Ubisoft Montreal, hier arbeiten über 2.000 Kreative, Programmierer, Designer, Tontechniker, Autoren, Grafiker, Manager und Marketing-Experten.

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Großraumbüros sind Usus...

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...das gesamte Team eines Projekts arbeitet in einer Etage

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Laut wird es in den Büros dennoch kaum.

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Mit Hilfe von Motion Capturing werden Bewegungen von Menschen erfasst und auf die Animationen im Spiel übertragen.

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Fast 70 Titel entstanden in Studio seit der Gründung 1997.

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Ständiges Testen fördert die Qualität der Spiele.

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Eigentlich erinnert hier so gar nichts an die Vorstellung, die man von einer Kreativwerkstätte hat. Der alte Backsteinblock zeichnet vielmehr das Bild seiner Vergangenheit, als durch die langen kahlen Gänge noch Textilien gezerrt und in den endlos weiten schummrigen Lofts Stoffe in Handarbeit genäht wurden. "Entschuldige, ich habe gerade unabsichtlich die zwei Mädchen mit einer Handgranate in die Luft gejagt", schmunzelt ein konzentriert aussehender junger Mann neben mir. "Kein Problem", antwortet sein Kollege, "das machen wir gleich nochmal".

Auswanderer

In Montreal gibt es im Winter bei bis zu minus 40 Grad kaum etwas zu besichtigen. Ein paar Kirchen und eine Shoppingmeile lenken von der zwei Millionen Menschen dichten Schachbretteinöde ab. Wie um alles in der Welt ist der Pariser Konzern Ubisoft auf die Idee gekommen, ausgerechnet hier eine Niederlassung aufzuziehen? Als im Jahr 1997 die Pforten der Fabrik öffneten, lockten wohl die steuerlichen Vergünstigungen und Förderungen des Staates Quebec. Es sollte sogar das größte der 23 Studios des Unternehmens werden. Aber wer schifft schon nur für Geld seine besten Männer und Frauen und Know-How tausende Kilometer über den Atlantik, um dann in der klirrenden Kälte zu sitzen? Eine Tour durch die Nachbarschaft lässt weitere Beweggründe durchsickern. Klar, die Montrealer sprechen Französisch, aber wichtiger noch, ihre Uni sorgt für kontinuierlichen Nachschub an Arbeitskräften. Praktikanten, werdende Master und fertige Doktoren spazieren hier ein und aus. "In einem Jahr stellen wir bis zu 200 Leute ein", erklärt die Pressesprecherin des Hauses.

Das Backsteingebäude in Montreal am Boulevard Saint-Laurent ist das größte Videospielstudio der Welt. Über 2.000 Kreative, Programmierer, Designer, Tontechniker, Autoren, Grafiker, Manager und Marketing-Experten arbeiten hier an Werken wie "Prince of Persia" oder "Assassin's Creed". Seit der Gründung entstanden fast 70 Titel für PC und Konsole. Dabei verschlingen Blockbuster-Titel wie die eben genannten Entwicklungskosten im zweistelligen Millionenbereich.

Weltenbauer

In den einsamen Gängen sucht man allerdings verzweifelt nach dem Spektakulären. Man könnte meinen, Weihnachten hätte die Arbeitenden in den Urlaub entfliehen lassen. Es ist ruhig, nirgendwo knallt, kracht oder rattert es. Einzig der leicht modrige Geruch aus dem gefährlich offen stehenden Fahrstuhlschacht und der Schweißmief aus dem Fitnesscenter zeugen von Lebendigkeit. Vorbei an unzähligen elektronisch verriegelten Brandschutztüren, entlang der betongestützten Korridore, hinein in ein Labyrinth der Gänge und dann die erste Werkstatt. Nichts ist mit Weihnachtsurlaub. 200 Menschen werken allein in diesem Stockwerk 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Projektabschlussphase, alle sind ruhig und fokussiert. Im Februar erscheint mit dem Thriller "Splinter Cell: Conviction" das Werk, an dem man die letzten zwei Jahre gearbeitet hat. Aus den Artworks sind virtuelle 3D-Welten geworden, Vorstellungen von Klängen wurden realisiert, digitalisiert. Im Motion-Capturing-Studio wurden die Bewegungen von echten Menschen erfasst und auf die Animationen der Charaktere übertragen. Im Tonstudio wurden mit dem Synthesizer und manuell passende Sounds für jeden virtuellen Schuss und jedes Türknarren eingefangen. "Es ist die wichtigste Phase", betont einer der führenden Entwickler. "Jetzt werden alle Einzelteile zusammengefügt und man muss hoffen, dass es passt."

Täglich 1.200 Bugs weniger

Dem Glück wird in diesem Zeitraum mehr nachgeholfen denn je. "Täglich bereinigen wir 1.200 Fehler im Code", fasst Produzent Alex Parizeau die Anstrengungen des Zieleinlaufes zusammen. Mit einer Granate unschuldige Frauen in die Luft zu jagen, gehört da zum alltäglichen Produkttest. Es muss sichergestellt werden, dass die komplexen Vektoren und mathematischen Berechnungen so perfekt laufen, dass in den Wohnzimmern der Spieler keine ungewünschten "Bugs" das Erlebnis trüben. Ausschließen kann man dies trotz professioneller Mittel freilich so gut wie gar nicht, aber man kann das Bestmögliche tun. So findet man in den weiteren Etagen neben anderen Entwicklerteams spezielle Einheiten zur Qualitätskontrolle und Marktforschung. Während vor zig Monitoren, Konsolen und PCs täglich neue Versionen von ein und dem selben Spiel auf Herz und Nieren getestet werden, untersuchen hinter durchsichtigen Spiegeln Entwickler die Reaktionen von eingeladenen Hobbyspielern auf neue Games. Daraus soll geschlossen werden, ob eine Idee bei den Konsumenten überhaupt gut ankommt oder nicht. Als Besucher fühlt man sich hingegen ein wenig wie die Straftäter in den Verhörräumen von "Law and Order".

Unspektakulär

Wer in Hollywood durch die Kulissen-Städte spaziert ist und den Weißen Hai in Natura belächeln durfte, wird von der Trockenheit eines Videospielstudios geradezu erschlagen. Überall winden sich lange, kurze, dicke, dünne, schwarze, graue, blaue Kabel zu ungustiösen Salaten. Topfpflanzen versuchen verzweifelt die computerversmogten Riesenraumbüros zu schmücken - vergeblich. Neben dem Motion-Capturing und dem Tonstudio sind die einzig greifbaren Dinge die Trophäen und Auszeichnungen in den Korridoren, der Billardtisch im Erholungsraum, die eigene Starbucks-Cafeteria in der Kantine und der Marketingbereich, in dem die ganzen Goodies stehen. Das Leben findet ganz offensichtlich in den Köpfen und im Netzwerk statt.

Kontrollnetzwerk

Richtig spannend wird die Exploration des Digitalen erst im Gespräch. Urplötzlich erweist sich dann eine Ansammlung von Monitoren als Kontrollzentrale des weltweiten Ubisoft-Netzwerkes. Serverauslastungen, Spielerdichten, Lokalisierung der... - leider ist beim kurzen Blick nicht mehr zu erhaschen. "Das ist es", sagt ein Herr im Schreibtischsessel, "aber sagen werde ich Ihnen nichts". Nun, es braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was ein Spielehersteller alles an Daten sammelt und sehen kann. Konsolen und PCs werden heute selbstverständlich ans Internet angeschlossen, Spieler in der Unschärfe des Webs ganz präzise registriert.

Der Bunker

Umso interessanter klingt dann die Geschichte zu einer unscheinbaren Stahltür mit Sichtfenster. Dahinter liegt ein leerer Raum, lediglich ein paar Sitzbälle kugeln noch herum. "Hier wurde Avatar entwickelt", erzählt die Pressesprecherin. Avatar, das ist das Spiel zum gleichnamigen Film von James Cameron. Ja genau, der mit 3D und Hightech und dieser unglaublichen Fantasiewelt. Nun, der Raum, in dem das dazugehörige Spiel entwickelt wurde, hat mehr von einem Bunker, als von einer schönen Fantasiewelt. Mit dem Bunker, wie er auch genannt wird, musste während der Entwicklung sichergestellt werden, dass hier keine Daten rein- oder rausgehen. "Ich habe sonst zu allen Bereichen zutritt", so die Sprecherin, "aber hier bin ich nicht reingekommen". Die Projektmitarbeiter bekamen alle eigene Zugangskarten, USB-Sticks waren nicht erlaubt und natürlich gab es von diesem Raum aus keine Verbindung zum Internet. Als Lizenz-Titel von einem derart großen Film, wurden jede erdenklichen Vorkehrungen getroffen, um die unabsichtliche oder absichtliche Veröffentlichung rechtlich geschützter Inhalte zu verhindern.

Flache Hierarchien

Aber auch eigene Titel, die nicht unter den paranoiden Augen der Filmindustrie erzeugt werden, versucht man zu schützen. Während des Rundgangs in den "heiligen Hallen" darf zwar fotografiert und gefilmt werden, allerdings gibt es eine Reihe von Regeln. Keine Aufnahmen von den Monitoren, keine Nahaufnahmen und wenn, dann alles nur mit Absprache. Das geistige Eigentum ist schließlich das einzige Gut der Spielemacher. Ein unautorisiert veröffentlichter Screenshot von unfertigen Szenen, kann einen Imageschaden bedeuten, so die Befürchtung. Schlimmer noch, wenn tatsächlich Daten oder frühe Codes eines Spiels an die Öffentlichkeit gelangen. Trotz dieser Auflagen, genießt ein Entwicklerteam recht flache Hierarchien. Wer hier arbeitet, muss einen Beitrag zum Gesamtwerk leisten und wird so zum nur schwer ersetzlichen Zahnrad in der Maschine. Nicht umsonst stellt das Unternehmen interne Fortbildungsmöglichkeiten. Ist ein Projekt zu Ende steht nicht die Entlassung an, sondern die Neuorientierung. Viele der führenden Entwickler arbeiten bereits viele Jahre im selben Haus. Zu wertvoll ist ihr Wissen, um sie gehen zu lassen.

Traumfabrik

Auf dem Weg nach draußen in den eisigen Tod, fällt es nicht leicht, die Komplexität eines Videospielstudios zu verstehen. Das ist sie also, die größte Traumfabrik der Welt. Dort, wo Ideen und Geschichten im Akkord zu Produkten geschnitzt werden. Der Ort, der so gar nichts gemeinsam hat mit den inspirierenden Unmöglichkeiten der knallbunten, spektakulären und faszinierenden Videospiele. Es dampft nicht, es knarrt nicht und man hört von außen nichts. Erst im Inneren wird die kreative Dichte greifbar, der Computer-Job zum Handwerk und der stetig schwellende Datenwulst zur Komposition.

"Wo warst du eigentlich", fragt die kleine österreichsische Journalisten-Truppe voller Erwartung am nächsten Tag Patrice Desilets beim Eingang eines Supermarktes. Was für ein Zufall den Creative Director des Blockbuster-Hits "Assassin's Creed II" auf der Straße zu treffen, denken wir uns. "Ich hab Urlaub", sagt er irritiert, "also bis dann."

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 25.12.2009)