Anwesend und entrückt zugleich: Olga Chernyshevas sensibler Blick auf den Alltag ("On Duty" , 2007).

Foto: Chernysheva

"Das Spezifische der russischen Situation" , sagte Olga Chernysheva einmal in einem Interview, "besteht darin, dass viele Menschen keine ‚armen Arbeitslosen‘ sind, sondern arbeiten, dabei aber trotzdem ziemlich arm bleiben. Und vor diesem Hintergrund zeigt sich der atemberaubende, fantastische Reichtum." Aber diese Extreme interessieren Chernysheva, 1962 in Moskau geboren, gar nicht. Zu unübersehbar sind diese. Für sie gilt es das Normale zu analysieren: "Das Normale wird fast nicht wahrgenommen" .

Und so stehen in ihrer Ausstellung auch die Alltäglichkeiten im Zentrum: Fotos von Museumswächtern oder etwa die Aufseher in der Moskauer U-Bahn (Serie On Duty, 2007), die man jeden Tag auf den Rolltreppen passiert. Es sind traurige Gestalten; in ihren gläsernen Kuben isoliert und exponiert zugleich. "Dieses Sowohlsichtbar-als-auch-unsichtbar-Sein war es, was mich interessiert hat", erklärt Chernysheva, die mit den Medien Fotografie und Film arbeitet.

Zwei Monate hat sie in den tiefen Schächten auf jene Augenblicke gewartet, in denen einander konzentrierte Anwesenheit und innere Versunkenheit begegnen: "Die Plexiglasscheiben lassen alles ein bisschen staubig und verkratzt aussehen; Reflexionen bedecken sie mit Atmosphäre. Ich fand das schön, denn es erinnert mich an klassische Porträts, an Tafelmalerei in Grisaille-Technik. Die Spuren und Unschärfen machen die Bilder poetischer, nicht so real." Stille, feine Bilder. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 19./20.12.2009)