Zur Person

Sara Elisa Rosales, Sozialwissenschafterin aus Honduras, Autorin mehrerer Bücher zB. eines Werkes über die schädlichen Folgen der Geldüberweisungen von ausgewanderten Arbeitskräften für die Daheimgebliebenen (Spanischer Titel "Migración, remesas y género: viajeras invisibles").

In der Widerstandsfront ("Frente nacional de resistencia popular") von Honduras sind 42 soziale Organisationen vereinigt. Als deren Sprecherin kam Rosales zu mehreren Vorträgen und zur Kontaktaufnahme mit Politikern nach Wien.

Foto: Andy Urban

Im zentralamerikanischen Krisenland Honduras haben sich 42 Organisationen – Gewerkschaften, Frauen etc. – zur "Widerstandsfront"  zusammengeschlossen. Mit deren Vertreterin Sara Rosales sprach Erhard Stackl.

*****

STANDARD: Ihre Bewegung hat die Wahlen in Honduras boykottiert. Warum?

Rosales: Wir hatten zum Nichtwählen aufgerufen, weil es sich um ein Militärregime handelt, um ein De-facto-Regime, das kein legitimes Resultat hervorbringen konnte. Und nach den Wahlen, mit dem hohen Anteil an Nichtwählern, bestanden wir weiter darauf, dass eine verfassungsgebende Nationalversammlung einberufen werden muss. Das böte einen echten Ausweg aus der Krise. Denn derzeit existieren drei Präsidenten im Land: Der legitim gewählte ist bis 27. Jänner Manuel Zelaya. Der Präsident de facto ist Roberto Micheletti und der neue Präsident, der angeblich die Wahlen gewonnen hat, soll Porfirio Lobo sein. Sein Anspruch ist aber eine Konsequenz des Staatsstreichs, weshalb die Bevölkerung damit nicht einverstanden ist.

STANDARD: Der bekannte mexikanische Politologe Jorge Castaneda weist darauf hin, es sei schon öfters vorgekommen, dass auch Diktaturen zu Wahlen aufgerufen haben – zum Beispiel in Chile 1989. Das könnte eine Lösung sein, um von einem illegitimen Regime zur Demokratie zu gelangen, meint er.

Rosales: So sehen das manche Leute. Aber wir sind der Meinung, dass unter einem unterdrückerischen Regime, in einem militarisierten Land, einer illegitimen Obersten Wahlbehörde, deren drei Richter zugleich parteiische Parlamentsabgeordnete sind, ein Wahlschwindel organisiert worden ist.

STANDARD: Die Idee einer verfassungsgebenden Versammlung gab es schon früher? Die sogenannte "vierte Urne", mit der Präsident Zelaya am Wahltag ein Referendum einleiten wollte, hatte wohl auch damit zu tun?

Rosales: Es geht nicht nur um Zelaya, damit das einmal klar ist. Die "Front" hat sicherlich einige Vorschläge von Präsident Zelaya unterstützt, auch die Idee, bei den Wahlen im November eine vierte Urne aufzustellen, um darüber abzustimmen, ob es ein Referendum über eine Verfassungsversammlung geben soll – ja oder nein. Und deswegen ist es zum Staatsstreich gekommen.

Wir glauben, dass Honduras grundlegende Veränderungen braucht.  Veränderungen, nach denen nicht mehr, wie jetzt, zehn Familien die Wirtschaft und die Politik des Landes beherrschen und 90 Prozent der Bevölkerung ausschließen. Das hat soziale Ungleichheit und alle möglichen Probleme geschaffen: Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, Mangel an Chancen, Analphabetismus, schlechte Gesundheit etc. Die gegenwärtige Verfassung repräsentiert die Interessen dieser zehn Familien, und wir, der Rest, sind mehr als sieben Millionen Einwohner. Wir verlangen ein Plebiszit, wir wollen darüber bestimmen können, was in unserem Land geschieht.

STANDARD: Wollen Sie damit den gleichen Weg einschlagen wie Venezuela unter Präsident Hugo Chávez, wie Bolivien und Ecuador?

Rosales: Nein. Jedes Land hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Charakteristiken. Bei uns gibt es schon seit Jahrzehnten soziale Bewegungen. Das hat nichts damit zu tun, was ein südamerikanischer Präsident sagt oder nicht sagt. Es gibt dafür gesellschaftliche Gründe in unserem Land, die grundlegende Veränderung, mehr Demokratie, mehr Teilnahme der Bevölkerung und all ihrer Teile nötig machen. Nehmen sie zum Beispiel die Jugend. Sie bildet in Honduras 67 Prozent der Bevölkerung und sie hat nur sehr wenige Chancen.

Die Frauen machen mehr als 51 Prozent der Bevölkerung aus, doch wir sind von den Entscheidungen ausgeschlossen. Von 298 Bürgermeistern sind 20 oder 21 Frauen. Im Kongress gibt es unter den 128 Abgeordneten 30 Frauen, von denen die Mehrheit nicht die einfachen Frauen auf dem Land oder Arbeiterinnen repräsentiert, sondern andere Interessen. Wir, die Frauen, wollen Partizipation, und das hat uns niemand von außen eingeredet. Das trifft auch auf die Schwarzen zu, auf die Indigenas und auf viele andere Gruppen. Es gibt sieben indigene Ethnien in Honduras, und sie hatten nie eine Chance. Sie wollen für ihre Natur- und Bodenschätze selbst verantwortlich sein, doch das ist derzeit nicht möglich.

STANDARD: Wie schaut die Menschenrechtslage in Honduras derzeit aus?

Rosales: Nach den Wahlen hat sich die Lage verschlechtert. Es gibt Morde, Paramilitärs treten auf. Der Menschenrechtsaktivist Walter Trochez, der sich besonders um die Homosexuellen und Lesben gekümmert hat, wurde getötet. Er wurde Anfang Dezember von maskierten Männern entführt. Es gelang ihm, zu entkommen, doch dann wurde er mitten in der Stadt Tegucigalpa aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen.

In den Armenvierteln taucht die Polizei zusammen mit maskierten Männern auf, um nach Leuten zu suchen, die im Widerstand aktiv sind. Sie dringen in Häuser ein, nehmen illegale Verhaftungen vor. Nationale Menschenrechtsorganisationen registrieren all diese Fälle, um sie an die interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) und an die UNO weiter zu leiten. Sie haben auch verlangt, dass die internationalen Organisationen nach Honduras kommen und die Lage selbst überprüfen sollen, doch die UNO hat einen Besuch erst für den März angekündigt. Bis dahin sind wir schon alle tot.

STANDARD: Gleich nach dem Putsch gab es für Präsident Zelaya von Regierungen aus der ganzen Welt Unterstützung. Inzwischen schaut es anders aus, nur wenige unterstützen ihn noch bedingungslos.

Rosales: In Lateinamerika haben nur zwei Staaten das Ergebnis der Wahlen anerkannt: Panama und Kolumbien.

STANDARD: Und Costa Ricas Expräsident Oscar Arias, der als Vermittler eingeschaltet war.

Rosales: Arias hatte schon immer eine schwankende Haltung, aber grundsätzlich unterstützen die Staaten Lateinamerikas und der Karibik die Position Zelayas und des Widerstands, der eine friedliche Bewegung darstellt. Unsere Kampfmethode besteht ausschließlich in der sozialen Mobilisierung, wir haben keine Waffen. Die Waffen hat das Heer.

STANDARD: Die USA hatten zunächst Vermittler ausgeschickt, die mit Micheletti sprachen und eine Wiedereinsetzung Zelayas erreichen sollten. Doch nach den Wahlen haben sie offenbar ihre Meinung geändert?

Rosales: Sie haben sie geändert und gesagt, dass sie die Wahlen anerkennen werden, wenn es passt ... Wir sind mit niemandem verheiratet, sagte Obama. Wir von der Widerstandsfront schätzen die Nichtwähler auf 65 bis 70 Prozent. Dabei mussten viele Leute gezwungenermaßen hingehen. In den Unternehmen mussten die Arbeiten am Montag danach den mit Tinte gefärbten Finger herzeigen, den man in Wahllokal bekam – sonst wären sie entlassen worden. Ist das Demokratie? Zur Wahl gezwungen zu werden, weil man sonst seine Arbeit verliert?

STANDARD: Welche Rolle hat der US-Botschafter in Tegucigalpa gespielt?

Rosales: Er sagte, dass er den Dialog favorisiert, das war immer seine Position. Botschafter Hugo Llorens sprach mit allen Organisationen, einschließlich der Widerstandsfront, er hat darum ersucht.

STANDARD: Er ist also kein Diplomat im Stil von John Negroponte, der in den 1980er Jahren von Honduras aus die Contra-Rebellen gegen Nicaraguas sandinistische Regierung unterstützte?

Rosales: Nein. Er sagte, dass er offen sei, und nach dem Putsch war er einer der wenigen Diplomaten, die in Honduras geblieben sind. Wie er sagte, sei er aufgrund von Instruktionen der Señora Clinton geblieben, um den Dialog zwischen den Streitparteien zu unterstützen.

STANDARD: Aber dann war die Haltung der US-Regierung plötzlich nicht mehr so eindeutig. Gegenüber Vertretern Brasiliens, in dessen Botschaft in Honduras sich Zelaya aufhält, haben US-Vertreter zunächst gesagt, dass es beim Dialog nur noch um freies Geleit für Zelaya gehe, nicht mehr um dessen Rückkehr ins Amt. Aber auch das ist ja vor Weihnachten offenbar schief gegangen?

Rosales: Ja, es ging um freies Geleit für Zelaya, damit er sich in der Dominikanischen Republik mit Porfirio Lobo treffen könnte. Die Bedingung war, dass Zelaya auf alle Ansprüche auf die Präsidentschaft verzichtete, was er ablehnte. Er ist bis 27. Jänner der legitime Präsident. Bei der Aussprache mit Lobo hätte es um einen Ausweg aus der Krise gehen sollen. Denn solch eine tiefe Krise der Legitimität, der Institutionen, des gesamten Systems haben wir schon seit 20 Jahren nicht mehr gehabt. Und die Wirtschaft liegt auch auf dem Boden.

Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Kleinunternehmer sind bankrott, die informelle Wirtschaft, jener Sektor, im dem 63 Prozent der Frauen tätig sind hat ihre kleinen Geschäftsmöglichkeiten verloren. Die Leute kaufen nichts mehr. Auch deshalb will die Widerstandsfront diese Entwicklung einbremsen. Wir fürchten, dass Micheletti vor der Amtsübergabe an Porfirio Lobo am 27. Jänner noch rasch ein Belastungspaket umsetzen will, damit man es nicht Lobo anrechnet. Es geht dabei um die Erhöhung der Verkaufssteuer, die derzeit bei 12 Prozent liegt, höhere Steuern auf elektrische Energie und alle anderen Bereiche der Basisversorgung wie Wasser und Telefon; die Abwertung der Währung. Das wäre sehr schwerwiegend für uns. Das wollen wir stoppen.

STANDARD: Wo stehen die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter?

Rosales: Es gibt drei Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter in Honduras und sie sind alle Teil der Widerstandsfront, zusätzlich gehören auch zwei Landarbeitergewerkschaften und Vereinigungen von Wohnvierteln dazu.

STANDARD: Gibt es weitere Streikpläne?

Rosales: Wir haben mehrere landesweite Streiks abgehalten. Jetzt analysiert die Widerstandsfront die weitere Vorgangsweise. Auch die internationale Gemeinschaft soll begreifen, dass mit den Wahlen in Honduras nichts gelöst worden ist. Die Alternative ist die verfassungsgebende Nationalversammlung. Die Widerstandsfront wächst beständig und deshalb glauben wir, dass wir Erfolg haben werden. Wir arbeiten friedlich und wollen Gerechtigkeit. Es darf nicht sein, dass es Straflosigkeit für Leute gibt, die mehr als 30 Menschen ermordet haben, die den Staat militarisiert haben, die mehr als 30 Frauen durch das Heer vergewaltigen ließen, die alle politischen Anführer der Frente verfolgen. Es darf nicht sein, dass jene, die die Regierung gestürzt haben, nicht bestraft werden. Deshalb verlangen wir Gerechtigkeit. (Langfassung des in DER STANDARD, Printausgabe, 5.1.2010 erschienenen Interviews)