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10.000 Euro Strafe für die Behauptung Natascha Kampusch sei von ihrer Mutter nicht liebevoll behandelt worden.

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Wien - Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) Ludwig Adamovich ist am Donnerstag im Wiener Straflandesgericht wegen übler Nachrede zu einer Entschädigung von 10.000 Euro (100 Tagessätze zu je 100 Euro) verurteilt worden. Richterin Birgit Schneider befand den 77-jährigen Spitzen-Juristen schuldig, die Mutter von Natascha Kampusch, Brigitte Sirny, öffentlich eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt zu haben, das geeignet war, Sirny verächtlich zu machen.

Berufung angemeldet

Die Hälfte der ihm auferlegten Geldbuße wurde dem Ex-VfGH-Präsidenten bedingt nachgesehen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Adamovichs Rechtsbeistand Christoph Herbst meldete umgehend volle Berufung an. Adamovich kündigte unmittelbar nach der Verhandlung vor Journalisten an, über seinen Rücktritt als Leiter der Evaluierungskommission im Fall Natascha Kampusch nachdenken zu wollen. Bis zur nächsten Sitzung am 11. Jänner - an dem Termin soll die Kommission ihren Schlussbericht erstellen - will der 77-Jährige seine Entscheidung getroffen haben. 

Zeit der Gefangenschaft besser

Ludwig Adamovich hatte in seiner Funktion als Leiter der Evaluierungskommission zum Fall Natascha Kampusch in mehreren Interviews behauptet, es wäre denkbar, dass für Kampusch die Zeit ihrer Gefangenschaft "allemal besser war als das, was sie davor erlebt hat". Kampuschs Mutter reichte daraufhin eine Klage gegen den pensionierten Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs ein, weil sie sich in ihrer Ehre verletzt fühlte.

"Liebevolle Beziehung" zwischen Kampusch und Priklopil

Adamovich bekräftigte nun vor Gericht seine Einschätzung und behauptete weiters, es gebe "Indikatoren" dafür, dass sich zwischen Kampusch und ihrem Entführer Wolfgang Priklopil "eine positive, sogar liebevolle Beziehung entwickelt hat".

Im Zusammenhang damit verwies der 77-Jährige auf "eine ganze Liste von Aufenthaltsorten außerhalb des Verlieses". So habe Natascha Kampusch am Nachbargrundstück von Priklopils Wohnsitz in Strasshof das Schwimmbecken benützt. Zu ihrem 18. Geburtstag sei eine Torte gebacken worden. Er, Adamovich, sei selbst eines Tages in einem Wirtshaus in der Ötscher-Gegend eingekehrt, wo ihm die Wirtin einen Tisch gezeigt und bedeutet habe, da wären - offenbar im Zuge eines Ausflugs - auch Priklopil und Kampusch gesessen.

"Dinge, die nicht ins Bild passen"

"Das sind alles Dinge, die nicht recht passen in das Bild einer gespenstischen Gefangenschaft. Es gibt gewisse Hinweise darauf, dass das Ganze nicht dermaßen finster und dunkel war, wie es bisher den Anschein hatte", gab Adamovich zu Protokoll.

Dem stellte der Ex-VfGH-Präsident und Leiter der Evaluierungskommission die Zeit vor der Entführung gegenüber: "Dass es der Frau Kampusch vor der Entführung schlecht gegangen ist, davon bin ich überzeugt. Ich habe aber nie gesagt, dass die Mutter ausschließlich Schuld daran war. Da haben andere auch eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt der Vater."

"Missliche Situation" vor Entführung

Adamovich erwähnte in Bezug darauf "eigenartige Szenen, wenn Natascha Kampusch mit ihrem Vater aus Ungarn zurückgekommen ist". Grundsätzlich hätte sich das Mädchen vor der Entführung in einer "misslichen Situation" befunden, behauptete Adamovich: "Es hat Symptome gegeben, die auf eine sehr starke psychische Belastung deuten."

Kampuschs Mutter unterstellte er, "mindestens ein Verhalten" gesetzt zu haben, bei dem es sich "um ein verjährtes Offizialdelikt" handle. Er bezog sich dabei auf eine Zeugenaussage, derzufolge Brigitta Sirny ihre Tochter geschlagen haben soll. Noch am Tag der Entführung soll Kampusch angeblich einen Klaps auf den Mund bekommen haben.

Adamovich erwähnte auch ein Gutachten des Kinderpsychiaters Max Friedrich, das dieser unmittelbar nach der Entführung für das Wiener Sicherheitsbüro erstellt hatte. Friedrich hatte Sirny darin eine "große Distanz" zu ihrer Tochter bescheinigt, von der sie nur in der Vergangenheit und "abfällig" spreche, "so dass man annehmen muss, dass sie das Kind nicht mag".

Der Ex-VfGH-Präsident verwies weiters auf die mehrmals wöchentlichen Fitness-Studio-Besuche Sirnys, zu denen jene ihre Tochter regelmäßig mitnahm und dann unbeaufsichtigt ließ. Natascha Kampusch könnte dort "in Kontakt mit dubiosen Persönlichkeiten" gekommen sein, deutete Adamovich an.

Zweifel an Einzeltäter-These

Adamovich hat weiter Zweifel, dass es sich beim Entführer Wolfgang Priklopil um einen Einzeltäter gehandelt hat. Das machte er bei seiner Einvernahme im Wiener Straflandesgericht mehr als deutlich.

"Es spricht alles dafür, dass die Entführung anders abgelaufen ist als sie ursprünglich geplant war", gab er zu Protokoll. Natascha Kampusch sei zunächst in kein Verlies, sondern "einen provisorisch eingerichteten Raum" gekommen. Dieser sei erst allmählich zu einem Verlies ausgestaltet worden.

Priklopil als Auftragstäter

"Es spricht also sehr viel dafür, dass Herr Priklopil ein Auftragstäter gewesen ist", sagte Adamovich. Es wären "keine rein sadistischen Motive", sondern offenbar Hintermänner im Spiel gewesen. "Der ursprüngliche Plan ist gescheitert, und dann ist er (Priklopil, Anm.) mit ihr (Natascha Kampusch, Anm.) dagestanden", meinte Adamovich.

Der ehemalige VfGH-Präsident zeiget sich von seiner Verurteilung "überrascht", wie er nach der Verhandlung vor Journalisten kundtat. Das Gericht habe ihn "eher summarisch abgefertigt". Er habe mit der Klägerin - Brigitte Sirny war nicht persönlich zur Verhandlung erschienen - "nach einer halbwegs vernünftigen Formel für einen Vergleich" gesucht, doch die Gegenseite habe auf "totale Kapitulation" bestanden.

Adamovich hatte erst nach seiner ausführlichen Einvernahme und offenbar im Bewusstsein der nahenden Verurteilung seine Bereitschaft zur Abgabe einer umfassenden Ehrenerklärung signalisiert, mit der er öffentlich die von Sirny geklagten Passagen zurücknehmen wollte. Sirnys Anwalt Wolfgang Miller akzeptierte das nicht mehr und beharrte auf der Verurteilung Adamovichs.

"Man kann nicht in einem Verfahren behaupten, dass man Recht gehabt hat, und dann eine Minute vor der Urteilsverkündung alles zurückziehen. Das ist auf gut wienerisch gesagt eigentlich a Pflanzerei", erläuterte Miller nach Schluss der Verhandlung gegenüber der APA seine Beweggründe. Den Ausgang des Verfahrens bezeichnete Miller als "sehr, sehr erfreuliches Ergebnis".

Im Innenministerium sieht man derzeit keinen Anlass, den in erster Instanz verurteilten Leiter der Evaluierungskommission abzuberufen. "Wir warten die Rechtskraft ab", teilte Martin Brandstötter, der Sprecher von Innenministerin Maria Fekter (V) mit.(APA)