"Wir haben eine klare Zielgruppe, ein weltanschauliches Korsett. Wir sind irgendwie links. Das ist wichtig, so wissen die Leute, was sie bei uns erwartet", sagt Jakob Augstein über den "Freitag".

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Jakob Augstein: "Wir glauben daran, dass man seine Inhalte kostenlos im Netz verbreiten muss, soweit man überhaupt kann, und sie so vielen Leuten wie möglich zugänglich macht."

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Vor eineinhalb Jahren kaufte Jakob Augstein die angeschlagene Wochenzeitung "Der Freitag". Seither versucht er, mit einem überarbeiteten Wochenblatt und einer neuen Onlinestrategie bei den Lesern zu punkten, obwohl er zuvor nie in einer Onlinecommunity aktiv war. Im Gespräch mit derStandard.at spricht er über die Einbindung der Leser und warum es in Deutschland nur einen relevanten Blogger gibt. Warum er glaubt, mit der Verschmelzung von Print und Online erfolgreich zu sein, obwohl man Online kein Geld verdienen könne und das Print-Geschäftsmodell schwer angeschlagen sei, erzählte er Michael Kremmel.

derStandard.at: Sie versuchen beim "Freitag" die enge Verschmelzung von Print und Online. Welche Möglichkeiten haben die Nutzer, um aktiv am "Freitag" mitzuwirken?

Jakob Augstein: Die Leute können sofort nachdem sie ihre E-Mailadresse abgegeben haben, im Internet kommentieren. Da gibt es keine zusätzlichen Kontrollen, der Kommentar wird geschrieben und gleich veröffentlicht. Weiters können die Benutzer einen Blog reinstellen. Wenn wir einen Blogbeitrag gut und gelungen finden, holen wir den nach vorne auf die Startseite oder auch auf eine der Ressortseiten und versehen ihn manchmal mit einem Foto und einer Überschrift und machen ihn so zum Teil des Korpus des "Freitag". Wir machen dadurch deutlich, dass wir den Text gut finden. Wenn der Text richtig gut ist, dann kommt er auch in die Printausgabe und der Nutzer bekommt dafür das übliche Zeilenhonorar. Online gibt es kein Geld, nur Print gibt Geld.

derStandard.at: Wie sinnvoll ist es, Texte, die schon zuvor Online gestanden sind, nochmals abzudrucken?

Augstein: Es gibt viele Leute, die lesen bei uns nur die Zeitung, aber noch mehr lesen nur Online. Print erwischt die Leute in einem anderen Moment in ihrem Leben. Und der Text bekommt ein anderes Gewicht und Wichtigkeit, wenn er auf Papier gedruckt wird. Ich bin überhaupt nicht der Ansicht, dass sich Print überlebt hat. Print wird bleiben, wird aber eine andere Funktion haben, als das bisher der Fall war. Wenn wir die Texte in Print bringen, adeln wir sie auf eine besondere Art und Weise.

derStandard.at: Bis jetzt liegt die Zahl der Texte, die von Benutzern verfasst sind und in Print erscheinen, bei fünf bis zehn Prozent. Fehlt den Texten die Qualität?

Augstein: Nein, das ist ein Missverständnis zu glauben, dass es mehr werden sollen. Bei zehn sind wir noch nicht, ich hätte gerne, dass wir dorthin kommen. Aber das zu quantifizieren, ist willkürlich. Es ist gut, wenn ein kleiner, aber relevanter Anteil von den Lesern kommt. Ich glaube nicht, dass gar die Mehrzahl der Beiträge von den Lesern kommen sollte. Journalisten sind Journalisten und machen den Job für Leute, die für die Zeitung Geld bezahlen. Das soll so bleiben und wird auch so bleiben. Gleichzeitig aber gibt es extrem viel Leser, die uns etwas mitzuteilen haben. Für die öffnen wir die Zeitung. Wir wollen aber keine Zeitung, die nur aus Leserbeiträgen besteht.

derStandard.at: Trotzdem ist es Ihr Ziel, die Redaktionshierarchie in nur mehr drei Bereiche zu gliedern: Community, Ressortleitung und Chefredaktion?

Augstein: Das gilt natürlich nur für Online. Man verzeiht einem Onlinetext viel mehr als einem Printtext. Ich glaube, dass sich ein Großteil der Benutzertexte für Online sehr gut eignet, aber nur ein kleiner Teil eignet sich für Print. Die Leute können nun mal nicht so schreiben, wie man es sich als Leser einer Zeitung erwartet. Einfach deshalb, weil es nicht ihr Job ist, so zu schreiben. Aber das Problem ist ja altbekannt, das hat jede Zeitung, wenn der sprichwörtliche Professor einen Text für die Zeitung verfasst. Die Menschen wissen ungemein viel, können das aber nicht lesbar aufschreiben. Aber bei uns ist beides zusammen, Print und Online, "Der Freitag", und obwohl beides nach eigenen Gesetzen funktioniert, ist das ein integriertes Produkt.

derStandard.at: Trotzdem beklagen Sie, dass sich sehr wenige Blogger in ihrer Community mit der Darstellung äußerer Ereignisse befassen und viel mehr mit den Inhalten aus ihrem Leben und ihrem Umfeld. Weniges mit Faktentreue sei zu finden.

Augstein: Absolut, das finde ich eine berechtigte Klage von mir. Wenn ich mir überlege, wie viele Leute an spannenden Sachen arbeiten, oder spannende Dinge erleben, sei es bei ihrer Arbeit, bei Reisen, oder mit grenzüberschreitenden Projekten in Unternehmen und Universitäten. Oder sie entdecken Missstände in Behörden und Abteilungen. Das sind doch alles Themen, die mich als Leser unheimlich interessieren würden. Diese Leute, die wissen wovon sie reden, könnten unmittelbar Erlebtes und Erfahrung beisteuern. Als Journalist muss ich ja stundenlang recherchieren, während die das nur aufschreiben müssten.

derStandard.at: Worin liegen aber die Motive und die Motivation für einen Blogger, um sich ausgerechnet beim "Freitag" zu beteiligen?

Augstein: Weil wir ihn dazu einladen, weil Menschen ein Mitteilungsbedürfnis haben. Immer wenn sie den Menschen ein Mittel der Kommunikation in die Hand geben, dann nutzen sie das. Und es gibt es eine Fülle an Motiven: Um sich bemerkbar zu machen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen, manche Leute möchten dies vielleicht aus einem Belehrungstrieb tun. Das sind alles legitime und erwartbare Antriebe und gleichzeitig stelle ich fest, dass wir weniger Texte haben, als ich gerne hätte, die sich mit Inhaltlichem beschäftigen. Immer, wenn wir aber so einen Text finden, wird es dadurch belohnt, dass wir ihn produzieren und auf die Startseite bringen. Unsere Community soll sich auch dahingehend entwickeln, dass sie bemerkt: Wenn ich hier inhaltlich schreibe, werde ich besonders willkommen geheißen.

derStandard.at: Sie sagen, Markus Beckedahl sei nach den Kriterien der alten Medien der einzig relevante Blogger in Deutschland. Was muss ein Blogger ihrer Meinung nach leisten um relevant zu sein?

Augstein: Das hab ich mal so gesagt, ja. Beckedahl ist relevant, weil er bei den Themen, mit denen er sich beschäftigt, Artikel geschrieben und Informationen an die Öffentlichkeit gebracht hat, die auch richtige Konsequenzen hatten. Und Relevanz lässt sich dort leicht messen, wo es Konsequenzen gibt. So viele Blogger gibt es nicht, die Sachen veröffentlichen, wo dann Politik, Behörden und auch die Industrie reagieren müssen. Ich wundere mich aber, weshalb das so ist. Es war nie leichter, auf Missstände aufmerksam zu machen als heute.

derStandard.at: Haben Sie sich, bevor Sie den "Freitag" übernommen haben, oft in Internet-Communities und Foren aufgehalten?

Augstein: Nein, nie. Halt doch, einmal, in einem Forum fürs Tuning amerikanischer Autos.

derStandard.at: Wie schwierig ist es, sich dem Leser oder in weiterer Form auch dem Mitarbeiter in der Öffentlichkeit zu stellen?

Augstein: Sich dem zu stellen, ist nicht schwierig. Das ist, glaube ich, eine Charakterfrage. Das mag man entweder, oder nicht. Ich hab damit gar kein Problem. Ich find das gut und lustig und mir macht das Spaß. Der Kommunikationsprozess ist kompliziert, fehleranfälliger, missverständnisreicher, brisanter und heikler. Das ist auch ein Mitgrund, warum in vielen Communities oft ein aggressiver Ton herrscht. Die Leute haben den anderen nicht vor Augen, sie schreiben in ein virtuelles Nichts hinein, obwohl am anderen Ende jemand sitzt, der sich angesprochen und betroffen fühlt. Dadurch gibt es oft diese Neigung zur Eskalation. Man muss lernen damit umzugehen.

derStandard.at: Beim "Freitag" moderieren Sie Kommentare wenn, dann nur im Nachhinein. Trotzdem ist das Diskussionsniveau großteils sachlich, im Vergleich zu anderen Foren. Woran liegt das?

Augstein: Erstens sind wir nicht sehr groß, bei großen Foren ist es schwierig, das Niveau zu halten. Wir haben eine klare Zielgruppe, ein weltanschauliches Korsett. Wir sind irgendwie links. Das ist wichtig, so wissen die Leute, was sie bei uns erwartet. So haben wir eine einigermaßen weltanschaulich homogene Gruppe. Keiner zerfetzt sich zwar so wie die Linken untereinander, aber trotzdem gibt es eine Art verwandtschaftliches Plateau, auf dem sich das alles abspielt. Und dann ist es ganz wichtig, dass wir ein gutes Community-Management haben. Wir haben sehr gute Leute, die dafür zuständig sind, permanent in dieser Community anwesend und sichtbar zu sein. Wir lassen die Community nie allein.

derStandard.at: Worauf muss bei einer Community geachtet werden?

Augstein: Eine Community ist wie ein Garten. Man muss immer da sein, und sich immer darum kümmern. Und wenn man die Arbeit richtig gut macht, dann hat man das Gefühl, es ist ein angenehmes und natürliches Umfeld. Und nur diejenigen, die sich wirklich auskennen, wissen, wie viel Arbeit da wirklich drin steckt. Wenn man die Community aber in Ruhe lässt, dann verwildert der Garten, verliert seine Form und das Unkraut wuchert überall. Man muss eine Community pflegen wie einen Garten. Kommunikation muss man pflegen, sonst degeneriert und zerfällt sie.

derStandard.at: Sie sagen, das Geschäftsmodell des Printjournalismus ist kaputt und Online verdienen sie nichts. Wie lautet Ihr funktionierendes Geschäftsmodell?

Augstein: Das Geschäftsmodell über Anzeigen 50 bis 60 Prozent der Erlöse zu erzielen, ist vielleicht noch nicht richtig kaputt, aber schwer angeschlagen. Uns gelingt dieses Geschäftsmodell jedenfalls nicht mehr. Wir kriegen keine Printanzeigen und ich glaube auch nicht, dass wir in absehbarer Zeit viele bekommen werden. Ich weiß aber, dass bei uns das Abogeschäft ziemlich gut funktioniert und wir dort Hoffnungen haben können, auf einen grünen Zweig zu kommen.

derStandard.at: Ist Ihre Onlinestrategie dann einzig darauf ausgerichtet, mehr Leser als Abonnenten zu gewinnen?

Augstein: Rein ökonomisch betrachtet, ist unsere Onlinestrategie darauf ausgerichtet, die Marke bekannt zu machen und Abonnenten zu werben. Bei uns kommen die meisten Abonnentenneuzugänge übers Netz. Auf der dritten Ebene, das ist dann aber mehr ideologisch als pragmatisch, glauben wir an das Chris Anderson Dogma von "Free" im Internet. Wir glauben daran, dass man seine Inhalte kostenlos im Netz verbreiten muss, soweit man überhaupt kann, und sie so vielen Leuten wie möglich zugänglich macht. Dann kann man auf Dauer auch irgendwie Geld dafür bekommen. Im "irgendwie" liegt natürlich die Unschärfe, das Wunschdenkerische, und ich kann die Frage selber nicht beantworten, wie das vonstattengehen soll. Das weiß aber keiner, darum versuchen ja alle Geld für ihren Content im Internet zu verlangen. Ich glaube aber nicht, dass das funktionieren wird.

derStandard.at: Wie viel Zeit haben Sie, um mit Ihrer Strategie zu experimentieren?

Augstein: Zum Experimentieren haben wir gar keine Zeit. Wir wissen, wie es für uns funktionieren kann, und haben genug Zeit herauszufinden, ob es funktionieren wird. Wir können nur auf ein organisches Wachstum setzen und denken da eher an einen Zeithorizont von fünf als von zwei Jahren. Es könnte aber auch länger dauern, aber nicht viel länger. Wir könnten auch schon früher sehen, dass es nicht funktioniert.

derStandard.at: Wäre der "Freitag" in dieser Form möglich gewesen, wenn es die Zeitung davor nicht gegeben hätte?

Augstein: Ganz klares Nein. Wir brauchten unbedingt die Zeitung vorher. Das Geld, eine Zeitung zu gründen, hat heute ja kaum einer mehr. Dafür braucht es sehr, sehr viel Geld und vor allem Zeit. Das was die Zeitung ausmacht, Identität, Seele, Leben, Charakter, das kann man nicht einfach so auf die grüne Wiese stellen, die Batterie einlegen, den Knopf drücken und der Laden läuft. Nein, das muss wachsen, sich entwickeln, Kämpfe durchstehen und Charakter entwickeln.

derStandard.at: Und wie sieht es Online aus?

Augstein: Online funktioniert anders und hat mit Geld auch nicht so viel zu tun. Ein bisschen schon, weil Sie Technik und viel Know-how brauchen, das war für uns auch ein Lernprozess. Aber Online hat viel mehr zu tun mit Ideen, Kreativität, Glaubwürdigkeit und Engagement, und das ist mit Geld alles nicht zu kaufen. Begeisterung ist auch total wichtig, die lässt sich schon gar nicht kaufen. Aber Online ist nun mal so ein komisches Medium, es ist so unkommerziell, das ist ja kein Zufall, dass da kein Geld drin steckt. Da läuft viel mit Herzblut und Begeisterung und das läuft alles ohne Geld.

derStandard.at: Warum glauben Sie, dass man mit Online-Werbung kein Geld machen kann?

Augstein: Das Werbegeschäft im Netz hat während seiner Entwicklung vor Jahren die falsche Richtung eingeschlagen. Es geht um Masse statt um Klasse. Das hat die Preise derart ruiniert, dass man inzwischen bei den "Lousy Pennies" angekommen ist, von denen Hubert Burda gesprochen hat. (Michael Kremmel/derStandard.at/27.1.2010)