"Unseen Blue" ist das Herzstück des Museums. Himmelslicht und farblich wechselndes Kunstlicht fließen ineinander.

Foto: Florian Holzherr

Colomé - Als der Schweizer Kunstsammler Donald Hess dem US-Lichtkünstler James Turrell eröffnete, er habe in Argentinien den geeigneten Standort für das erste Turrell-Museum gefunden, reagierte dieser begeistert: In Buenos Aires sei er ohnehin noch nie gewesen. Hess klärte ihn dann auf, dass das Museum auf dem Gelände seines Weingutes in Colomé im Norden des Landes gebaut werde. Zweieinhalb Flugstunden nach Salta, dann noch fünf bis sechs Stunden über eine großteils nicht asphaltierte Schotterstraße mit hunderten Kurven, hinauf auf 2300 Meter Höhe.

Wer so blöd war, keinen Geländewagen zu mieten, fragt sich spätestens die letzte Wegstrecke ab Molinos, ob sich das alles lohne. Diese Frage löst sich mit dem Eintreten ins Museum auf: abwechselnd rotes, grünes, gelbes, blaues und violettes Licht, neun Installationen aus fünf Dekaden auf 1700 Quadratmetern.

Scharf umgrenzte Lichtkegel sind perfekt in Raumecken platziert. In einem abgedunkelten Raum löst sich der Lichtnebel erst nach zehn, 15 Minuten auf, werden Kanten sichtbar, unsubstantiierte Begrenzungen aufgeweicht. Nach einiger Zeit leidet der Orientierungssinn.

Wer in Spread eintaucht, ein über zwölf Stufen zu erreichendes blaues Viereck, das sich dann als begehbarer Raum entpuppt, hat das Gefühl, sich selbst im Licht aufzulösen. Es tauchen plötzlich Wände auf, verschwinden wieder. Vor einem Abgrund weist ein akustisches Signal darauf hin, dass es sich hier um keine Fata Morgana handelt.

Der Museumswächter erzählt von einer Frau, die sich an eine nicht existente Mauer in einer von Turrells Arbeiten lehnte, stürzte und sich das Handgelenk brach. Turrell verlor den Prozess. Die Geschichte erscheint glaubwürdig. Denn die Grenzen des eigenen Körpers werden diffus. "Man sieht sich selber sehen" , beschreibt Turrell das Gefühl. Dieses Zurückgeworfensein auf ganz eigene Wahrnehmungen macht dieses Museum besonders. Licht erfasst, ist sicht-, aber nicht greifbar.

Das Herzstück ist Unseen Blue, der weltweit größte von Turrells "Skyspaces" , seinen Himmelsobservatorien. In dem großen kubusförmigen Raum mit schlichten weißen Säulen, der an das Pantheon in Rom erinnert, richtet sich der Blick unwillkürlich an die Decke. Sie ist offen, gibt den Blick auf den Himmel über den Anden frei. Nur zu Sonnenuntergang ist die ganze Installation zu sehen. Eine computergesteuerte Lichtinszenierung ist auf die natürlichen Veränderungen am Himmel abgestimmt, Farben wechseln in unterschiedlichem Rhythmus. Durch die Verbindung von künstlichem und natürlichem Licht entsteht eine eigentümliche Sogwirkung.

Ein Krater in Wolfsburg

Mehrere "Skyspaces" hat Turrell im Roden Crater in Arizona installiert. Seit 1974 verfolgt der US-Künstler das Ziel, den erloschenen Vulkan zu einem Observatorium auszubauen. Einen Eindruck davon, wie das Projekt aussehen könnte, gibt eine noch bis 5. April geöffnete Ausstellung im deutschen Wolfsburg. Dort realisierte Turrell in der 17 Meter hohen und 40 Meter breiten Halle des Kunstmuseums Ganzfeld, einen um 90 Grad umgestülpten Krater. Es ist die größte begehbare Installation, die Turrell jemals gebaut hat.

Auch in Wien könnte ein "Skyspace" entstehen, wenn der Plan von Peter Noever, Direktor des Museum für angewandte Kunst in Wien (MAK), und weiteren Protagonisten realisiert wird, das derzeit im Flakturm Arenbergpark untergebrachte Gegenwartskunst-Depot zu einem Zentrum für zeitgenössische Kunst, dem Contemporary Art Tower (CAT), auszubauen. Auf einer Plattform sollen nach den Plänen Turrells Besucher den Raum zwischen Himmel und Erde als materialisiertes Farbfeld wahrnehmen können. Schon seit Jahren lässt Turrell die Fenster des MAK allabendlich in kräftigen Farben erstrahlen.

Im urbanen Bereich müssen Turrells Licht-Werke kräftige Akzente setzen, um sich durchzusetzen. In Colomé dagegen wirken die Installationen subtiler, entfalten dann aber mehr Wucht. Auf dem Weg dorthin erfährt man körperliche Grenzen, im Museum werden sie aufgeweicht. Dass das Museum keine Massen anzieht, stört den 66-jährigen Künstler nicht. Wer hierher komme, habe Strapazen auf sich genommen und sei daher aufnahmefähiger. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD/Printausgabe, 07.01.2010)