Wen Jiabao machte sich nicht die Mühe, persönlich bei Barack Obama zu erscheinen. Der chinesische Premier schickte vergangenen Freitagabend in der heikelsten Phase der Klimaverhandlungen von Kopenhagen seine Beamten zum US-Präsidenten. - Besser war Pekings wachsendes nationales Selbstbewusstsein nicht zu dokumentieren. In den übrigen 191 Gipfel-Delegationen munkelten die Diplomaten indes aufgeregt: Seht her, in Kopenhagen steht eine Laboranordnung für die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts. Hier exerzieren eine alte und eine kommende Supermacht vor, wie exklusiv die politischen Geschäfte in Hinkunft verhandelt werden.
Schon vor Kopenhagen machte das Label von den G-2 die Runde, den Großen Zwei, die den Ton unter den wirtschaftsstarken G-20 angeben. Und schon vor Kopenhagen war klar, dass gegen diese spezielle Konstellation nichts geht - auch wenn, wie im Falle der Klimapolitik, insbesondere eine Partei auf der Bremse stand. Aber so deutlich hatte Peking, das in der multilateralen Politik üblicherweise lieber tiefstapelt, noch selten seine Interessen und den Amerikanern die Grenzen ihrer Macht aufgezeigt. So ist Kopenhagen neuerdings auch ein Meilenstein auf dem Weg ins „pazifische Jahrhundert", in dem sich das Gravitationszentrum der Weltpolitik in den Fernen Osten, zwischen die USA und China, verschieben wird.
Mit dieser Machtverlagerung steigt das Konfliktpotenzial zwischen beiden Ländern. Zuletzt drohten die Chinesen unverhohlen mit einem Handelskrieg wegen umstrittener US-Zölle, etwa auf chinesische Autoreifen. Militärisch belauert man einander ebenfalls. Peking kündigte heuer den Bau zweier Flugzeugträger an. Die Amerikaner verabschiedeten dieser Tage - auch mit Blick auf China - den höchsten Verteidigungsetat aller Zeiten. Die schärfste Waffe in der Hand beider Großmächte aber sind die 2300 Milliarden Dollar schweren Devisenreserven der Chinesen, die zu zwei Dritteln aus US-Dollarbeständen bestehen und zu einem Gutteil in US-Staatsanleihen angelegt sind. Die Chinesen können mit deren Abfluss drohen, die Amerikaner mit Abwertung. Larry Summers, der wirtschaftspolitische Berater Barack Obamas, nannte das schon vor Jahren das „Gleichgewicht des finanziellen Terrors".
Die entscheidende Frage allerdings in dieser neuen pazifischen Ära und nach dem Beispielfall Kopenhagen ist: Wie sind die Chinesen, die sich bisher so vehement gegen eine Rolle als globale Führungsmacht sträuben, international in die Verantwortung zu nehmen?
Im Klimaschutz, im Umgang mit dem iranischen Atomprogramm, in der Menschenrechtspolitik - um nur einige Beispiele zu nennen - hat es enorme Auswirkungen, ob Peking seine Verantwortung wahrnimmt oder nicht. Und solange einige einflussreiche Zirkel in China diesen neuen Status der Volksrepublik als eine Art Falle betrachten, in der ihr Land Ressourcen für Probleme vergeudet, die nicht im engsten Interesse Chinas sind, wird es schwierig werden, in der neuen weltpolitischen Konstellation über Blockaden und Minimalkompromisse in wichtigen Fragen hinauszukommen.
Das hat auch der US-Präsident lernen müssen, der auf seiner ersten China-Reise Anfang November mit seiner Politformel des Engagements nicht weit kam. Damals scheiterte ein bilaterales Klima-Abkommen unter anderem an der Befürchtung Pekings, es könnte dadurch Glaubwürdigkeit und Führungsstatus unter den Schwellenländern einbüßen. Aber ein Schwellenland ist China 60 Jahre nach Gründung der Volksrepublik nicht mehr. Peking hat große politische Macht akkumuliert. Jetzt muss es noch begreifen, dass die auch gewisse Pflichten mit sich bringt. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2009)