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Mehr als ein Dutzend der 58 französischen Atomreaktoren (Bild: Cattenom) liefern derzeit keinen Strom.

Foto: APA/EPA/Karaba

Die französische Stromwirtschaft befürchtet seit Wochen massive Pannen, die ganze Regionen ins Dunkel stürzen könnten. In einzelnen Städten wie Nizza oder Marseille musste sie die Stromzufuhr kurz vor Weihnachten bereits einmal ein Stunde lang für zwei Millionen Haushalte kappen, um den großen Blackout zu verhindern. In der Bretagne herrscht derzeit elektrische "Alarmstufe rot" - die höchste überhaupt. Die Bürger werden aufgerufen, die Raumtemperaturen um zwei Grad zu senken. Lieber etwas schlottern als vor dem Totalausfall zittern, lautet die Devise an der verschneiten französischen Atlantikküste.

Angespannte Lage

Zum Teil werden die Appelle an die Konsumenten gar per SMS verschickt. Oft eilt es gefährlich. Am Dienstag rechnete der Elektrizitätsverteiler RTE mit dem Schlimmsten. Die kritische Zeit des morgendlichen Spitzenkonsums wurde knapp überstanden, doch für den Abend, wenn die Leute nach Hause kommen und den Stromhahn wieder aufdrehen, drohte neues Ungemach. Zum Glück stieg die Außentemperatur um ein Grad - das verschaffte RTE ein Plus von 500 Megawatt und damit eine kleine Verschnaufpause. "Doch die Lage in der Bretagne wird bis Ende Januar angespannt bleiben", meint Didier Beny, Direktor von RTE-Westfrankreich. "Das Risiko eines Blackouts ist reell und immanent."

Etwas weniger gesprächsfreudig sind die französischen Behörden, wenn es um die Ursachen dieser höchst labilen Lage geht. Dabei ist die Erklärung einfach: Der gewaltige Park der französischen Kernkraftwerke, einer der größten der Welt, kommt mit der Nachfrage kaum mehr mit, wenn es etwas kälter wird. In diesem Winter sind mehr Atommeiler denn je abgeschaltet: Mehr als ein Dutzend der über das ganze Land verteilten 58 Reaktoren liefern derzeit keinen Strom.

Pflanzenreste im Reaktor

Viele von ihnen sind veraltet und müssen monatelang gewartet werden. Bei anderen sind Streiks im Spiel. Im elsässischen AKW Fessenheim, das seit 1977 in Betrieb ist, musste ein Block schon im Oktober für eine umfassende Inspektion vom Netz genommen werden. Nach Weihnachten schaltete die Direktion auch den zweiten Block ab. Wie die Atomaufsichtsbehörde ASN mitteilte, waren "Pflanzenreste" in den Kühlkreislauf geraten.

Dieser Zwischenfall ist symptomatisch für den ganzen nationalen AKW-Park, in dem sich kleine Zwischenfälle immer wieder zu größeren Versorgungspannen ausweiten. Als Folge des "tout nucléaire" - das heißt in der französischen Politik, alles auf die Atomproduktion zu setzen - heizt heute schon ein Drittel der Haushalte elektrisch. Wenn es kalt wird in Außenregionen wie der Bretagne oder der Provence, zeigen sich die Risiken dieser Energiepolitik.

Laufzeit der Atommeiler soll verlängert werden

Seit einigen Wochen muss der traditionelle Stromexporteur Frankreich erstmals seit 27 Jahren wieder Elektrizität aus Nachbarländern einführen. An einzelnen Tagen kauft RTE über 6600 Megawatt im Ausland ein - etwa so viel, wie sechs Atomreaktoren in Frankreich produzieren. Wenn sie nicht abgeschaltet sind.

Die Stromengpässe entlarven auch die gewagte Vorwärtsstrategie von Electricité de France (EDF), die sich mit Dutzenden von Milliarden Euro in die Stromproduktion oder -verteilung in Großbritannien, USA oder China eingekauft hat. Für die Erneuerung der heimischen Stromproduktion - die zu vier Fünfteln aus Kernenergie stammt - bleibt zu wenig übrig. Deshalb versucht die EDF, die Laufzeit der älteren Atommeiler von vierzig auf sechzig Jahre zu erhöhen. Und hofft auf warmes Wetter. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.1.2010)