Chaplin 1920, etwas erschöpft, aber nicht unzufrieden dreinblickend - und im Auftreten mit seiner charakteristischen Eigenart, im Privaten nie den Wohlhabenden zu markieren: Nach einem erfolgreichen Auftakt mit eigenen Studioproduktionen wie "A Dog's Life" (1918) sollte er sich eine kurze Pause gönnen.

 

Fotos: Filmmuseum / Roy Export Company

"The Star Border" (1914), die gewisse Rarität einer Oberschichtskomödie, zu sehen im einschlägigen Keystone-Programm 2

 

Foto: Filmmuseum / BFI

Turbulentes Eheleben im Kern von "His Trysting Place" (1914)

 

Foto: Filmmuseum

Langjährige Beschäftigung mit dem Lieblingssport Boxen: von "The Knockout" (1914) ...

 

Foto: Filmmuseum

... bis zum Klassiker "The Champion" (1915)

 

Foto: Filmmuseum

Hitler-Parodist avant-la-lettre? Chaplin in "A Jitney Elopemen" (1915)


Foto: Filmmuseum

Im den Fängen einer gewissen Beschwipstheit: öfters Thema, zur kaskadenhaften Perfektion getrieben in der Mutual-Produktion "One A.M." (1916)

Foto: Filmmuseum

Und wie jetzt zahlen? Chaplin in seinem bereits weit in Sphären der US-Gesellschaftspolitik hineinreichenden "The Immigrant" (1917)

Foto: Filmmuseum

Wenn nach dreißig Jahren im Österreichischen Filmmuseum wieder eine große Retrospektive zu Charles Chaplin am Programm steht, bedeutet das natürlich zum einen, die großen klassischen Werke der Komödien-Ikone erleben zu können, von denen einige in den abgelaufenen Jahren immer wieder mal zu sehen waren (etwa im Rahmen der Sommerkinos), viele aber gar nicht.

Zum anderen bedeutet es, einen nicht minder berühmten Werkteil nun erstmals geordnet vorzufinden, den die meisten allenfalls in (viel zu schnell abgespielten) kleinen Stückchen aus TV-Kinderprogrammen kennen: die frühen kurzen bis mittellangen Juwelen voller Komik, Tragik, Slapstick und Turbulenzen, die Gag-Feuerwerke, mit denen er in nur vier Jahren vom scheinbaren Niemand zum internationalen Weltstar aufstieg.

Eine Ordnung ergibt sich leicht: Es sind drei hektische Schaffensphasen, jede mit ihren eigenen Reizen. Und es trifft sich gut, dass sie mit jeweils dem Filmstudio in Deckung zu bringen sind, für welches Chaplin vertraglich arbeitete: In das Jahr 1914 fallen seine Anfänge in Mark Sennetts illustrem Komödianten-Zirkel bei Keystone, 1915 engagierte ihn die Firma Essanay mit bereits weit höheren Gagen als Solostar und Regisseur, und 1916/17 konnte er beim Mutual Filmstudio bereits weitgehend frei ausprobieren, choreografieren und zu Perfektion im Gag-Servieren steuern. Mag sein, dass die schwierigen Kriegsjahre für Ablenkung besonders empfänglich waren: Die Erfolgssträhne war jedenfalls so umfassend, dass Chaplin 1918 schon sein eigenes Studio eröffnen konnte und 1919 die United Artist mitbegründete.

Vermenschlichen des Harlekins

Komödien-Zampano Mack Sennett hat Anfang 1914 keinen Anfänger engagiert. Aus einer Schauspieler-Familie in Nord-London (Camden Ton, Lambeth und Umgebung) stammend, stand Chaplin schon seit Kindestagen auf Bühnen; und mit einer britischen Pantomimentruppe hat er 1912/13 bereits ausgiebig in den USA getourt. Truppen- und zeitweiliger Wohnungskollege war übrigens ein gewisser Stan Laurel ...

Was bei Chaplin besonders zutage tritt, ist (in einem Dossier des British Film Institute schön erläutert) seine Anbindung an die über Jahrhunderte bewährte Comedia dell'Arte: Er modernisiert unermüdlich die Figur des Harlekins, dessen Zappeln wird in verschiedenste Spielarten menschlicher Verunsicherung transformiert, nicht nur Kinder finden da leicht unmittelbar Zugang. Zum Commedia-Repertoire gehören auch die immer leicht traurige Colombine als Gegenüber und ein Erzählprinzip, das der Commedia- und Chaplin-Traditionsbewahrer Roberto Begnini knapp mit "fa piangere, fa ridere" umrissen hat - ein Wechselbad aus Rühren und zum Lachen Bringen, das kaum Alters- oder Generationsgrenzen kennt.

Im Jahr bei Essenay wird dieses Harlekin-Prinzip Schritt für Schritt herausgelöst und in den verschiedensten Umgebungen eingesetzt, an der Arbeitsfront ("Work"), auf hoher See ("Shanghaied"), schließlich in den berühmt bis sprichwörtlich gewordenen Performances als Sparringpartner ("The Champion") oder als "The Tramp". Inszenatorisches Virtuosentum schließlich in seinen Arbeiten bei Mutual, jeweils maßgeschneidert auf spezifische Schauplätze wie Kaufhäuser ("The Floorwalker", "The Pawnshop"), eine Rollschuhbahn ("The Rink"), Polizei- und Feuerwerksstationen ("The Fireman", "Easy Street") sowie eines Lebemanns Treppenhaus ("One A. M."). Ein Arbeitsprinzip eines 'Das Zweitbeste ist nicht gut genug' ergab dabei ein Werk mit sagenhaft vielen Outtakes: Von den vielen nicht verwendeten Szenen profitiert wesentlich eine umfangreiche BFI-Dokumentation "Unknown Chaplin", deren Vorführung am 7.12. um 20:15 Uhr somit eine spezielle Empfehlung gilt.

Turbulentes Teamwork

Für Überraschungen anderer Art sind hingegen die frühen Keystone-Werke ein Quell, hatte doch Mack Sennett rund um seinen weiblichen Star, die auch als Regisseurin aktive Mabel Normand, eine Reihe anarchischer Quer- und Kindsköpfe wie etwa "Fatty" Arbuckle versammelt: Chaplins spätere Stärken wie nuancierte Bebilderungen des Allzumenschlichen tauchen zwar bisweilen auf. Aber im Grunde waren die meisten Teamarbeiten, Improvisation war ein Hauptprinzip, und es konnte - in den diversesten, rasch arrangierten Studiosettings und Themenfeldern - gar nicht wüst genug zugehen, etwa auf Pferde- und Seifenkisten-Rennbahnen, in Zahnarztpraxen oder in der frühen Antike ("His Prehistoric Past"). Der Chaplin für MTV-Kenner? Eventuell.