Rezepte gegen überfüllte Unis gibt es viele: Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren oder Knock-Out-Prüfungen. Da diese Maßnahmen bisher in Österreich keine uneingeschränkte Zustimmung erfahren, versucht man mit neuen Ideen der Lage Herr zu werden. Letzte Woche ließ der Rat für Forschung und Technologieentwicklung mit einer Empfehlung aufhorchen, die möglicherweise wirklich umgesetzt werden könnte. Anstatt auf Universitätsebene die Studierendenzahl durch Knock-out-Prüfungen zu verkleinern, soll den Jugendlichen schon wesentlich früher klar gemacht werden, welche Berufsbilder und Studienrichtungen für sie in Frage kommen. Eine verpflichtende "wirtschaftspsychologische Berufsberatung" schon in der AHS-Oberstufe, würden laut Knut Consemüller, Vorsitzender des Forschungsrates, einen Teil der Uni-Misere lösen.

"Schule in Leistungsgedanken verbohrt"

Othmar Hill, Wirtschaftspsychologe und Gründer von Hill International, sieht die Situation ähnlich: "Mit der Hälfte der 34 Millionen, die Hahn jetzt bereitgestellt hat, könnte man die Misere beseitigen, wenn man sie in professionelle Berufs- und Schullaufbahnberatung investiert." Derzeit arbeitet er für den Forschungsrat am Konzept der "Neigungs- und Kompetenzanalysen", das dann auch dem Unterrichtsministerium vorgelegt werden sollen.

Berufliche Eignung wird vor allem durch Neigungen und weniger durch Leistungsfähigkeit definiert. "Man soll in der Schule die Berufsneigung und nicht die Eignung feststellen. Hier offenbart sich schon ein grundlegendes Problem: Die Schule ist offensichtlich so in den Leistungsgedanken verbohrt, dass man die Neigungen nicht sieht."

Verpatztes Semester kostet 20.000 Euro

Durchgeführt werden sollen die angedachten Analysen und darauf aufbauenden Beratungen in der AHS-Oberstufe bei Jugendlichen ab 16 Jahren. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Lebensinteressen eines Menschens zwischen dem 15 und 16 Lebensjahr ausgereift sind. Sie bleiben stabil bis an das Lebensende. Ab diesem Zeitpunkt kann man Berufsberatung machen. Die findet allerdings nicht statt. Es gibt nur eine Fülle an Informationen, die Jugendlichen laufen durch die Berufsmessen und sammeln Prospekte, die sie später in den Papierkorb schmeißen, weil sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen", sagt Hill.

Die flächendeckende Einführung solcher Tests und Beratungen würde sich vor allem im Hinblick auf die hohen Drop-Out-Raten während des Studiums für viele Jugendliche und auch für den Staat rechnen. Circa 200 Euro pro Person muss man dafür bezahlen. "Ein verpatztes Semester kostet 20.000 Euro. 6.400 Euro kostet es den Staat, und 12.000 bis 14.000 Euro verliert man selbst, weil man später zu arbeiten anfängt. Das ist eine irre Verschwendung", argumentiert Hill. "Das Durchimpfen der Bevölkerung mit so einem Beratungssystem steht in keinem Verhältnis zu dem Zugangswirrwarr, das wir jetzt an den Universitäten haben."

Drop-Out-Versicherung für diejenigen, die sich weigern

Hill geht noch einen Schritt weiter und nimmt die Jugendlichen und ihre Eltern in die Pflicht: "Wer diese Kompetenzanalysen nicht macht, soll eine Drop-Out-Versicherung von 3.000 Euro im Jahr zahlen und das Risiko selbst tragen. Wer sich hingegen daran orientiert, studiert gratis, weil er das Richtige studiert."

Mit den herkömmlichen Knock-Out-Prüfungen an den Universitäten hätten solche Analysen nichts gemeinsam. "Wissenstests sind ein Blödsinn, weil das Wissen soll ich ja während des Studiums erwerben. Es geht um die Interessen der Menschen", so Hill. Mithilfe von Interessens- und Kompetenz-Analysen soll das geeignete Berufsbild gefunden werden. Wirtschaftliche Faktoren dürften bei der Berufswahl nicht im Vordergrund stehen: "Es geht nur um den Menschen. Wenn sich alle für Philosophie interessieren, dann sollen alle Philosophie studieren." Die derzeit eingeschlagene Richtung, sei die falsche: "Zugangsbeschränkungen sind Blödsinn. Man braucht Zugangsförderungen"

"Auswegsszenario" aus Uni-Misere

Dass sich 60 Prozent der Studienanfänger derzeit hauptsächlich für 10 von 400 Studienrichtungen entscheiden würden, hätte eben auch einen Grund. "Das liegt in hohem Maß an der Unwissenheit", glaubt Consemüller. Familien wüssten zwar oft über die Interessen ihrer Kinder Bescheid, aber nur aus einer sehr subjektiven Sicht. "Das erleichtert den Entscheidungsnotstand nicht. Es gehört eine flächendeckende wirtschaftspsychologische Beratung für die ganze junge Bevölkerung vorgeschrieben. Die meisten Menschen kennen den Arbeitsmarkt nicht. Deshalb gehen sie auf Nummer sicher und studieren Jus, Medizin oder Wirtschaft", sagt Hill.

Bisher gibt es in Finnland und Kanada flächendeckende Überprüfungen der Berufsneigung. In Österreich ist man noch nicht so weit. "Offensichtlich sind die Politiker sehr schlecht beraten. Es wird sehr viel herumgeeiert, obwohl diese Sache doch eigentlich so klar ist", wundert sich Hill. "Es ist wirklich ein Auswegsszenario, das man gerade jetzt dringend brauchen würde." (Teresa Eder/derStandard.at, 04.12.2009)