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Dem frau nicht vergibt

Kaum ein/e Politiker/in erregte in der zweiten Hälfte 2009 die öffentlichen Gemüter und vor allem die der Frauen wie der italienische Premierminister Silvio Berlusconi. Dabei war der 73-jährige Medienmogul noch im April selben Jahres rekordverdächtig beliebt, wenn frau den Umfrageergebnissen Glauben schenkt.

Was war passiert? Die Antwort ist gefundenes Fressen für den Boulevard: Ehebruch, Scheidung, jüngere, junge, sehr junge Frauen, Prostituierte, Parties, römische Dekadenz.

Nicht, dass der Premier und konservative Regierungschef damit hinterm Berg gehalten hätte, dass er Wein, womöglich auch Gesang, aber jedenfalls Weib zumindest in einer Hinsicht nicht verachtet. Aber so richtig geoutet, mit nackten Tatsachen und verfänglichen Zeuginnenberichten, wurde er bis Mitte 2009 nie.

Seine Ehefrau, die 53-jährige Veronica Lario, brachte die Lawine mit der von ihr eingebrachten Scheidung ins Rollen. Als ihr Gatte der Geburtstagsfeier einer 18-Jährigen die Ehre seiner Präsenz gab, was er laut Lario bei seinen eigenen Kindern nie zuwege gebracht hatte, war das Mass voll. Spekulationen über eine geheime Beziehung zwischen dem alten Mann und dem Teenager keimten, kein Wunder.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Geschichten über Berlusconis Ausschweifungen mit Showgirls und Callgirls, Escorts und Sexarbeiterinnen generell sorgten international für Entrüstung. Und noch mehr in seinem Heimatland selbst:

Als er im Oktober noch dazu die Exministerin Rosy Bindi aufgrund ihres Geschlechts untergriffig beleidigte, brach die Wut aus den ItalienerInnen so richtig heraus. Wenn der höchste politische Vetreter des Landes von einem sexistischen Ausfall in den nächsten manövriert, ist wohl die richtige Zeit gekommen, dagegen Stimme zu erheben.

Das taten weit über 100.000 Frauen, indem sie im Oktober eine Petition der Zeitung "La Repubblica" unterzeichneten und damit erklärten, sie fühlten sich von dem Regierungschef angegriffen. Prominente Intellektuelle hatten im Vorfeld ein feministisches Manifest verfasst, in dem sie konstatierten, dass Berlusconi die Körper von Frauen zu politischen Zwecken missbrauche und damit die Frauen wie die Demokratie gleichermaßen erniedrige.

Und natürlich der tätliche Angriff eines Mannes im späten Dezember, der Berlusconi mit Gesichtsverletzungen für vier Tage ins Spital brachte. Ihm wurde Ruhe verordnet, er muss sich von allen öffentlichen Terminen fernhalten.

Ob der Premier in der oktroyierten Pause auch zur inneren Ruhe, vielleicht sogar zu einem Umdenken, zu einer einsichtigen Kehrtwende kommt, ist mehr als fraglich. Prozesslawinen, Oppositionsattacken, Wahlkampf und eine breite (weibliche) Anti-Berlusconi-Front werden ihm das neue Jahr alle Fälle so gestalten, dass er sich selbst einmal - zur gerechten Abwechslung quasi - in der Position des Angegriffenen fühlen wird.

Foto: REUTERS/Alessia Pierdomenico

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40 Peitschenhiebe für eine Hose

Im Juli zog der Sudan die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf sich. Kein Wunder, war der Vorfall doch ein für westliches Befinden ungeheuerlicher: Da wurde eine bekannte Journalistin mitsamt zwölf weiteren Frauen in einem Lokal aufgegriffen und angeklagt - weil sie Hosen trugen.

Zehn der Straftäterinnen fügten sich dem Rechtsspruch, wurden ausgepeitscht und bezahlten die rund 75 Euro Strafgebühr. Doch die Justiz hatte die Rechnung ohne Lubna al-Hussein gemacht: Sie ging in die Offensive.

Als Journalistin, Diplomökonomin, UN-Mitarbeiterin und Frauenrechtlerin kurbelte sie die Pressetrommel an, machte auf die zehntausenden Verurteilungen von Frauen aus dem nichtigen Grund eines Verstoßens gegen Bekleidungsgebote aufmerksam und weigerte sich, die Strafe anzunehmen. Die 34-Jährige wollte einen öffentlichen Prozess, und sie bekam ihn.

Im Gericht in Khartum erschien sie in den gleichen schlammgrünen Hosen, die ihr den Prozess eingehandelt hatten. Die Richter verurteilten sie zwar nicht zu 40 Peitschenhieben, sprachen sie aber schuldig. Die Geldstrafe wurde auf umgerechnet 150 Euro angesetzt. Die in der Presse bereits als "Hosen-Lubna" Berühmte weigerte sich erneut, das Urteil anzunehmen.

Einen Tag lang verbrachte sie im Gefängnis. Am 8. September wurde sie entlassen - der der Regierung nahestehende Berufsverband der JournalistInnen hatte die Geldstrafe ihrerstatt bezahlt.

Der Feministin wurde verboten, auszureisen. Auch daran hielt sie sich nicht und floh/g im November nach Frankreich, um ihr Buch über ihren Fall zu promoten, was ihr gelang, weil sie einen Schleier trug und Kontakte am Flughafen hatte. In ihrem Buch "Quarante coups de fouet pour un pantalon" ("40 Peitschenhiebe für eine Hose"), das in französischer Sprache bereits erschienen ist, will sie die Welt für die Lage im Sudan sensibilisieren.

Ihr Kampf für Frauenrechte geht weiter, ebenso wie die ungerechte Rechtssprechung aufgrund "unsittlicher Kleidung" im Sudan: Allein im Oktober wurden zwei weitere Auspeitschungen von Frauen bekannt, im November wurde eine 16-Jährige mit 50 Peitschenhieben bestraft, weil ihr knielanges T-Shirt nicht passend erschien.

Foto: APA/AP/Abd Raouf

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Sexarbeit zur Diskussion

Ein Aufreger moralischer Natur hat sich im Frühjahr 2009 ausgehend von Deutschland auf den gesamten deutschsprachigen Raum ausgebreitet. Dass ein Bordell nahe Stuttgart eine "Flat-Rat" einführte, in der Freier zu einem Fixpreis so viele Leistungen, wie sie bei einem Besuch verkraften, konsumieren können, erzürnte Politik wie Zivilgesellschaft. 

"Ausbeutung" lautete die Diagnose verschiedener gesellschaftlicher Autoritäten, ohne dabei die Betroffenen selbst zu Rate zu ziehen. Mit einer ungewöhnlichen Aktion schafften es die betroffenen Frauen schließlich dennoch, im Diskurs über Sexarbeit mitzumischen: Die Beratungsstelle Dona Carmen e.V. schaltete eine Anzeige in mehreren großen deutschen Zeitungen, in denen sie die Verantwortlichen aufforderte, "Schluss mit dem Kesseltreiben" zu machen, und die in Deutschland legale Sexarbeit mit sonstigen Dienstleistungen gleichzustellen.

Außer den Anstoß über eine notwendige Debatte über Bevormundung und "Opferbilder" in der Sexarbeit hat die Aktion aber nicht viel gebracht. Wenig später wurde das betreffende Bordell von mehreren hundert Polizisten gestürmt und vorübergehend geschlossen.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

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Eine Abtreibungsklinik feiert

War das eine Aufregung: Das Ambulatorium für Sexualmedizin und Schwangerenhilfe pro:woman feierte 2009 sein 30-jähriges Bestehen. Um dies gebührend zu feiern wurde ins Rathaus zu einem Empfang am 3. September 2009 geladen. In Anbetracht des anstehenden Festes erinnerten sich Bischöfe und AbtreibungsgegnerInnen prompt an ihr Unbehagen, das sie mit der Fristenlösung plagt. Der Empfang wurde zum Anlass genommen, die Fristenlösung einmal mehr in Zweifel zu ziehen und auch "was es da zu feiern gäbe" fragte man sich. Feministinnen, Frauenvereine und Festgäste riefen hingegen das Recht auf Selbstbestimmung ins Gedächtnis und auch die schon lange bestehende Forderung nach Schutzzonen vor Kliniken und Ambulatorien wurde wieder laut.

Vielleicht haben aber die Proteste gegen den Empfang entgegen den entschiedenen Stimmen von Johanna Dohnal oder Gabriele Heinisch-Hosek für die Fristenregelung und für die Ehrung von pro:woman doch gewirkt: Die Veranstaltung wurde von einem Festsaal im Wiener Rathaus kurzerhand in den Rathauskeller verlegt. Wegen technischer Probleme hieß es, auch die Klimaanlage sei im vorgesehen Raum nicht intakt. Vor allem letzteres erstaunte spätestens bei dem Empfang, fechelten sich doch bei diesem die Geladenen mit den erhaltenen Unterlagen emsig zu, von einer Klimaanlage war weit und breit kein kühles Lüftchen zu vernehmen. Und technische Probleme gab es auch im Rathauskeller, wo das Mikrophon bei der ersten Ansprache regelmäßig ausfiel.

Keine Mikrophone brauchten die DemonstrantInnen, die sich am 3. September vor dem Rathauskeller einfanden, zumindest die BefürworterInnen des Empfangs und der Fristenregelung machten lautstark auf sich aufmerksam. Etwas stiller und andächtiger ging es bei den AbtreibungsgegnerInnen zu. Dort wurde gebetet und die BesucherInnen des Empfangs wurden von dieser Seite der Demonstrierenden mit strafenden Blicken bis zur Tür des Rathauskellers begleitet.

Foto: APA-HERBERT PFARRHOFER

Frauen haben rund ein Viertel weniger vom Gehaltskuchen

Auch die Einkommensdifferenz war Thema im vergangenen Jahr und die Debatte spitzte sich im Herbst zu. Als beim Equal Pay Day am 27. September eine Studie der Europäischen Union aufzeigte, dass Frauen in Österreich bis zum Jahresende quasi gratis arbeiten - denn 96 unbezahlte Arbeitstage entsprechen dem Viertel, das Frauen weniger verdienen als Männer - meinte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, dass es nun wirklich an der Zeit sei, "das Übel an der Wurzel zu packen". Bis zum Jahresende sollte das Gleichbehandlungsgesetz novelliert werden, indem Betriebe mit mehr als 25 MitarbeiterInnen verpflichtet werden, ihre Gehaltsstrukturen transparent zu machen. Ein Vorhaben, das nun ins neue Jahr verschoben und bis spätestens Mitte 2010 realisiert werden soll. 

Anleihe nimmt Heinisch-Hosek an Schweden: Bis zu 20.000 Euro müssen Unternehmen dort Strafe zahlen, wenn sie nach der Feststellung von Einkommensunterschieden keine Schritte zur Verringerung bzw. Aufhebung gesetzt haben. Sanktionen soll es in Österreich zwar nicht sofort geben, aber spätestens drei Jahre nach der Offenlegung muss es Konsequenzen geben, so die Frauenministerin, die sich darin mit Sozialminister Hundstorfer einig ist. In Schweden ist dieses Modell aufgegangen, die Lohndifferenz beträgt nur noch sechs Prozent.

Hierzulande sieht es dagegen düster aus. Laut Global Gender Gap Report 2009 belegt Österreich im internationalen Verleich der Gleichstellung Platz 103 von 104 erhobenen Staaten. Das runde Viertel der geschlechtsspezifischen Lohnschere schwankt je nach Rechnung zwischen 34,1 und 64 Prozent. Wenn nur die Gehälter der Vollzeitbeschäftigten herangezogen werden, betrug der durchschnittliche Bruttojahresverdienst von Männern 2008 43.077 Euro, der von Frauen 32.112 Euro, das macht eine Differenz von 34,1 Prozent. Wenn jedoch berücksichtigt wird, dass fast jede zweite Frau teilzeitbeschäftigt ist (42,8 Prozent) und nur jeder achte Mann, dann erhalten Männer um 64 Prozent mehr Lohn als Frauen.

Diese Ungleichheit liegt nach wie vor an der hauptsächlichen Zuständigkeit der Frauen für die Kinderbetreuung, die sie an Ganztagsarbeit und Karriere hindert. Aus den Daten der Statistik Austria geht hervor, dass die Einkommensschere mit dem Alter, in dem Frauen Kinder bekommen, beginnt anzusteigen. Beträgt die Differenz bei den 20- bis 29-Jährigen "nur" rund 15,6 Prozent, liegt sie bei den 30- bis 39-Jährigen schon bei 21,3 Prozent und bei den 40- bis 49-Jährigen bereits bei 25,8 Prozent. In der Gruppe der 50- bis 59-Jährigen bekommen Frauen rund 27,2 Prozent weniger bezahlt und über 60-Jährige 34,7 Prozent weniger.

Und selbst wenn die Zahlen um strukturelle Unterschiede wie Ausbildung, Berufswahl, Karenzzeiten oder Überstunden bereinigt werden, verdienen Frauen in Österreich um bis zu 15 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. "Nur deshalb, weil Frauen Frauen sind", wie es die Frauenministerin ausdrückte.

Foto: Matthias Cremer

Frauen in die Politik: Kein klares "Ja" zur Quote

Im Oktober 2009 wurde im Wiener Parlament im Rahmen der Enquete "Frauen in der Politik - mehr Frauen in die Politk!" auch über die Einführung einer verpflichtenden Frauenquote für den Nationalrat diskutiert. Der Tenor: SPÖ und Grüne waren dafür, forderten sogar Sanktionen bei Nichteinhaltung, BZÖ und FPÖ lehnen Quotenregelungen ab, die ÖVP zeigte sich uneinheitlich.

Dass der derzeitige Frauenanteil in der heimischen Politik jedenfalls zu wenig ist, darüber waren sich jedoch alle RednerInnen der Enquete einig: Weltweit liegt Österreich mit 27,9 Prozent oder 67 Frauen von 183 Abgeordneten derzeit auf Platz 30 im "Parlamentarierinnenranking". Nur 2006 wurde die 30-Prozent-Marke mit 33,9 Prozent Frauen im Nationalrat kurzfristig überschritten - von den geforderten 50 Prozent war auch das weit entfernt.

Nicht nur unter PolitikerInnen, auch unter ExpertInnen gab es unterschiedliche Meinungen zu einer verpflichtenden Quote: Während Politikwissenschaftlerin Monika Jarosch betonte, dass es in fast allen Ländern, die einen Frauenanteil in der Politik von über 40 Prozent hätten, Quoten gebe ("Das stärkste Argument für Quotenregelungen ist: Sie wirken."), meinte Juristin und Psychotherapeutin Rotraud Perner, dass "strukturelle Gewalt" nicht durch "strukturelle Gewalt von oben" beseitigt werden könne. Jurist Wilhelm Brauneder von der Uni Wien äußerte verfassungsrechtliche Bedenken, da im Falle einer Quotenregelung nicht mehr die WählerInnen das Sagen hätten.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer betonte, ihr sei "fast jedes Mittel recht", das dazu diene, die 50 Prozent zu erreichen und Frauen eine bessere Vertretung in der Politik zu ermöglichen.

Foto: Mathias Cremer

Rezeptfreie "Pille danach"

Nach einem ersten Vorstoß von Gesundheitsminister Alois Stöger im Herbst 2009 für die Rezeptfreigabe der "Pille danach" war die Debatte auf ihrem Höchststand: Soll Österreich weiterhin eines von vier Ländern in Westeuropa bleiben, in denen die "Pille danach" noch rezeptpflichtig ist? Oder sollen künftig Frauen nicht mehr auf eilige Besuche bei Ärzten und Ärztinnen oder den Notfallparagraphen angewiesen sein, der ApothekerInnen bemächtigt zu entscheiden, ob sie die "Pille danach" aushändigen oder nicht?

Nachdem Stöger zuerst eine Freigabe des Wirkstoffes plante, die betreffenden Pharmaunternehmen aber keinen Antrag für diese stellten, fand der Gesundheitsminister einen anderen und schnelleren Weg, der am 18. Dezember schließlich zur Umsetzung der Freigabe des Notfallmedikaments führte: Anstelle des Wirkstoffes wurde vorläufig nur das Präparat "Vikela" (Sanova Pharma) rezeptfrei gestellt. Dies konnte Stöger aufgrund eines Antrages in die Wege leiten, den Gerot Pharmazeutika vor einigen Jahren gestellt hatte und der noch gültig war.

Freude über die Freigabe für Frauen aller Altersgruppen gab es bei der SPÖ, insbesondere bei Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, auch die Grüne Frauensprecherin Judith Schwentner applaudierte. Wie zu erwarten war die Kritik aus den katholischen Reihen heftig, keine Begeisterung für die rezeptfreie "Pille danach" kam auch bei der ÖVP und FPÖ auf.

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Das soziale Geschlecht zählt - auch bei Transsexuellen

Für Transsexuelle bzw. transidente Personen war 2009 ein Jahr mit einigen Tiefen und Höhen: Im neuen Jahr steht nun endlich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass eine geschlechtsanpassende Operation nicht mehr Voraussetzung für eine Personenstandsänderung sein darf, welche wiederum einer Namensänderung vorausgeht.

In den vergangenen zwei Jahren haben mehrere AktivistInnen versucht, den Erlass aus dem Innenministerium, wonach ein OP verpflichtend ist, zu Fall zu bringen. Nachdem die Behörden trotz einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im April 2009 immer noch unkooperativ verfuhr, reichte eine Betroffene eine Strafanzeige gegen das Innenministerium beim Verfassungsgerichthof ein - mit Erfolg: Ab jetzt ist es möglich, eine Personenstandsänderung vorzunehmen, ohne eine OP nachweisen zu müssen. Dem Ziel, dass das "soziale Geschlecht" das ausschlaggebende Kriterium für den Personenstand ist, sind die AktivistInnen also näher gekommen.(red, diestandard.at, 6.1.2010)

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