Viel Wissen macht Kopfweh, wurde drei Millionen Österreichern zum Jahreswechsel wieder einmal die Blattlinie der "Kronen Zeitung" eingehämmert. Dieses Werk der Volksaufklärung auf sich zu nehmen, war ein Verdienst von Prof. Dr. Gerti Senger, die in der Sonntagsnummer über die Macht der Unwissenheit räsonierte. Oft ist Unwissenheit die Chance zu Glück, Erfolg und Erfüllung, behauptete sie und führte, etwas außerhalb ihres redaktionellen Umfeldes, als Beispiele Siegfried und Parsifal an. Nicht dem Wissen, sondern dem Nichtwissen entspringt eine ungebremste Tatkraft und das ermutigende "Bauchgefühl", das neben Siegfried und Parsifal etwa auch schreibende Recken wie Hias Rumpler, Franz Weinpolter und Stephan Pestitschek beflügelt: "Das schaffe ich schon!"

Frau Prof. Dr. Gerti Senger war zwar auch einmal von die- sem ermutigenden "Bauchgefühl" durchdrungen - um dann paradoxerweise doch den Königsweg des Wissens einzuschlagen. Damals thematisierte ich als erste deutschsprachige Psychologin sexuelle Fragen öffentlich, zeigte im Fernsehen, wo der G-Punkt liegen kann (allerdings in harter Konkurrenz mit Nina Hagen) und schrieb in dieser Kolumne (Danke, "Krone"), was Frauen und Männer sich voneinander wünschen. Verständlich, dass diese ungebremste Tatkraft mit schweren Leiden erkauft war: Fragen Sie nicht, was ich einstecken musste, bis ich letztlich den Professorentitel für meine "Volksaufklärung" bekam.

Sie hat ihn für diese patriotische Tat immerhin bekommen. Andere, deren Verdienste um die "Volksaufklärung" kaum geringer sind, auch wenn es ihnen mehr um den D-Punkt als um den G-Punkt geht, warten seit Jahrzehnten vergeblich darauf. So etwa der Herausgeber des Blattes, das es Frau Prof. Dr. Gerti Senger ermöglichte, ihr ermutigendes "Bauchgefühl" volksaufklärerisch auszuleben. Der konnte sich am Wochenende rühmen, die "Krone" wurde durch die Art, wie in der Redaktion Leserbriefe behandelt werden, schon lange in eine neue Richtung gebracht. Man muss sich die Art, wie in der Redaktion Leserbriefe behandelt werden, so vorstellen: Unsere Leser schreiben uns besonders fleißig, oft sogar mehrmals täglich Briefe, um uns zu sagen, was sie über gewisse Vorgänge denken. In diesem selbstreferenziellen System zwischen behandelnder Redaktion und feuchtem Leserfleiß kommt es daraufhin, wie es kommen muss. Weil diese Leserbriefe unabhängig und oft gegen Fehltritte der Politiker erfolgen, kommt es häufig wiederum zu Leserbriefen gegen Leserbriefe, noch häufiger allerdings zu Leserbriefen für Leserbriefe. So entstehen Stimmungen mit neuen Vorschlägen, und oft wird hier mutig und unabhängig eine neue Politik verlangt oder ein sofortiges Aufhören falscher Richtungen gefordert. Das kann Folgen bis hinauf zum Bundeskanzler haben, und Frau Prof. Dr. Gerti Senger hätte den Professorentitel für ihre "Volksaufklärung" vielleicht bis heute nicht, wäre schon damals ein sofortiges Aufhören falscher Richtungen der "Volksaufklärung" bezüglich des G-Punktes mit demselben Nachdruck gefordert worden, mit dem nun Stimmungen gegen die EU oder die Caritas spontan um den D-Punkt kreisen. Eben entstehen. (Danke, "Krone")

Der D-Punkt ist der G-Punkt im Intimbereich der Nation. Wer imstande ist, ihn durch Entwicklung eines ermutigenden "Bauchgefühls" und unter sofortigem Aufhören falscher Richtungen zu ertasten, auf den warten Wonnen einer "Volksaufklärung", die sogar die Art, wie in der Redaktion Leserbriefe behandelt werden, stimulieren, vorausgesetzt, man setzt nicht gleichzeitig ähnliche Hoffnungen in den F-Punkt eines Krawallblattes.

Deutlich am D-Punkt vorbei tappt bekanntlich die Caritas, wie der besonders fleißige Leser aus Strasshof, Stephan Pestitschek, vorige Woche beklagen musste. Durch die Art, wie in der Redaktion Leserbriefe behandelt werden, kam es daher seit dem Wochenende zu einem Leserbrief, der zu differenzieren versuchte, aber gleich zu fünfen, die sich enthusiastisch für den seinen äußerten, ja dessen Einrahmung verlangten, sowie dessen Übersendung in Kopie an einen Bundeskanzler, der derzeit offenbar leicht am D-Punkt vorbeipraktiziert.

So entstehen Stimmungen, die aufs Neue Pestitscheks Jammer erregten. Das niederösterreichische, in der "Krone" zwei Tage zuvor gezeigte Neujahrsbaby heißt Azra Öcel, das steirische Moamer Duzelic. Klar, woher da urdeutschen Pestitscheks der Wind entfährt: Die "Umvolkung" hat bereits mehr als bedenkliche Ausmaße angenommen, und es ist kein Ende abzusehen. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 5.1.2010)