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Der weibliche Organismus verfügt in aller Regel um deutlich weniger Muskelmasse als der männliche.

Foto: APA/Oliver Stratmann

Klassisches Szenario einer Paarbeziehung: Sie verlangt nach dicken Socken, während er die Heizung herunter dreht. Eine Rollenverteilung ohne entwicklungspsychologischen Hintergrund, weshalb Gender Mainstreaming an dieser Stelle nichts bringt.

Der Grund warum Frauen um ganze 5 Grad früher zu bibbern beginnen als Männer, liegt in der unterschiedlichen anatomischen Basisausstattung der beiden Geschlechter. Von Natur aus ist der männliche Organismus für das Leben in der kalten Jahreszeit einfach besser qualifiziert. Männer sind Frauen zwar größenmäßig im Durchschnitt überlegen, besitzen jedoch im Verhältnis zu ihrem Volumen betrachtet, die kleinere Körperoberfläche. Allein dieser Tatsache ist es bereits zu verdanken, dass Frauen schneller frieren als Männer.

Männliche Muskelmasse als Brennofen

Auch der höhere weibliche Fettanteil erweist sich hier nicht als Vorteil. Seine Funktion als Isoliermaterial ist eher begrenzt und Wärme produzieren kann Fettgewebe schon gar nicht. Den männlichen Körper ziert im Normalfall wesentlich weniger Fett, dafür umso mehr Muskelmasse. Bekanntlich sind die Zellen der Skelettmuskulatur die Wärmelieferanten schlechthin, heizen sie doch schon im Ruhezustand dem Körper ordentlich ein. Die erhöhte Muskelaktivität beim Zittern macht den männlichen Organismus bei Kälte zum ungeschlagenen Wärmeproduzenten.

Gerade aber, weil auch der weibliche Körper kalten Temperaturen nicht untätig zusieht, muss Frau schon relativ bald mit kalten Händen und Füssen rechnen. Um den Wärmeverlust nach außen zu reduzieren und lebenswichtige Organe im Körperinneren vor bedrohlicher Abkühlung zu schützen, wird die Temperatur primär in den Körperteilen gedrosselt, die am weitesten vom Rumpf entfernt sind (Akren). Da nützt auch das Einstellen der Schweißproduktion und das Aufstellen der spärlichen Körperhaare wenig. Frauen kühlen vollkommen ungewollt schneller aus Nicht nur, weil ihr Körper die Wärme schneller verliert, er produziert auch weniger davon.

Weiß wie Leichenfinger

Wenn dicke Socken und Heizdecken die Lösung nicht bringen und das Frieren zum unerträglichen Dauerzustand gerät, dann kann sich dahinter vielleicht eine Unterfunktion der Schilddrüse, ein niedriger Blutdruck oder ein Gefäßproblem verbergen. Wenn schon die kurze Berührung eines kalten Gegenstandes Finger und Zehen eiskalt und weiß werden lässt, kommt das Raynaud-Syndrom auf den Plan. Der Volksmund bezeichnet diese schmerzhafte Erkrankung als Leichenfingerkrankheit, weil sie Finger und Zehen wie abgestorben aussehen lässt. Schuld an den schubweise auftretenden krampfartigen Verengungen kleinster Gefäße ist dabei nicht die Kälte per se, sondern plötzliche Temperaturunterschiede.

Der französische Arzt Maurice Raynaud hat diese vorübergehende Durchblutungsstörung erstmalig beschrieben. Bei 70 Prozent der Betroffenen handelt es sich dabei um eine rein funktionelle Störung winziger Arterien in den Akren. Die Langzeitprognose ist für diese Betroffenen günstig, nur in Ausnahmefällen kommt es zum völligen Absterben einzelner Fingerkuppen (Rattenbissphänomen) und häufig lassen die Beschwerden mit zunehmendem Alter nach.

Manchmal jedoch ist die überschießende Gefäßreaktion auch Ausdruck einer Bindegewebs-, systemischen Haut- oder rheumatologischen Erkrankung. Deshalb ist bei Menschen mit Raynaud-Symptomatik immer eine ausführliche Diagnostik und gegebenenfalls auch eine Behandlung durch den Arzt indiziert. Einer fröstelnden Frau hingegen ist schneller geholfen, begegnet ihr der Kavalier mit etwas Wärme und Verständnis. (Regina Philipp, derStandard.at, .12.2009)