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Traurige Töne: Wenn Musiker berufskrank werden.

Foto: APA/EPA/Miguel Villagran

Musik ist Therapie - etwa für Wachkomapatienten, Frühgeborene und Personen mit Migräne. Und Musik ist Vergnügen - nicht nur für Freunde von Weihnachtsoratorien und dem Neujahrskonzert. Die Produzenten der Klänge, also die Handwerker im Orchestergraben und auf der Bühne, macht die Ausübung ihrer Kunst allerdings häufig krank. Hörschäden, Gelenksentzündungen und psychische Probleme sind typische Musikerleiden. Schätzungen zufolge nehmen bis zu 75 Prozent der Orchestermusiker im Laufe ihrer Karriere Schaden an Körper oder Seele.

Kein Wunder, meint der Mediziner und Klarinettist Michael Peschka von der Medizinischen Universität Wien: "Musizieren auf professionellem Niveau ist durchaus mit Leistungssport vergleichbar." Die Anforderungen an junge Musiker im Kampf um eine Orchesterstelle sind enorm. Vielen Nachwuchstalenten wird schon während der Ausbildung vermittelt, "dass man unter allen Umständen zu funktionieren hat", berichtet Peschka.

Zudem: Instrumente sind oft sehr unergonomisch gebaut, die Folge sind Schmerzen. Durch verdrehte Haltung und einseitige Belastung bekommen Querflötisten und Violinisten Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich. Klarinettisten überfordern das rechte Daumengelenk, auf dem fast das ganze Gewicht des Instruments lastet. Sänger riskieren bei Überlastung verhärtete Knötchen auf den Stimmbändern, und Bläser wiederum sind gefährdet, Lippen-, Kiefer- und Zahnprobleme zu entwickeln, oder Grünen Star als Folge von erhöhtem Augeninnendruck durch den Anblaswiderstand.

Der Musikerkrampf

Manche Pianisten leiden unter dem "Musikerkrampf", ein neurologisches Leiden, bei dem sich einzelne Finger unwillkürlich einrollen. Kurzfristig helfen da zwar Injektionen mit dem Nervengift Botulinumtoxin, langfristig ein Neuerlernen einzelner Bewegungen, um die Finger zu entlasten.

Berufsbedingte Leiden sind also häufig. Matthias Bertsch von der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien erklärt, dass "der Körper ein Teil des Instruments" ist und Musiker ihren Körper oft vernachlässigen. Bei einer von Bertsch durchgeführten Umfrage unter 350 Musikstudenten und -schülern gaben 50 Prozent an, dass sie im vergangenen Jahr Schmerzen gehabt hätten.

Dabei ließen sich viele Beschwerden vermeiden. Zum Beispiel: "Schlagzeuger und Blechbläser sollten einen speziellen Gehörschutz tragen", meint Musikphysiologe Bertsch. Denn die dauerhafte Lärmbelastung im Orchester kann Tinnitus, Schwerhörigkeit und Hörsturz nach sich ziehen.

Auch an der Übungstechnik kann im Sinne der Gesundheit gefeilt werden. Bertsch setzt statt stundenlang sturem Wiederholen auf gezielte Aufwärmübungen vor dem Musizieren, auf Entspannung und Körpertherapie wie Feldenkrais oder die Alexander-Technik. Und Musiklehrer, so Bertsch, sollten nicht nur auf die richtigen Töne ihrer Schützlinge, sondern auch auf die Haltung und die Bewegungsökonomie achten.

Die Realität ist anders. Musiker ignorieren die Alarmsignale ihres Körpers, auch psychische Probleme werden verdrängt. In Musikerkreisen sind Alkohol und Psychopharmaka weit verbreitet, um mit Stress, Überforderung und Depressionen fertig zu werden.

Und wenn ein Musiker etwas gegen seine Beschwerden unternehmen will, dann findet er schwer Ärzte, die sich auf Musikerleiden spezialisiert haben. Dabei steht viel auf dem Spiel: Kann ein Musiker seine Erkrankung nicht ausheilen, geht es schnell um die Existenz; schon kleine Einschränkungen bedeuten unüberhörbare Leistungseinbußen.

Spezialambulanz

Im deutschsprachigen Raum gibt es immer mehr Angebote für kranke Musiker, etwa spezielle Sprechstunden oder Musikerambulanzen. In Deutschland zählt man vier Lehrstühle für Musikermedizin; in den USA gibt es sogar eigene Kliniken für Künstler. Eine neue Anlaufstelle in Wien ist die jüngst gegründete Österreichische Gesellschaft für Musik und Medizin: Die Plattform gibt Hilfestellung bei der Suche nach Ärzten und Therapeuten, die selbst musizieren. Warum das so wichtig ist? "Mit eigener musikalischer Erfahrung ist es einfacher, diese spezielle Klientel richtig verstehen", erläutert Michael Peschka. (Julia Harlfinger, DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2009)