Amir Taheri: "Natürlich hat Bush einige Dummheiten begangen, aber nicht alles war so töricht wie Obama es die Öffentlichkeit glauben macht."

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Amir Taheri, bis 1979 Chefredakteur der iranischen Tageszeitung Keyhan, gehört zu den umtriebigsten konservativen Kommentatoren der Lage im Iran dreißig Jahre nach der islamischen Revolution. Und zu den umstrittensten. 2006 hatte er behauptet, Juden und Christen im Iran müssten fortan farbige Kennzeichnungen ähnlich den NS-Judensternen am Revers tragen. Kurz darauf wurde die Meldung widerrufen. Am 1. Dezember spricht Taheri auf Einladung des Wiener Bündnisses Stop The Bomb über die "Voraussetzungen für einen Regime Change im Iran". Trotz Jetlags – der 67-Jährige war am Vortag aus Washington nach Wien angereist – traf er sich mit derStandard.at in einem Wiener Innenstadtcafé auf eine Melange.

derStandard.at: Herr Taheri, wie war das mit den Judensternen?

Amir Taheri: Das war eine Diskussion, weil das iranische Parlament im Frühling 2006 ein Gesetz über islamische Bekleidungsvorschriften verabschiedete. Eine der Debatten im kulturellen Unterausschuss drehte sich um die Frage, wie in diesem Bezug mit Nicht-Muslimen umgegangen werden sollte. Leider wurde es in den Medien so verstanden, als wäre dieses Gesetz bereits beschlossen worden, was aber nicht der Fall war.

derStandard.at: In einer Rede in Berlin vergangenen Frühling nannten Sie Deutschland einen "Kollaborateur" des iranischen Regimes. Andererseits zählt Deutschland zu den engsten Verbündeten Israels in Europa. Kann man sowohl mit Teheran als auch mit Jerusalem verbündet sein?

Amir Taheri: Man sieht ja, dass das geht. Es funktioniert, wenn man es vermeidet Themen anzusprechen, die zwischen dem Iran und Israel stehen, zum Beispiel die nukleare Frage oder die Unterstützung von Hisbollah und Hamas (libanesische bzw. palästinensische Terrorgruppen, Anm.). Aber diese Freundschaft gelangt natürlich dann an ihre Grenzen, wenn beide Seiten mehr wollen als bloße Lippenbekenntnisse. Dann steht man als Verlierer da, der zwischen den Stühlen sitzt. Deutschland mag wirtschaftlich von seiner Iran-Politik profitiert haben, es hat aber sowohl in Israel als auch im Iran viel an Ansehen in der Bevölkerung verloren. Aber man sieht auch, dass sich Deutschland seit der Wahl verändert hat und Kanzlerin Merkel eine schärfere Position gegenüber Teheran einnimmt.

derStandard.at: In ihrem jüngst erschienenen Buch "The Persian Night" (Auszüge daraus sind hier nachzulesen) schreiben Sie, dass das Regime bislang mittels Repression verhindert hat, dass sich eine oppositionelle Führungsfigur, Sie nennen sie "Somebody", herausgebildet hat. War Präsidentschaftskandidat Mir-Hossain Moussavi nicht schon sehr nahe dran, so ein "Somebody" zu sein?

Amir Taheri: Nein, ich glaube nicht. Moussavi vertritt nur einen Flügel des Regimes. Er spielt zwar eine sehr nützliche Rolle, aber ich glaube nicht dass er einen neuen, veränderten Iran verkörpern kann. Dazu ist er zu tief im Khomeini-System verwurzelt. Moussavi war mein Schulkamerad und er war schon als Kind fanatisch davon überzeugt, dass der Islam die ganze Welt erobern müsste. Ich zum Beispiel glaube an Religionsfreiheit, Moussavi nicht. Für ihn ist der Islam die einzig wahre Religion. Das ist aber, soweit ich das überblicke, nicht der Weg, den sich die Mehrheit der Iraner wünscht, die lieber in der modernen Zeit lebt und nicht von islamischen Eroberungen träumt. Wenn es hoch kommt, ist Moussavi mit Leuten wie Michail Gorbatschow oder Alexander Dubcek (Reformkommunist in der CSSR und Schlüsselfigur des "Prager Frühlings, Anm.) vergleichbar, also Leuten, die zwar mit der dominanten Ideologie gebrochen haben, sich aber nicht ganz davon befreien konnten. Trotzdem ist Moussavi nützlich, weil er die herrschende Elite gespalten hat und ihre Verwundbarkeit aufgezeigt hat.

derStandard.at: Warum sind die Gewerkschaften den aufständischen Studenten nach der gefälschten Präsidentenwahl im Sommer nicht zur Seite gesprungen, etwa mit einem Generalstreik?

Amir Taheri: Die einfache Antwort ist, dass sie niemand gefragt hat. Aber das ist völlig natürlich, das war am Anfang auch in Polen und der Tschechoslowakei so. Ohne die Situation in diesen Ländern 1989 mit der im Iran heute zu vergleichen, aber auch dort sind die Intellektuellen und die Arbeiter bis kurz vor der Revolution getrennte Wege gegangen. Worauf es ankommt ist, dass es derzeit sehr starke unabhängige Gewerkschaften gibt, die 2,5 Millionen Mitglieder zählen. Hunderte Gewerkschafter sitzen im Gefängnis, trotzdem gibt es fast täglich Streiks in den verschiedenen Branchen und Regionen des Iran. Eines Tages werden die Gewerkschafter sich den Protesten anschließen, da bin ich mir sicher. Die Revolution gegen den Schah brauchte 18 Monate, die jetzige Revolution dauert erst ein halbes Jahr. Wir stehen also noch am Anfang.

derStandard.at: Sie haben den Iran 1979 verlassen. Woher wollen Sie wissen, wie es in Ihrer Heimat zugeht?

Amir Taheri: Ich war seit 1982 nicht mehr im Iran, weil es für mich durch meinen Beruf als Journalist immer gefährlicher dort wurde. Das Regime betrachtet jeden, der ihm nicht wohlgesonnen ist, als Feind. Ich war lange Zeit der einzige iranische Journalist, der im Ausland über die Situation dort schrieb. Nachdem ich eine Khomeini-Biographie veröffentlich hatte, wurde ich endgültig zur Persona non Grata. Ich habe aber noch viele Verwandte, Freunde und berufliche Kontakte aus meiner Zeit als Chefredakteur von "Keyhan", der wichtigsten iranischen Zeitung. Ich treffe jedes Jahr Iraner, die zum Beispiel nach Mekka oder Kerbala (wichtiges schiitisches Zentrum im Irak, Anm.) pilgern. Und man darf auch nicht vergessen, dass der Iran keine geschlossene Gesellschaft wie etwa die Sowjetunion oder der Irak und Saddam Hussein es war. Ich befinde mich zwar physisch nicht im Iran, lebe aber emotional und intellektuell trotzdem noch dort (lacht).

derStandard.at: Sie beschuldigen US-Präsident Barack Obama, das Prinzip der Stabilität über jenes der Demokratie in den arabischen und muslimischen Ländern zu stellen. Nun bewirken die Drohnenangriffe der US-Luftwaffe auf Ziele in Pakistan aber weder das eine noch das andere, oder?

Amir Taheri: Das ist genau das Problem. Als Obama Präsident wurde hatte er nur ein Ziel, nämlich genau das Gegenteil dessen zu tun, was Bush tat. Natürlich hat Bush einige Dummheiten begangen, aber nicht alles war so töricht wie Obama es die Öffentlichkeit glauben macht. Bush hat zum Beispiel eine revolutionäre Haltung im Nahen Osten eingenommen und so die USA in eine Anti-Status-Quo-Macht umgewandelt. Er hat Syrien aus dem Libanon vertrieben, die Libyer zu einem Politikwechsel gezwungen, Mubarak in Ägypten zu Zugeständnissen gebracht. Bush stand im Nahen Osten für Veränderung, Obama hat das alles gestoppt. Er hat versucht, die von Bush installierten Politiker abzusägen, zum Beispiel Karzai in Afghanistan. Das hat nicht funktioniert, weil die USA keine Wahl haben als Karzai zu halten.

Und jetzt, wo Obama mit diesen Versuchen gescheitert ist, kehrt er wieder zu den alten Verbündeten zurück. Das hat natürlich zu großer Verwirrung und Unsicherheit geführt, weil die USA unter Bush demokratische Bewegungen unterstützt haben und Obama das eben nicht macht. Obama hat etwa peinlich genau darauf geachtet, nicht auch nur ein Wort der Bestärkung in Richtung der iranischen Reformer zu sagen. Ein Jahr von Obamas Amtszeit ist schon vorbei, er hat nur mehr ein Jahr, seine Politik zu stabilisieren, weil danach der Wahlzirkus in den USA wieder losgeht.

derStandard.at: Obama vertritt Ihrem Kommentar in der Londoner Times zufolge die Ansicht, Araber und Muslime seien noch nicht bereit für Demokratie und wollten sie auch gar nicht. Wie meinen Sie das?

Amir Taheri: Es gibt das Klischee, Demokratie könnte nicht mit Gewalt erzwungen werden. Natürlich ist das nicht der beste Weg, aber manchmal können die Elemente, die Demokratie verhindern, nur mit militärischen Mitteln beseitigt werden. Wie hätte man ohne Gewalt Hitler zur Strecke und Demokratie nach Deutschland bringen können? Oder in Afghanistan: wie hätte man Mullah Omar von der Macht vertreiben können ohne den Einsatz von Gewalt?

derStandard.at: Von einer Demokratie ist Afghanistan aber gerade durch Präsident Karzai noch weit entfernt.

Amir Taheri: Man weiß nicht, ob sich Afghanistan irgendwann in eine Demokratie verwandeln wird, aber ohne Beseitigung des Taliban-Regimes gäbe es nicht einmal die wichtigste Voraussetzung dafür. Die USA haben in Deutschland und Japan auch nicht durch Gewalt die Demokratie eingeführt, aber sie haben den Boden dafür bereitet. Es ist wie beim Schwimmen, niemand ist bereit für Demokratie, solange man es nicht versucht.

derStandard.at: Glauben Sie, dass direkte Gespräche zwischen den Präsidenten der USA und des Irans dem Frieden und der Demokratie dienlich sein könnten?

Amir Taheri: Miteinander zu sprechen ist immer nützlich. Am Ende geht es doch um den Kampf zwischen Amerika und dem Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Entweder wir bekommen einen US-dominierten Nahen Osten inklusive eines gewandelten Iran. Oder aber einen iranisch beherrschten Nahen Osten, wo die USA keinen Platz mehr haben. Die dritte Möglichkeit wäre ein Vertrag nach Vorbild von Jalta (Stadt auf der Krim, in der die Aufteilung Europas nach dem Zweiten Weltkriegs vereinbart wurde, Anm.), wo beide Seiten über Einflusssphären verfügen. Es muss unbedingt zu direkten Gesprächen kommen, spätestens nach einem Krieg muss man ohnehin miteinander reden. Und um einen Krieg zu verhindern erst recht. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 1.12.2009)