Eine Gruppe österreichischer Ökonomminnen und Ökonomen disktutiert die Frage der Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sei einiger Zeit und präsentiert hier erste Überlegungen:

Viele Entscheidungsträger/innen aus Wirtschaft und Politik können offenbar Klimaschutzmaßnahmen nur dann akzeptieren, wenn sie sich wirtschaftlich rechnen. Green Growth verheißt die Botschaft, "dass ‚Umweltverträglichkeit' und ‚Wachstum' Hand in Hand gehen können" (OECD Ministerrat 25. Juni 2009). Anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen rechnen etliche Studien internationaler Organisationen vor, dass der weltweite Treibhausgasausstoß bis 2050 halbiert werden soll, während die Weltwirtschaft um jährlich rund drei Prozent wächst, also sich insgesamt etwa verdreifacht. Für hochentwickelte Industrieländer bedeutet dies sogar eine achtzigprozentige Treibhausgasreduktion bei allerdings "nur" zwei Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Länder wie Österreich müssten also in den nächsten vierzig Jahren ein Fünftel der heutigen Treibhausgasemissionen anstreben, während sich ihr BIP mehr als verdoppelt. Anders ausgedrückt: Trotz Kopenhagen soll das implizite Wachstumsziel der Lissabon-Strategie der EU weiterhin gelten. Wie soll das gehen?

Die Internationale Energieagentur (IEA) hält eine "Energierevolution" für notwendig. Dahinter verbirgt sich aber technologischer wie ökonomischer Optimismus. Abgesehen von den bekannten Problemen der von der IEA beworbenen Nuklearenergie befinden sich auch die unterirdischen Kohlenstoffspeichertechnologien (etwa in alten Gasfeldern) erst im Erprobungsstadium.

Erneuerbare Energieträger sind in Form von Sonne, Wasser, oder Wind in ausreichendem Maße vorhanden, die Technologien zu ihrer Nutzung jedoch mitunter noch nicht ausgereift. Der weitaus größte Anteil am Emissionsrückgang soll allerdings durch bessere Energieverwertung erreicht werden. Und genau da liegt das Hauptproblem: Die gesamtwirtschaftliche Energieeffizienz der Industrieländer stieg in den vergangenen Jahrzehnten jährlich um knapp über ein Prozent, was durch stärkeres Wirtschaftswachstum bei weitem überkompensiert wurde: Der Energieverbrauch stieg immer weiter an.

Wollen wir unser Kopenhagenziel bis 2050 allein durch Effizienzsteigerung erreichen, müsste die Energieproduktivität bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung jährlich um 3,5 Prozent steigen. Soll die Wirtschaft dabei auch noch um zwei Prozent pro Jahr wachsen, wären sogar jährliche 5,4 Prozent notwendig. Selbst die Hälfte erscheint im Lichte vergangener Anstrengungen nahezu unerreichbar - und dies auch unter Einbeziehung der Möglichkeit der Industrieländer, sich via globalen Emissionshandel freizukaufen.

Die Ökonomie bietet für diese Fragen Widersprüchliches an: Einerseits ist die Vorstellung grenzenlosen (entmaterialisierten) Wachstums vereinbar mit theoretischen Modellen. Andererseits können empirische Studien, mit Ausnahme weniger Problemstoffe (z.B. Schwefeldioxid) bisher keine absolute Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch bestätigen. Trotz wertvoller Beiträge der Umweltökonomie ist die Mainstream-Ökonomie auf interdisziplinäre Forschungsansätze angewiesen.

Einschneidende Änderung ...

Aus dem Blickwinkel der Ökologie beispielsweise erscheint unendlich exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt abwegig. Und die moderne Glücksforschung sagt uns, dass materieller Wohlstand ab einem bestimmten Reichtumsniveau nur geringfügig zur Lebenszufriedenheit beiträgt.

Gewiss hilft technischer Fortschritt, die Grenzen des Wachstums zu verschieben. Wird aber die dank erhöhter Produktivität eingesparte Energie erst recht wieder einer erhöhten Produktion zugeführt, beißt sich die Katze in den Schwanz. Genau das beschreibt der so genannte Rebound-Effekt: Energieeffiziente Autos entlasten die Geldbörse, doch das ersparte Geld wird nun für mehr Kilometer verausgabt oder gar für eine Flugreise.

Tatsächlich zeigt die Entwicklung Österreichs seit 1990, dass mit dem BIP-Wachstum die energierelevanten Aktivitäten ungeachtet des Trends zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie laufend steigen: Zahl und Nutzfläche der Wohnungen, PKW pro Haushalt, Transportintensität der Produktion, usw.

Dazu kommt: Während die Wirtschaften der Schwellenländer auch nach der Krise exponenziell wachsen werden, ist in vielen Industrieländern bereits seit längerer Zeit eine abschwächende Tendenz zu linearem Wachstum erkennbar. Und je langsamer der Wohlstandskuchen wächst, desto schwieriger seine Verteilung.

Die global nötige Emissionsreduktion bei gleichzeitig individuellem Wohlergehen und sozialem Ausgleich wird daher ohne Verhaltensänderungen nicht erreichbar sein. Insbesondere Konsumenten des reichen Nordens sind gefordert, soll den armen Ländern nicht ihr Anteil am materiellem Wohlstand vorenthalten werden.

Nachhaltige Verhaltensänderungen können aber nicht von Haushalten und Unternehmen allein getragen werden. Sie setzen entsprechende politische Rahmenbedingungen voraus: Informationen, ökonomische Anreize (Steuern oder Zertifikate) und Gebote, begleitende Prozesse und die Vorbildwirkung von Behörden; alles in allem eine nachhaltige Steuer-, Struktur- und Konjunkturpolitik.

Die Berücksichtigung von Wachstumsgrenzen erfordert insgesamt eine Ökonomie, die sich an langfristig umweltverträglicher Optimierung der Lebensqualität orientiert. De facto wissen wir noch viel zu wenig darüber, wie eine Wirtschaft mit geringem oder gar ohne Wachstum Arbeitsplätze schafft, Armut beseitigt oder in Bildung und Pflege investiert und gleichzeitig die Klimaveränderung in erträglichen Bahnen hält. Höchste Zeit also für einen neuen wirtschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt.

... der Lebensgewohnheiten

Soll Kopenhagen - über den aktuellen Verhandlungsprozess hinaus - zum Erfolg werden, müssen wir uns auf eine massive Änderung unserer Lebensgewohnheiten einstellen. Trotz enormer, vorerst wachstumsfördernder Investitionen in Energieeffizienz werden die Menschen in den Industrieländern nicht um nachhaltigen Konsum umhinkommen.

Wachstum ist ein Teil des Klimaproblems - vielleicht ein lösbarer. Wer aber Wachstum undifferenziert als Lösung anbietet, ist ein Scharlatan. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.12.2009)