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Zur Person

Dominique Strauss-Kahn ist geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds.

Foto: Reuters

Vor etwa einem Jahr sah die weltwirtschaftliche Lage düster aus: eine schwere weltweite Rezession, eine beträchtliche Menge an vernichtetem Vermögen und ein Rückgang bei Handel und Beschäftigung. Doch eine Katastrophe vom Ausmaß der "Großen Depression" wurde - dank einer nie da gewesenen wirtschaftspolitischen Koordinierung der Regierungen in aller Welt - vermieden. Hinterlassenschaft dieser Krise wird, so ist zu hoffen, eine anhaltende Zusammenarbeit sein. Die Weltwirtschaft ist nun auf einem, wenn auch holprigen, Weg der Erholung, und die Finanzlage hat sich deutlich verbessert. Wolken der Unsicherheit aber bleiben, und es gibt noch viel zu tun.

Tatsächlich hat die für den Aufbau eines robusteren Finanzsystems erforderliche Arbeit gerade erst begonnen. Darüber hinaus ist es kein globaler Aufschwung; die Arbeitslosigkeit steigt in den meisten Ländern noch immer; die globalen Ungleichgewichte bei den Ersparnissen wurden bisher nicht in Angriff genommen, und die Lage in den ärmsten Staaten bleibt anfällig. Diese Probleme haben umfassende Implikationen für Stabilität und Frieden weltweit. Erinnern wir uns: Wirtschaftliche Stabilität bildet die Grundlagen für Frieden, und Frieden ist eine notwendige Voraussetzung für Handel und nachhaltiges Wachstum.

Wo also finden wir uns wieder in den Annalen der Wirtschaftskrisen? In politischer Hinsicht befinden wir uns an einem kritischen Punkt, an dem grundlegende Veränderungen am System möglich sind - u. a. deshalb, weil unser kollektives Gedächtnis ausreichend frisch ist, um für den notwendigen politischen Willen zu sorgen.

Was also ist zu tun? Die weltwirtschaftliche Governance, auch beim IWF, muss reformiert werden, um die Realitäten unserer Zeit widerzuspiegeln, und Aufsicht und Regulierung des weltweiten Finanzsektors müssen gestärkt werden. In beiden Bereichen wurden bereits deutliche Fortschritte erzielt.

Unsere Führungen haben in diesem Jahr entschiedene Schritte unternommen, um die G-20 zum wichtigsten Forum für internationale Wirtschaftskooperation zu machen. Sie haben die Ressourcen des IWF verdreifacht, vereinbart, einen Teil des Quotenanteils des Fonds auf unterrepräsentierte Schwellen- und Entwicklungsländer zu übertragen, und sich verpflichtet, einander ihre wirtschaftspolitischen Rahmenwerke zur "gemeinsamen Bewertung" unter Hilfe des IWF vorzulegen. Dieser Peer-Review beruht auf der Erkenntnis, dass die einzelnen Länder nicht mehr erwarten können, ihre wirtschaftlichen Ziele allein zu erreichen, und zielt darauf ab, das Ziel des kollektiven globalen Wohls systematisch in die nationale politische Planung einzubinden.

Präziser gefragt: Was sind für 2010 die Prioritäten der Politik bei der Governance? Im diesem Herbst haben die Mitglieder des IWF den Vorschlägen der G-20 ihre Unterstützung zugesagt und den Fonds gebeten, in 2010 vier zentrale Reformbereiche - die sogenannten "Istanbuler Entscheidungen" - in Angriff zu nehmen: das Mandat des IWF, die Finanzierungsrolle des Fonds, Governance und multilaterale Überwachung. Zunächst werden wir das ursprüngliche Mandat des Fonds, so wie es in der Satzung des IWF formuliert ist und ausgeübt wurde, angesichts der Vielzahl der gegenwärtig die weltweite Stabilität beeinflussenden politischen Strategien im Wirtschafts- und Finanzsektor einer Neubewertung unterziehen. Zwar bleiben die umfassenderen Ziele, globale Finanzstabilität und nachhaltiges Wachstum zu fördern, wichtig. Doch unterstreichen die steile Zunahme der internationalen Kapitalflüsse, der Verknüpfungen auf dem Finanzsektor, der grenzübergreifenden Bestände an Vermögenswerten sowie die Beschaffenheit der aktuellen Krise sämtlich die Notwendigkeit, das Mandat und die Art, wie wir es umsetzen, zu überprüfen.

Zweitens müssen wir eng mit den Mitgliedern zusammenarbeiten, um die optimale Rolle des IWF bei der Finanzierung festzulegen. Viele Länder haben große offizielle Devisenreserven aufgebaut, teilweise als größere Selbstversicherung gegen ungünstige externe Entwicklungen. Eine derartige Selbstversicherung jedoch verkompliziert das nationale Geld- und Wechselkursmanagement, stellt national und global eine Fehlallokation von Kapital dar und steigert das Risiko größerer Finanzkrisen irgendwann in der Zukunft.

Im Rahmen einer Überarbeitung der Kreditfazilitäten des Fonds haben wir für Mitglieder mit solider Politik als vorsorgliche Fazilität die Flexible Kreditlinie eingerichtet. Bisher haben drei Länder (Mexiko, Polen und Kolumbien) diese Fazilität genutzt; Innovationen größeren Umfangs sind vermutlich erforderlich.

Drittens hat das Leitungsgremium des IWF in Istanbul seine Unterstützung für den großen Schritt voran erklärt, den die G-20 vereinbart haben: die Übertragung von Quotenanteilen im Umfang von mindestens fünf Prozent von den überrepräsentierten Ländern auf dynamische, aber unterrepräsentierte Schwellenmärkte und Entwicklungsländer. Diese Änderung markiert einen dringend erforderlichen Schritt, um den Fonds demokratischer zu machen, und räumt den Mitgliedern einen glaubwürdigeren Anteil bei seiner Verwaltung, seinen strategischen Operationen und bei der Festlegung seiner Ziele ein. Größere Legitimität andererseits macht den IWF effektiver, was die Förderung von Wirtschaftswachstum und Stabilität in all unseren Mitgliedsstaaten angeht. Die Mitglieder müssen sich ranhalten, um die Quotenerhöhung von 2008 zu ratifizieren. (Dominique Strauss-Kahn, DER STANDARD, Printausgabe, 5.1.2010)

 © Project Syndicate, 2009. Aus dem Englischen von Jan Doolan.