Foto: Goldegg Verlag

Cellulite wird zur Krankheit erklärt und Schamlippen zur Problemzone. Schöne Menschen hätten es einfacher im Leben, sind beliebter und bekommen die besseren Jobs, verbreiten selbsternannte AttraktivitätsforscherInnen. Vermeintliche Makel haben keine Platz: Auf der Strecke bleiben bei dem Streben nach einem einheitlichen Schönheitsideal vor allem die Individualität. In dem neuen Buch "Wahnsinnig schön" diskutieren fünf Gesundheitsjournalistinnen und -expertinnen kritisch das Thema Schönheitswahn.

Die Autorinnen stellen die These auf, dass dahinter oft ganz andere Sehnsüchte stecken, die eine Operation gar nicht erfüllen kann. "Der Einfluss der Medienwelt auf ein normiertes, gesellschaftlich anerkanntes Aussehen führt bei immer jüngeren Teenagern zum Wunsch nach Schönheitsoperationen als vermeintliche Lösung aller Probleme", schreibt Michaela Langer, Frauenbeauftragte der Stadt Wien.

Schönheitswahn ist kein neues Phänomen: Der Wunsch, schön zu sein, beschäftigt die Menschheit seit jeher. Doch was ist schön? "Der Begriff von Schönheit ist einem stetigen Wandel unterworfen, so hat jede Kultur und jede Zeit auf diese Frage eine andere Antwort", sagt Autorin Maria Deutinger, Leiterin der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie an der Rudolfstiftung Wien. Zwar ist der Gang zu plastischen ChirurgInnen in Österreich noch nicht Alltag, aber die Zahl rein ästhetisch motivierter Operationen steigt deutlich an. Chemische Peelings, Botox, Fettabsaugung: Das Ideal ist ewige Jugend, kleine Nasen, große Lippen und glatte Haut.

Der Schnitt im Schritt

Das Ideal der ewigen Jugend wird seit einigen Jahren in der Intimzone fortgesetzt. Ein neuer Trend in der Schönheitschirurgie ist die operative Verkleinerung der Schamlippen. Dabei wird mit einem Radiofrequenzskalpell der "Überhang" der inneren Schamlippen weggeschnitten. Es handelt sich dabei um die Schönheitsoperation mit der stärksten Zuwachsrate. In "Wahnsinnig schön" bekam das Thema folglich ein eigenes Kapitel. Sylvia Unterdorfer schreibt darin, dass in Deutschland bislang geschätzte 20.000 ästhetische Eingriffe an den Schamlippen vorgenommen wurden.

Den Auslöser für den Boom sehen ExpertInnen darin, dass die Schamgegend weniger tabuisiert wird als früher. Als ästhetisches Vorbild dienen nicht selten Pornodarstellerinnen, die selbst einen operativen Eingriff hinter sich haben. Risiken wie Infektionen, Narbenschmerzen und Verlust des Lustempfindens werden von den Patientinnen in Kauf genommen. Die SchönheitschirurgInnen freut es: Eine Operation an den Labien ist weitaus unkomplizierter als zum Beispiel eine Augenlidersttraffung oder Nasenkorrektur und schnell verdientes Geld. Im Gegensatz dazu werden Hodenstraffungen bislang nur vereinzelt angeboten und genutzt, schreibt Unterdorfer.

Perfektion

"Alles muss perfekt sein", sagt Maria Deutinger. Perfekter Körper, perfekte Vagina, perfekte Familie, perfekte Wohnung, perfekter Beruf: Das sei auch Ausdruck innerer Rastlosigkeit. Themen wie Alter, Tod und Vergänglichkeit rücken in den Hintergrund - die neue Religion heißt Schönheit. Die Autorin stellt die Frage: "Wenn wir alle perfekt sind und dann einander gleichen, wie ein Ei dem anderen, was kommt dann? Macht uns das alle liebenswerter?" (Julia Schilly/derStandard.at, 03.01.2010)