reden machen in den nächsten vier Wochen. Bei der Debatte um die Gesundheitsreform, die heute, Montag, in ihre Schlussphase geht, wird die altgediente Senatorin aus Maine so heftig umworben, als könnte sie ganz allein die Weichen stellen. Sie ist Republikanerin, aber eine aus dem moderaten Lager der Konservativen. Sie will eine Reform, aber nur, wenn sie keine staatliche Versicherung enthält, die wiederum für die Linke das Herzstück jeder Neuerung ist. Will US-Präsident Barack Obama Erfolg haben auf seiner wichtigsten Baustelle, braucht er die Frau aus dem Nordostzipfel der Vereinigten Staaten.

Allein mit der Personalie Snowe wäre umrissen, was für ein schwieriger Drahtseilakt die letzte Etappe zum Ziel noch wird. Auf seine eigenen Truppen kann sich Obama nur bedingt verlassen. Es sind drei, vier demokratische Senatoren aus der Mitte des politischen Spektrums, die schon jetzt vor zu weitgehenden Schritten warnen und sich alles offen lassen. Der Volksmund nennt sie Swing-Senatoren, nach den "Swing States" , in denen das Pendel bei Wahlen einmal nach links und einmal nach rechts ausschlägt.

Angeführt werden sie von Ben Nelson, einem früheren Versicherungsmakler aus dem Präriestaat Nebraska. Mit Joe Lieberman, der 2000 Kandidat für die Vizepräsidentschaft war, kommt ein Mann hinzu, der zwar oft mit den Demokraten stimmt, sich aber inzwischen als Unabhängiger versteht. Was den Skeptikern in Obamas Reihen missfällt, ist die Möglichkeit einer staatlichen Krankenversicherung ("public option" ), die gegründet werden soll, um den Konkurrenzdruck auf private Anbieter zu erhöhen. Lieberman charakterisiert sie polemisch als ersten Schritt in den finanziellen Ruin der USA.

Kein Mangel an Zündstoff

An Zündstoff mangelt es also nicht, wenn der Diskurs am Montag beginnt, dem ersten Sitzungstag nach den Thanksgiving-Ferien. Soll der Gesetzentwurf, inzwischen auf über 2000 Seiten angewachsen, die Kammer passieren, muss er die Zustimmung von 60 der 100 Abgeordneten finden. Erst dann kann zur allerletzten Runde geläutet werden. Im Erfolgsfall wird ein gemischter Ausschuss einberufen, um die Senatsnovelle mit dem bereits beschlossenen Text des Repräsentantenhauses zu einem gemeinsamen Vorschlag zu vereinen. Geht es nach dem Fahrplan des Weißen Hauses, soll bis Weihnachten alles unter Dach und Fach sein - eine Frist, die sich nach Lage der Dinge nur schwer einhalten lässt.

Dabei sind wichtige Eckpfeiler unstrittig. Im Kern geht es darum, auch jene 47 Millionen Amerikaner abzusichern, die derzeit keine Krankenversicherung haben. In einem Zug wird dies nicht geschehen, so viel ist klar. Vielmehr dürften nach Schätzungen des Kongresses 36 Millionen Nichtversicherte nach und nach, im Laufe von zehn Jahren, Schutz erlangen.

Dazu soll eine Börse entstehen, an der jeder zu möglichst günstigen Konditionen eine Police kaufen kann. Einkommensschwache erhalten dabei Zuschüsse vom Staat. Unternehmen, die pro Jahr insgesamt mehr als eine halbe Million Dollar an Löhnen überweisen, werden verpflichtet, ihre Beschäftigten zu versichern. Tun sie es nicht, müssen sie empfindliche Strafen bezahlen.

Die Versicherungen ihrerseits müssen eine heute weit verbreitete Praxis beenden, indem sie niemanden mehr wegen seiner medizinischen Vorgeschichte Schutz verweigern dürfen. Das Tauziehen, es konzentriert sich in erster Linie auf die "public option" - eine Glaubensfrage, bei der es nicht nur um Sachargumente geht, sondern mindestens genauso um ideologische Fronten.

Bundesstaaten entscheiden

Für Befürworter eines starken, aktiven Staates ist der Bruch mit der reinen Marktlehre à la Ronald Reagan unerlässliches Signal einer Trendwende. Ihre Gegner skizzieren die"public option" als Vehikel, das Privatkonzerne über kurz oder lang in die zweite Reihe abdrängt und zu einer medizinischen Mangelwirtschaft führt, ähnlich wie in Großbritannien mit seinem aus Steuern finanzierten Gesundheitssystem. Dass am Ende ein Kompromiss stehen wird, ist so gut wie sicher. Jeder der 50 Bundesstaaten, so der angepeilte Mittelweg, soll selbst entscheiden, ob er die staatliche Option übernimmt oder nicht. (Frank Hermann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2009)