Für Amir Kassaei muss sich die Werbebranche grundlegend verändern und ganzheitlicher denken - "sonst haben wir keine Zukunft".

Foto: derStandard.at/Peherstorfer

Amir Kassaei, der von Wien auszog, um die deutsche Werbewelt zu revolutionieren, kehrt teilweise nach Österreich zurück - als Gastprofessor an der Fachhochschule Salzburg und mit einer Niederlassung der DDB in Wien, die im ersten Quartal 2010 eröffnen soll. Der österreichische Markt sei weniger eingefahren und "kulturell anders" als der deutsche, sagt er im derStandard.at-Interview.

Die Werbefirma der Zukunft müsse "das Beste aus der Unternehmensberatung mit dem Besten aus der kreativen Welt verbinden", statt nur Reklame zu machen, sagt Kassaei. Wer heute in die Werbung gehe, der müsse die Veränderung lieben, denn das Internet sei dabei, die Branche auf den Kopf zu stellen. Die Fragen stellte Markus Peherstorfer.

derStandard.at: Der Pitch um den Etat der Erste Bank ist entschieden, DDB ist leer ausgegangen. Hat das irgendwelche Auswirkungen auf das geplante Büro in Wien?

Kassaei: Nein. Es wäre schön gewesen, wenn wir zum Zug gekommen wären, aber das hat nichts mit der Entscheidung zu tun, ob wir ein Büro in Wien aufmachen oder nicht. Wir werden das machen, weil wir uns einfach vom österreichischen Markt viel versprechen, weil wir glauben, dass wir ein Angebot haben, das es in der Art und Weise nicht gibt.

derStandard.at: Wann soll es so weit sein?

Kassaei: Im Laufe des ersten Quartals 2010 wird es losgehen. Wir führen jetzt gerade Gespräche mit den entscheidenden Leuten, wir rekrutieren gerade die Truppe zusammen.

derStandard.at: Mit wie vielen Mitarbeitern werden Sie starten?

Kassaei: 20 bis 30 am Anfang.

derStandard.at: Wissen Sie schon, wer die Niederlassung führen wird?

Kassaei: Eine Ahnung haben wir - es ist noch nicht so offiziell. Wir werden auf jeden Fall, was den Geschäftsführerpart anbelangt, einen Österreicher haben, weil wir glauben, dass ein deutscher Geschäftsführer nicht die Feinheiten des österreichischen Marktes kennt. Die restlichen Führungskräfte suchen wir gerade auch noch zusammen.

derStandard.at: Welche Unternehmen werden Sie von Wien aus betreuen, abgesehen von IKEA, wo DDB den Etat für Österreich hat?

Kassaei: Wir haben ja noch eine Agentur in Österreich, das wissen ja wenige, die CCP in Österreich ist eine Tochter von DDB. Da betreuen wir zum Beispiel Henkel, da ist McDonald's drin. Aber es gibt genug Anfragen auch aus dem österreichischen Markt, seien es Wettbewerbspräsentationen oder Kunden, die sagen, sie wollen direkt mit uns arbeiten. Das macht schon Sinn. Das wird jetzt nicht so eine Aktion werden, wo man das probiert und dann wieder lässt, sondern wenn wir kommen, dann bleiben wir auch.

derStandard.at: Was macht Österreich für Sie als Werbemarkt interessant?

Kassaei: Erstens ist Österreich immer noch die Drehscheibe Richtung Osteuropa, und wenn man Osteuropa als Wirtschaftsraum ernst nimmt, muss man in Österreich vertreten sein. Zweitens glaube ich, dass man in Österreich auf Grund der Größe des Landes - wenn man nicht allein über Kommunikation nachdenkt, sondern über die nächste Stufe der Kommunikation, die uns ja beschäftigt, nämlich hinzugehen zum Marketing und zu Business-Lösungen - einen dankbareren Boden betritt als Deutschland, wo man qua System und qua Größe viel zu eingefahren ist.

derStandard.at: Gibt es abgesehen von der Marktgröße Unterschiede zwischen der Werbung in Deutschland und in Österreich?

Kassaei: Definitiv. Die deutsche Werbung ist kulturell anders - man merkt schon, das ist nicht das gleiche Volk. Wobei ich sagen muss, dass die Qualität der kreativen Werbung extrem aufgeholt hat in den letzten zehn Jahren. Das, was ich erlebt habe, als in noch in österreichischen Werbeagenturen gearbeitet habe, ist im Vergleich zu heute wie Tag und Nacht. Österreich muss sich vor niemandem verstecken, aber ich glaube schon, dass man immer noch Potenzial nach oben hat.

derStandard.at: Was sind die kulturellen Unterschiede in der Werbung zwischen den beiden Ländern?

Kassaei: Wir sind subversiver, wir Österreicher. Wir sind lässiger, wir nehmen uns nicht wichtiger, als wir sind. Wir sind aber trotzdem in allem stolz. Wir leben auch anders, unser Begriff von Glück und Lebensqualität ist ein anderer als ein deutscher. Die Deutschen funktionieren - das ist nichts Negatives, die haben dadurch auch ihre Vorteile, aber wir wissen, glaube ich, besser zu leben als die Deutschen.

derStandard.at: Sie starten jetzt mitten in einer Rezession mit einem Tochterunternehmen - wie wirkt sich die Krise derzeit auf die Werbebranche aus?

Kassaei: Ich glaube nicht, dass es eine Wirtschafts- und Finanzkrise alleine ist, sondern eine Systemkrise. Da werden einige Branchen in den nächsten Jahren massive Probleme kriegen - Medien zum Beispiel, aber auch die Werbebranche, die ja von den Massenmedien abhängig ist. Und vor diesem Hintergrund ist so eine Krise auch eine spannende Zeit, um bestimmte Dinge, die so lange eingefahren sind, in Frage zu stellen, und auch zu versuchen, mit Mut und Konsequenz neue Modelle auszuprobieren. Das müssen wir tun als Marktteilnehmer im Bereich Kommunikationsdienstleistung, sonst haben wir keine Zukunft, das ist meine feste Überzeugung.

derStandard.at: Sie sagen, die Werbung darf nicht nur Reklame machen, sondern muss ganzheitlich denken. Was meinen Sie damit?

Kassaei: Wir merken in den letzten Jahren vehement, dass die Art und Weise der Kreativität, die wir eingesetzt haben, nämlich ein bestehendes Produkt mit einer Werbeidee zu versehen und qua Massenmedien dafür Verbraucher zu finden, nicht mehr funktioniert. Die Leute wollen nicht mehr, dass irgendjemand entscheidet, was gut oder schlecht ist - sie sollen selber entscheiden. Das hat auch mit der Etablierung des Internet zu tun, weil ich in Echtzeit Informationen über jedes Produkt und jede Marke kriegen kann und weil ich von meinen Freunden und Bekannten Tipps und Rezensionen kriege, die ich mehr wertschätze, als wenn das von einer Autorität oder einer Marke kommt.

Wenn man das zusammennimmt, muss das Geschäftsmodell der Zukunft eher ein Lösungsanbieter sein und weniger ein Werbeideenproduzent. Und da versuchen wir halt, das Beste aus der Unternehmensberatung mit dem Besten aus der kreativen Welt zu verbinden. Wir wollen die Analyse über Märkte und Unternehmen haben, gepaart mit dem Wissen über das, was die Menschen im Leben beschäftigt, was sie für Bedürfnisse haben. Und das verbinden mit einer kreativen Power. Wir werden jetzt nicht den Anspruch haben, das Auto neu zu erfinden. Aber wir könnten Inspirationen geben, damit man Produkte relevanter macht, damit sie einen wahren Nutzen bringen. Dann vermarktet sich so ein Produkt auch einfacher.

derStandard.at: Social Media sind in aller Munde, Sie selbst sind sehr aktiv auf Twitter - was bedeuten diese Kanäle für die Werbung?

Kassaei: Ich sehe diese Trends, diese Hypes im Internet weniger als kleine Kapitel, sondern ich versuche, das gesamte Thema "Digital" anzusehen, und zwar nicht als Medium. Für mich ist Digital die neue Infrastruktur der Welt. Wenn das stimmt, dann wird sich die Welt von Grund auf verändern: wie ich mich informiere, wie ich konsumiere, wie ich Freundschaften pflege, wie ich durchs Leben marschiere, welche Wünsche und Bedürfnisse sich daraus ergeben und so weiter. Aber da ist auch die Gesetzgebung noch nicht da - was das Thema Datensicherheit anbelangt, oder wo Redaktion und wo Kommerz anfängt. Das sind die Themen, die dann wahrscheinlich als Konsequenz kommen werden.

derStandard.at: Sie haben im abgelaufenen Jahr versucht, im Vorstand des deutschen Art Directors Club einiges in diese Richtung in Bewegung zu bringen - und letztlich das Handtuch geworfen. Wie sehen Sie dieses Kapitel rückblickend?

Kassaei: Ich bin ja mit einem konkreten Programm angetreten, wir haben sehr viele Punkte dieses Programms umgesetzt. Allein, dass der neue Vorstandssprecher des ADC nicht mehr ein Werber ist, sondern Designer, sagt ja, dass dieser Club sich öffnet. Wir haben die Vorstandsstruktur geändert, indem wir gesagt haben, es gibt neben den regionalen Sektionsvorständen jetzt Fachvorstände. Wir haben den Wettbewerb auf den Kopf gestellt und zeitgemäßer gemacht, wir haben den Nachwuchsbereich auf den Kopf gestellt.

Ich bin aber aus zweierlei Gründen daran gescheitert: Ich bin als Persönlichkeit kein Funktionär, also nicht diplomatisch genug für so einen Posten - und ich habe den Leuten Angst gemacht, weil die Leute eben grundsätzlich gewisse Reaktanzen haben, wenn etwas gravierend Neues daherkommt. Und das habe ich unterschätzt. So bin ich mit einem weinenden Auge und einem lachenden Auge raus. Und es war eine gute Erfahrung fürs Leben, was man kann und was man eben nicht kann.

derStandard.at: Jetzt versuchen Sie sich als Gastprofessor - was interessiert Sie an der Lehrtätigkeit?

Kassaei: Das mache ich ja länger schon, ich bin in Deutschland an verschiedenen Institutionen als Dozent unterwegs. Was mich treibt, ist einfach, dass ich glaube, dass wir alle, die wir in diesem Job ein gewisses Standing erreicht haben, eine Verantwortung haben, den Weg zu ebnen für die, die jetzt nachkommen. Und es macht Spaß, mit den jungen Leuten zu tun zu haben. Das hält jung - ich bin zwar nur 41, aber in meiner Branche gefühlt ein Rentner - und man lernt auch selber sehr viel.

derStandard.at: Wieso ist es gerade die Fachhochschule Salzburg geworden?

Kassaei: Gute Frage - Zufall zuerst, die richtigen Leute kennen gelernt. Und dann haben wir ein Jahr lang miteinander diskutiert und uns inhaltlich gegenseitig herausgefordert. Und es hat sich halt herausgestellt, dass die handelnden Personen ähnlich ticken, ähnliche Trends erkennen, einen ähnlichen Anspruch haben und auch ähnlich mutig sind, auszuprobieren, was passiert, wenn wir das durchziehen. Wie die FH hier alles angeht, die jetzigen Lehrprogramme, das finde ich vorbildhaft. Und bevor ich das in Deutschland mache, mache ich es natürlich für meine Heimat, klar. Am Ende bin ich schon Österreicher.

derStandard.at: Was raten Sie den jungen Menschen, die Sie hier unterrichten werden und die sich für einen Job in der Werbung interessieren? Welche Tipps geben Sie ihnen mit auf den Weg?

Kassaei: Grundsätzlich ist der allererste Tipp, egal was man macht im Leben: Man muss es lieben. Denn wenn man es liebt, macht man es automatisch gerne und sieht es auch nicht als Beruf oder als etwas Nerviges. Im Bereich Kommunikation oder Werbung muss man sich, wenn man jetzt Anfang 20 ist, wirklich immer vor Augen halten: Nicht der Status quo ist das, was für mich passieren wird, sondern die Veränderungen sind das, was eigentlich diese Branche spannend macht. Da einfach offen zu bleiben und immer den Anspruch haben, einen Schritt weiter zu gehen, auch grundsätzliche Sachen in Frage zu stellen, einen eigenen Weg zu finden.

derStandard.at: Wovor würden Sie warnen?

Kassaei: Irgendwelchen komischen Vorbildern hinterherzuschauen oder etwas, was bereits passiert ist, als Maß zu nehmen. Sondern: Sich selber die Frage stellen, was ist mein persönlicher Anspruch, meine persönliche Messlatte, was will ich denn in meinem Berufsleben erreichen? Und dass sie nicht hinter Karriere oder hinter Geld her sind - aber das hat nicht nur mit der Werbung zu tun. Ich glaube, wenn man den Anspruch hat, immer zu versuchen, wohin zu kommen und was zum Besseren zu verändern, wenn man sich selber weiterentwickelt, kommt alles andere automatisch. Wenn man mit sich selber im Reinen ist. (derStandard.at, 2.12.2009)