Blick auf Mostar vom Dach der im Krieg zerschossenen Glasbank-Ruine, auf das sich UWC-Schüler in der Freizeit zurück-ziehen.

Foto: Wölfl

Mostar - Der Bub aus Bagdad hakt sich bei dem Mädchen aus Oberösterreich ein. Die Neretva leuchtet, als hätte jemand grüne Farbe ins Wasser gemischt, während die Schüler des United World College (UWC) über die alte Brücke, die Stari Most spazieren. Die Steine sind glitschig. Eine gute Gelegenheit für die Schüler, Händchen zu halten und sich näher zu kommen.

Das UWC wurde 2006 in Mostar mit dem Ziel eröffnet, "Frieden durch Erziehung" zu schaffen. Es ist hier die einzige Schule, wo Bosniaken, Kroaten und Serben gemeinsam in der Klasse sitzen. "Das Beispiel zeigt, dass eine hohe Qualität der Ausbildung die ethnische Separation in der Schule überwinden kann" , sagt Anna Hausmaninger, die österreichische Bildungsbeauftragte in Bosnien. Das österreichische Bildungsministerium stellt seit diesem Herbst eine Auslandslehrerin zu Verfügung.

Zwei Geschichtsversionen

Von den 154 UWC-Schülern sind 55 Prozent Bosnier, die anderen kommen aus allen Teilen der Welt. Die Bosnier können und müssen kein Schulgeld zahlen, weshalb das UWC in Mostar dauernd vor dem finanziellen Kollaps steht. In Mostar gibt es zwei Mittelschulen, eine für Bosniaken, eine für Kroaten. Alle Schüler gehen zwar durch dasselbe Eingangstor des Gebäudes im maurischen Stil, das in der österreichischen Okkupationszeit gebaut wurde, lernen aber eine andere Version der bosnischen Geschichte. Nur die wenigen in der Stadt verbliebenen Serben haben keine eigene Schule.

"Ich wollte nicht mehr zu einer Minderheit gehören, deswegen habe ich mich für das UWC beworben" , sagt der 16-jährige Stefan, der aus einer serbischen Familie kommt. Nach zwei Jahren wird er eine internationale Matura und ein Stipendium für eine amerikanische Universität in der Tasche haben. Für die bosnischen Schüler ist das UWC so etwas wie eine Eintrittskarte in die Welt. Denn in Bosnien bleiben auch 14 Jahre nach Kriegsende viele in ihren Identitätskonzepten gefangen. Und die Politiker der drei Volksgruppen betonen dieses Mantra der Differenz. Kein Wunder, dass auch die Einstellungen der bosnischen Schüler des UWC den Diskurs der jeweiligen Volksgruppen widerspiegeln.

Lazar, ein Serbe aus Pale, jenem Ort in der Nähe von Sarajewo, von wo aus der ehemalige Serbenführer Radovan Karadžić seinen Krieg führte, findet, dass Bosnien keine Verfassungsreform, die zu einem Zusammenwachsen des Staates führen würde, "aufgezwungen werden soll" . "Wir brauchen mehr Zeit" , sagt er. Seine Sitznachbarin Anja aus Zenica in Zentralbosnien, im dem heute hauptsächlich Bosniaken leben, schüttelt den Kopf: "Wir brauchen einen Staat, der funktioniert. Wie lange sollen wir denn noch warten?" , fragt sie. Der Kroatin Anna-Maria aus Mostar ist der Staat Bosnien wiederum nicht wirklich ein Anliegen, sie hat auch einen Pass aus Kroatien, wie viele bosnische Kroaten. Im UWC diskutieren die Jugendlichen oft über bosnische Politik. Lazar fühlt sich, seit er das UWC besucht, "mehr als Bosnier denn nur als Serbe " , weil er auch Vertreter der anderen Volksgruppen kennengelernt hat.

Vor der Schule befindet sich der Bulevard Dr. Ante Starèevića. Hier verlief die Frontlinie im Krieg, und hier verläuft noch immer eine unsichtbare Grenze, die die Bosniaken von den Kroaten trennt.

Auf der bosniakischen Seite steht ein riesiges Betongerippe, das Haus darf nicht weitergebaut werden, weil es die Kirchtürme verdecken könnte. Also bleibt es so, wie es ist. In Mostar ist die Politik im Nachkriegszustand erstarrt, seit einem Jahr schon können sich Kroaten und Bosniaken nicht auf einen Bürgermeister einigen. 17-mal haben die Gemeindevertreter bereits einen Versuch gestartet. Seit Oktober bekommen Gemeindearbeiter keine Löhne mehr. Die Feuerwehr streikt auf der Straße.

Karadžić-Prozess

Im UWC müssen die Schüler gerade ihre Forschungsarbeiten vorstellen. Eine Bosnierin will herausfinden, welche Auswirkungen der Prozess gegen Karadžić auf Srebrenica haben wird, wo 1995 tausende Bosniaken ermordet wurden. Ihre Sitznachbarin will wissen, ob der Kölner Dom ein touristischer oder ein religiöser Ort ist. Die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren hat sich das Fach Chemie ausgesucht: "Ich will endlich wissen, warum die Neretva so grün ist" , sagt sie. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Printausgabe 23.12.2009)