Heike Groos ist nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan von Deutschland nach Neuseeland gezogen.

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"Die Taliban, egal welcher Stamm, sind alle sehr zäh, wild entschlossen und sie kennen sich in der Gegend aus. Die Russen haben es nicht geschafft, da schafft es auch kein anderer."

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Bei der Truppenplanung in Afghanistan will sich der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nicht den Forderungen aus den USA beugen. Guttenberg kündigte an, bei der Afghanistan-Konferenz Ende Jänner in London zwar mit konkreten Zahlen aufzuwarten, gegebenenfalls aber auch Erwartungen zu enttäuschen. Die von den USA geforderten weiteren 2500 Soldaten nannte der Politiker "nicht realistisch". Derzeit stationiert sind rund 4300.

Heike Groos diente zwei Jahre als Bundeswehrärztin am Hindukusch. Als die fünffache Mutter 2003 als Oberstabsärztin nach Afghanistan ging, dachte sie an eine Friedensmission. "Mir war klar, dass ich in Kriegsgebiete geschickt werden kann", sagt Groos. "Aber als man mich nach Afghanistan geschickt hat, hat man mir nicht gesagt, dass dort Krieg ist." Groos darüber, warum sie die Mission für gescheitert hält und inwiefern "das Schutzgefühl der Soldaten zivile Opfer rechtfertigt".

derStandard.at: Humanitärer Einsatz, Kriegsähnlicher Zustand, Stabilisierungseinsatz: Beim deutschen Einsatz in Afghanistan dreht sich viel um Semantik. Waren Sie im Krieg?

Heike Groos: Ja, das war ich. Nach dem elften September 2001 war klar, dass ich nach Afghanistan gehen würde, aber das hat sich damals ganz anders angehört als es dann in Wirklichkeit war. Anfangs war es noch so, dass die Leute froh waren, dass der Krieg vorbei war, und wir als UN-Soldaten, die den Frieden stabilisieren wollen, angesehen wurden. Wir haben etwa Soldaten und Einheimische medizinisch versorgt oder Schulen gebaut. Die Leute waren friedlich und froh, dass wir da waren. Mit dem Anschlag auf einen Bus mit Bundeswehrsoldaten im Juni 2003 hat sich die Situation dann verschärft. Das war der Beginn einer großen Anschlagsserie, die bis heute weitergeht. Damit ist die Situation umgeschlagen; dann hat man sich wirklich im Krieg befunden. Man konnte nirgends mehr sein, ohne bis auf die Zähne bewaffnet zu sein, mit Helm, Panzer und Schussweste. Da wurde geschossen, gekämpft, da sind dauernd Menschen gestorben. Seit 2003 ist dort Krieg.

derStandard.at: Wie haben Sie sich den Einsatz vorgestellt?

Heike Groos: Wenn man Soldat ist, wundert man sich nicht, wenn man in den Krieg geschickt wird. Man wundert sich auch nicht, wenn Menschen sterben. Mir war klar, dass ich in Kriegsgebiete geschickt werden kann. Aber als man mich nach Afghanistan geschickt hat, hat man mir nicht gesagt, dass dort Krieg ist. Bis heute wird in Deutschland nicht von Krieg gesprochen; das Mandat hat sich noch immer nicht wirklich geändert, bis auf unbedeutende Kleinigkeiten. Was so schwer zu ertragen ist, ist, dass man keinen Sinn sieht. Wir wissen, dass dort Krieg ist, aber wir wissen nicht, warum und was wir dort tun sollen. Keiner kapiert, was dort los ist, und da kann man dann auch nicht voller Überzeugung dafür sterben.

derStandard.at: Voller Überzeugung sterben?

Heike Groos: Nach dem, was man liest, wissen die Amerikaner selbst nicht mehr genau, warum dieser Krieg eigentlich ist, wen man eigentlich unterstützt und warum. Wenn man keinen Sinn darin sieht, was man dort tut, ist es noch schrecklicher, wenn dabei Menschen verletzt oder gar getötet werden. Wer sind die Taliban eigentlich, woran erkennt man die, wie kann man die unterscheiden und worum geht es eigentlich? Und da geht es nicht nur mir so, die meisten sind da komplett ratlos. Vorgestern schrieb mir ein Soldat, dass er "angesprengt" wurde. Was ist denn das überhaupt für eine Formulierung? Das Wort gab es in unserer Sprache doch gar nicht. Schlimm ist auch, dass es keine Unterstützung gibt: Nicht nur, dass uns von Seiten der Politik oder Bundeswehrführung keiner erklärt, welchen Auftrag wir eigentlich genau haben. Dafür werden wir aber hingeschickt, ohne für diesen Einsatz richtig ausgebildet oder vorbereitet zu sein. Außerdem werden wir, wenn wir zurückkommen, nicht mehr aufgefangen in unserer Gesellschaft. Das Motto scheint zu sein: "Ihr seid Soldaten, dann heult nicht rum, wenn ihr im Krieg seid".

derStandard.at: Sie sind Bundeswehrärztin und damit Soldatin. Warum sind Sie nicht mehr in Afghanistan?

Heike Groos: Zum Glück hatte ich nur einen Zeitvertrag unterschrieben, der 2007 zu Ende ging. Ich habe die Zähne zusammengebissen und das durchgezogen. Viele meiner Ärztekollegen tun sich sehr, sehr schwer, weil man als Berufssoldat nicht einfach kündigen kann. Da geht es vielen sehr schlecht; die suchen jeden Weg, um da irgendwie rauszukommen, weil sie es – so wie ich – nicht mehr ertragen.

derStandard.at: Halten Sie den Einsatz der Bundeswehr für gescheitert?

Heike Groos: Ja. Weil sich bis jetzt nichts geändert hat. Im ersten Jahr war das noch eine befriedigende Sache: ein Nachkriegsgebiet, in dem man die Situation stabilisiert. Danach ist aber der Völkerkrieg, um den es im Grunde geht, wieder entflammt. Und da frage ich mich, was wir dort verloren haben.

derStandard.at: Weder Bundeswehr noch die US-Armee sind den Herausforderungen gewachsen?

Heike Groos: Sie sind ihnen auf keinen Fall gewachsen. Ich glaube, die russische Armee ist eine sehr zähe und starke, und auch die haben es damals nicht geschafft. Nicht, wenn man einen konventionellen Krieg zu Ende führen will, also so, dass "am Ende einer gewinnt", wie die Männer sich ausdrücken. Die Taliban, egal welcher Stamm, sind alle sehr zäh, wild entschlossen und sie kennen sich in der Gegend aus. Die Russen haben es nicht geschafft, da schafft es auch kein anderer. Was ist also die Lösung, die da angestrebt wird? Das ganze Land plattmachen?

derStandard.at: Sollten Europäer nur Friedenstruppen schicken?

Heike Groos: Mein Lösungsansatz wäre: Das Land so zu stabilisieren, dass die Leute sich selbst helfen können. Da sind noch so viele Menschen, die verhungern oder an Krankheiten sterben, die es in Europa oder den USA gar nicht mehr gibt. Das klingt vielleicht naiv, aber ich glaube, wer gesund ist, etwas zu essen und eine Arbeit hat, der hat weniger Interesse an Krieg.

derStandard.at: Die Nato-Strategie in Afghanistan: Auf ganzer Linie gescheitert?

Heike Groos: Ja, die ganze Strategie ist falsch.

derStandard.at: Bräuchte es mehr Soldaten in Afghanistan?

Heike Gross: Wenn man dort etwas tun will, dann bräuchte man mehr und dann müsste man es anders machen. Aber das ist jetzt nicht geplant, der Plan ist der, mehr hinzuschicken und so weiterzumachen.

derStandard.at: Wie ist der Ruf der Bundeswehr in Afghanistan?

Heike Groos: Aktuell kann ich das nicht sagen. 2007, als ich dort war, waren die Deutschen noch sehr gut angesehen im Vergleich zu Engländern und Amerikanern, die total unbeliebt waren – nicht nur aus dem jetzigen Krieg, sondern aus der Geschichte heraus. Mir haben die Afghanen immer versichert, dass sie zu den Deutschen ein gutes Verhältnis haben.

derStandard.at: Was sich mit dem Luftangriff in Kundus geändert haben wird.

Heike Groos: Das nehme ich stark an. Es kann leicht sein, dass sie keine Unterschiede mehr machen zwischen Deutschen oder Amerikanern. Genauso wie die Soldaten irgendwann keinen Unterschied mehr machen bei den Afghanen. Je aggressiver wir auftreten, desto weniger machen sie einen Unterschied bei den Soldaten. Dann wird es noch gefährlicher für uns. Und dann müssen wir uns erst recht fragen, warum wir eigentlich da sind und was das Ziel ist. Ich finde, das sollte langsam deutlich ausgesprochen werden. Wenn wir die Taliban bekämpfen wollen, müssen wir uns beispielsweise in Pakistan einmischen. Wenn es um Drogen oder Korruption geht, müsste die Strategie wieder eine andere sein. Nur diese Strategie verstehe ich nicht.

derStandard.at: Verfolgt man die Diskussion rund um den Luftangriff, scheint es weniger um Aufklärung zugehen, als darum, innenpolitisch zu punkten.

Heike Groos: Ja, und das Traurige daran: Hier wird aus den verschiedensten Motiven heraus gehandelt und der kleine Soldat in Afghanistan, der badet das dann im Endeffekt aus.

derStandard.at: Oberst Klein soll bei der Anordnung des Angriffs gegenüber den US-amerikanischen Einsatzkräften bewusst gelogen und von einem Feindkontakt gesprochen hat, der nicht stattfand. Wie erklären Sie sich sein Handeln?

Heike Groos: Das ist eine wirklich schwierige Frage. Aber eines weiß ich ganz sicher: Kein deutscher Soldat würde einen Befehl aussprechen, ohne dass er das mit Deutschland vorher tausend Mal rückversichert hat.

derStandard.at: Missverständnis oder Notwendigkeit: Wie sieht "der kleine deutsche Soldat" Ihrer Einschätzung nach den Angriff?

Heike Groos: Ich bin Mitglied in einem Internetforum (In Gedenken an die Gefallenen), in dem Soldaten diese Frage diskutieren. Da ist man sich einig, dass der Oberst das richtig gemacht hat. Die Soldaten fühlen sich von ihm beschützt und halten es für unglaublich, dass er dafür derart ins Kreuzfeuer geraten ist. Dann gibt es auch solche, die sagen, dass die Amerikaner solche Dinge andauernd machen, da aber kein Hahn danach kräht. Oder dass den Deutschen immer vorgeworfen wurde, dass sie sich so zurückhaltend verhalten, so halbherzig, und dass sie nicht so richtig rangehen an die Sache. Und jetzt machten sie mal was und dann sei das auch falsch. Da gibt es die verschiedensten Stimmen. Es ist schwierig, von außen zu sagen, wenn man nicht dabei war. Und hinterher sind eh immer alle schlauer.

derStandard.at: Sie sagen also, dass das Schutzgefühl der Soldaten zivile Opfer rechtfertigt?

Heike Groos: Das ist auch wieder eine schwierige Frage. Im Endeffekt würde ich aber sagen ja. Weil ich denke, dass in Afghanistan, wo seit so vielen Jahren Zivilisten sterben, und auf der ganzen Welt hat das keine Sau interessiert. Und jetzt auf einmal interessiert es die Leute? Seit 2002 sterben dort andauernd Soldaten und Zivilisten, nur hat das niemand mitbekommen. Und jetzt auf einmal gibt es diese Riesenwelle – zufällig genau vor der Wahl. Das ist schon merkwürdig. 2002 war ich dabei, als in Kabul eine Autobombe hochgegangen ist. Dabei sind 70 Afghanen schwer verletzt oder getötet worden. Das war noch nicht einmal in den Nachrichten. Wir haben uns damals im Lager dazu bereit gemacht, mit dem Zug auszurücken, aber wir durften nicht, weil unser oberster Kommandeur gesagt hat, es sei zu gefährlich. Das hat uns gewundert und auch erregt, weil wir eigentlich ausrücken und helfen wollten. Daraus wurde kein Politikum, das kam nicht einmal an die Öffentlichkeit.

derStandard.at: Es macht aber wohl einen Unterschied, ob sich ein afghanischer Selbstmordattentäter in die Luft sprengt oder ob ein Angriff von Deutschland aus befohlen wird?

Heike Groos: Natürlich macht es das. Es gehört nie zum guten Ton, wenn Zivilisten sterben.

derStandard.at: Die ISAF-Regeln besagen ausdrücklich, dass der Schutz der Zivilbevölkerung Priorität haben muss.

Heike Groos: Ich denke, Herr Oberst Klein hätte das nicht gemacht, wenn er nicht gedacht hätte, dass es dringend notwendig sei, um seine Soldaten zu schützen.

derStandard.at: Sie schreiben, Ihr Buch sei für Sie eine Art Therapie gewesen, um das Erlebte zu verarbeiten. Zusätzlich sind Sie nach Neuseeland gezogen ...

Heike Groos: Es kommt immer wieder. Irgendwie war es gut, dass ich das Buch geschrieben hab, weil ich mich dadurch wieder damit auseinandergesetzt habe. Auf der andere Seite bekomme ich auf das Buch so viele Reaktionen, dass es mich nicht in Ruhe lässt. Ich hab mir das mit dem Buch von der Seele geschrieben, was auch gut war. Vielleicht hätte ich es nicht veröffentlichen sollen (lacht). Mit schreiben sehr viele Soldaten, aber auch andere.

derStandard.at: Was schreiben die Soldaten?

Heike Groos: Die schreiben alle, dass sie mir danken, dass ich mich getraut habe, das alles öffentlich zu sagen, dass ich ihnen aus der Seele spreche, dass es ihnen genauso geht, dass niemand zuhört, sich niemand für sie interessiert und ihnen niemand hilft. Und dass man ihnen auf einmal in der Öffentlichkeit zuhöre. Der Fischer Verlag hat mich beauftragt, ein zweites Buch zu schreiben mit den Stimmen all dieser Soldaten, die mir jetzt geschrieben haben, das im März oder April erscheinen soll. (fin, derStandard.at, 7.1.2010)