Vom Hörsaal ins Ungewisse: Obdachlose

Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Ein "humanitärer Wahnsinn" sei die überraschende Räumung des Audimax der Uni Wien, sagt Markus Reiter, Geschäftsführer des NeunerHAUS und Verbandsvorsitzender der Wiener Wohnungslosenhilfe. Für die rund 80 Obdachlosen hätte noch heute ein Hilfsplan präsentiert werden sollen, doch das Rektorat der Uni Wien kam dem zuvor: Die Polizei räumte den Hörsaal, die Obdachlosen wurden via Informationszettel angewiesen, sich an das P7, eine Obdachlosen-Einrichtung der Caritas Wien im zweiten Bezirk, zu wenden.

Notschlafstelle: "Aus den Medien erfahren"

Doch dort war man über den drohenden Ansturm gar nicht informiert worden. "Wir haben das selbst aus den Medien erfahren", sagt Ruth Schöffl von der Caritas Wien. Abgesehen davon hat das P7 selbst keine Schlafstellen, sondern teilt Obdachlose nur aufnahmefähigen Notschlaf-Einrichtungen zu. Und genau daran mangelt es in Wien: Der Großteil der Audimax-Obdachlosen sind EU-BürgerInnen, und für die sind die Caritas-Notschlaftstellen per Gesetz nicht zuständig. "Die meisten Obdachlosen wissen das natürlich. Die gehen dort gar nicht erst hin", sagt Reiter.

Bei der Caritas zeigt man sich vom Vorgehen des Rektorats überrumpelt: "Wir wollten heute noch Streetworker in den Audimax schicken, um zu besprechen, wo die Obdachlosen hingehen können." Nun sei es umso schwieriger, eine Lösung zu finden, da die Obdachlosen nicht mehr greifbar sind. Im Laufe des Montags seien nur 15 Obdachlose ins P7 gekommen, für sie wurden nun Notschlafplätze aufgetrieben. "Wir müssen warten, bis sich das herumspricht", sagt Schöffl.

Tageszentrum als "provisorische Lösung"

Die Caritas will nun eines ihrer Tageszentren als "provisorische Lösung" auch nachts offen halten, bis sich eine endgültige Lösung gefunden hat. Auch das Rote Kreuz und der Fonds Soziales Wien werden vorübergehend Schlafplätze zur Verfügung stellen. Wie berichtet, sucht die Wiener Caritas nach Räumlichkeiten für eine zweite "Gruft" für EU-BürgerInnen. Wie das mit dem Wiener Sozialhilfegesetz vereinbar ist, wonach Obdachlosen-Unterkünfte nur österreichischen StaatsbürgerInnen offen stehen, kommentiert Schöffl so: "Grundsätzlich darf niemand in Österreich auf der Straße erfrieren." Auch Peter Hacker, Spracher des Fonds Soziales Wien (FSW), sagte angesichts der Wetterlage eine "großzügige Auslegung" des Paragrafen zu.

Dass die Uni-Leitung die Räumung mit NGOs akkordiert habe, wie vom Rektorat in einer Aussendung behauptet, weist Markus Reiter zurück: Ursprünglich hatte die Uni-Leitung zugesagt, die Räumungstermin mit den Wohnungslosen-Hilfsorganisationen zeitlich abzustimmen. "Weder NGOs noch die Einrichtungen der Stadt Wien sind informiert worden. Wir sind alle mehr als enttäuscht." Dafür, dass die Uni im Alleingang Taten setzte, hat Reiter nur zwei mögliche Erklärungen: "Entweder man war massiv überfordert - oder es war ein eiskaltes Manöver."

Grüne Kritik

Auch die Sozialsprecherin der Grünen Wien, Heidi Cammerlander, übte am Montag scharfe Kritik. "Rektor Winckler wollte offenbar Fakten schaffen, bevor das Problem der Obdachlosen im Audimax gelöst worden wäre. Diese Vorgangsweise wirft ein schlechtes Licht auf Rektor Winckler", so Cammerlander. Für die Obdachlosen müsse nun schnell und unbürokratisch Hilfe geleistet werden. "Die Stadt Wien darf nicht warten, bis die ersten Kältetoten zu beklagen sind." (mas, derStandard.at, 21.12.2009)