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Aiginger: "Eine schnellere Anpassung des Pensionsalters von Frauen an das der Männer befürworte ich."

Foto: APA/Helmut Fohringer

Wifo-Chef Karl Aiginger redet einer stärkeren Umverteilung das Wort. Zudem hält er manche Sozialleistungen an Gutverdienende für überflüssig. Bei den Sozialausgaben insgesamt sieht er aber wenig Spielraum, antwortet er auf Fragen von Andreas Schnauder.

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STANDARD: Zwei Studien haben die Verteilungsgerechtigkeit in den Blickpunkt gerückt. Das Wifo bemerkte, das Steuersystem leiste keinen Beitrag zur Umverteilung. Wie kann man das behaupten, wenn zehn Prozent der Einkommen 58 Prozent des Lohnsteueraufkommens erbringen?

Aiginger: Ich schlage vor, Sozialversicherungsbeiträge und Steuerlast zusammen zu betrachten, weil das die Belastung des Faktors Arbeit widerspiegelt. Die hohe Steuerleistung der Spitzenverdiener hängt mit dem höheren Einkommen zusammen. Das System ist fast proportional.

STANDARD: Heißt das, dass Sie keinen Korrekturbedarf orten?

Aiginger: Für mich würde ein Korrekturbedarf insofern bestehen als ich glaube, dass die Abgabenlast im unteren Bereich reduziert werden müsste. Das gilt vor allem für die Sozialversicherungsbeiträge, die durch Steuerleistungen zu ersetzen wären.

STANDARD: Das hieße eigentlich eine weit stärkere Umverteilung als derzeit gegeben.

Aiginger: Ja. Wir haben vorgeschlagen, die Abgabensenkung durch ökologische Steuern oder Abgaben auf Alkohol oder Tabak auszugleichen. Und in einem gewissen Ausmaß auch durch Vermögenszuwachsbesteuerung beziehungsweise Anpassung der Grundsteuer an die Marktgegebenheiten. Ich bedaure, dass die Erbschaftsteuer abgeschafft wurde. In Summe sollte die Abgabenlast nicht ansteigen.

STANDARD: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass man durch Mehrleistung Sozialansprüche verlieren kann?

Aiginger: Diese Leistungsfeindlichkeit ist gerade bei den niedrigen Einkommen gegeben. Wer das ändern will, muss für eine Entlastung des Faktors Arbeit eintreten und soll nicht eine Diskussion auslösen, dass es hier um die Sozialleistungen geht. Die meisten Sozialleistungen bei uns sind nämlich nicht einkommensabhängig. Was wiederum auch problematisch ist. Ich bin ein Anhänger der Einkommensabhängigkeit von Sozialleistungen. Manche Sozial- oder Gesundheitsleistungen könnten die Mittelschichten und die höheren Einkommen selber tragen.

STANDARD: Welche Leistungen meinen Sie konkret?

Aiginger: Ich könnte mir höhere Selbstbehalte bei höheren Einkommensgruppen im Gesundheitsbereich vorstellen. Und dafür mehr Gerechtigkeit, dass etwa Zahnarztleistungen, die aus dem System herausfallen, auch für die niederen Einkommen stärker übernommen werden. Das ist für Geringverdiener wirklich ein Problem.

STANDARD: Auch im Familienbereich gibt es eine Umverteilung von der Mittelschicht zur Mittelschicht, von eine Tasche in die andere.

Aiginger: Im Bereich der Familienleistungen geht es darum, manches durch Sachleistungen zu ersetzen. Ganz wichtig ist, dass es Betreuungseinrichtungen gibt. Ich glaube, dass die Familienleistungen zurückgehen sollten. Ich bin daher eher ein Anhänger von Steuerabsetz- als von Steuerfreibeträgen.

STANDARD: Sie haben eine stärkere ökologische Besteuerung vorgeschlagen. Wie begründen Sie das angesichts hoher Abgaben?

Aiginger: Österreich ist im Bereich der Energiebesteuerung zurückgefallen, was dazu führt, dass wir den Tanktourismus haben. Das hat dazu geführt, dass wir weniger Anreize haben, unsere Pkw und Lkw auf energiesparende Technologien umzustellen. Letzten Endes erreichen wird deshalb die gesteckten Klimaziele nicht.

STANDARD: Wenn man von notwendiger Konsolidierung spricht, würden Sie auch den Sozialbereich als mögliche Geldquelle fürs Budget betrachten?

Aiginger: Einschnitte im unteren Einkommensbereich würde ich ausschließen. Über Steuern wird wenig umverteilt, über Ausgaben relativ stark. Daher ist es wichtig, wenn die Konsolidierung in einer Zeit stattfindet, in der die Arbeitslosigkeit steigt - und sie steigt nach unseren Prognosen auf acht Prozent und wird dort für einige Jahre stehen bleiben -, die Budgetkonsolidierung sorgsam durchzuführen. Priorität hat die Erhöhung der Effizienz des öffentlichen Sektors und des Gesundheitssystems. Es gibt aber auch - unter Anführungszeichen - privilegierte Bereiche, um die es geht, zum Beispiel die Hacklerpensionen. Daher kann man in diesem Bereich sicher Reformen andenken. Auch die Witwenpension und das unterschiedliche Pensionsalter zwischen Männern und Frauen kann man zur Diskussion stellen.

STANDARD: Die Angleichung des Pensionsalters kommt ja ohnehin langfristig.

Aiginger: Ja, aber eine Beschleunigung des Prozesses würde ich befürworten. Wir können zudem im Pensionssystem die Bonus- und Maluszahlungen für frühen und späten Pensionseintritt verstärken. Man kann im Bereich der staatlichen Ausgaben Reduktionen vornehmen, die die Ausgaben langfristig senken, aber nicht den Sozialbereich treffen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25./26./27.12.2009)