Paul Lovens hält vom Fortschrittsdogma der Moderne nicht allzu viel, er mag Kontinuität

Foto: Walter Deixler

Paul Lovens? Da liegt doch schon lange eine Frage auf der Zunge: Ob denn die Tendenz des deutschen Schlagzeugers zu langjährigen Kollaborationen in Verbindung zur Angewohnheit steht, seit 1966 seine Konzerte in den gleichen Schuhen zu bestreiten? "Langjährige Partnertreue ist eine Herzensangelegenheit", differenziert Lovens. "Das Tragen derselben Schuhe dagegen hat einerseits einen praktischen Grund, so wie man auch immer dasselbe Gebiss benützt. Andererseits auch ein wenig Magie, wie z. B. das Tragen eines Eherings."

Wie auch immer: Paul Lovens gehört zu den treuen Seelen der europäischen Improvisationsszene, in deren Kontext er seit den frühen 1970ern - vor allem im seit 39 Jahren bestehenden Trio mit Pianist Alexander von Schlippenbach und Saxofonist Evan Parker - seine eigene perkussionistische Signatur entwickelt hat. Der Position eines Derek Bailey oder Vinko Globokar kann der aus Aachen stammende Musiker, der im Juni seinen 60er feierte, dementsprechend wenig abgewinnen. Galt bzw. gilt doch für diese Improvisatoren die Devise: Neue Ideen bedingen neue Partner. Lovens: "Offensichtlich machen Globokar und Bailey den 'Überraschungseffekt' vor allem von anderen abhängig. Geht es denn um den? Wie wär's mit guter Musik? Fehlen ihnen die Ideen?"
Singende Säge

Womit Paul Lovens so nebenbei auch demonstriert, dass er mit dem Fortschrittsdogma der Moderne nicht viel am Hut hat - obwohl er mit seiner Musik, in der er stilistische Anspielungen ausklammert, stattdessen abstrakte, in ihrer luftigen Vielfärbigkeit unverwechselbare Klanggefüge entwickelt, dafür zu stehen scheint. "Es gibt Witze, die ich x-mal erzählen und hören könnte, und immer noch würde ich darüber lachen", so Lovens in Bezug auf die in seinen Konzerten beinahe schon obligate Einlage an der singenden Säge.

Live setzt Lovens übrigens nicht nur in der Beschuhung auf Kontinuität: Seine seit vielen Jahren konstante Arbeitskleidung - schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Krawatte - sieht er als Zitat des blinden Filmvorführers Alfredo aus Giuseppe Tarnatores Cinema Paradiso, der den jungen Toto in das Universum der Schwarzweißfotografie einführt. Nachsatz Paul Lovens: "Übrigens habe ich mir Cinema Paradiso noch einmal angeschaut: Ich habe Alfredos Spruch 'Die Wahrheit ist immer schwarzweiß!' nicht mehr gefunden. Ich habe ihn wohl selbst hineingesehen ..." (Andreas Felber / DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2009)