In die Mündung einer Waffe zu schauen ist eine verzichtbare Erfahrung. Doch ebenso verzichtbar ist es, danach von Schreib- oder Stammtischen zu hören, ob und wie richtig man sich verhalten hat: Es liegt im Wesen der Extremsituation, dass die Reaktion auf sie nicht planbar ist.

Auch Menschen - Polizisten etwa -, die auf das Unvorhersehbare vorbereitet sein sollten, stoßen da an ihre Grenzen: In der Sekunde zu erkennen, ob eine Waffe echt oder nur täuschend echt ist, ist schon im Training „tricky" - und in Todesangst meist unmöglich: Dass man da selbst zur Waffe greift, muss nicht verständlich sein, es ist aber nachvollziehbar. Denn daran, ab nun mit den Folgen der - vermeintlichen - Notwehr leben zu müssen, denkt niemand, während er einen „Bewaffneten" über den Haufen schießt.

Die Schützen sind auch die falschen Adressaten für Fragen, die derlei aufwirft: wieso Waffen immer öfter und immer weniger hinterfragt griffbereit liegen, etwa. Pfefferspray in der Handtasche? Elektroschocker neben dem Taxler? Schlagstock unter der Bar? Pistole unter dem Kassatisch? All das wundert kaum mehr jemanden. 

Doch wenn die Aufrüstung selbstverständlich ist, ist es zu spät, zu diskutieren, ob Gefahren gefühlt oder real sind: Angst kann man nicht wegdiskutieren - man kann nur gegen sie antreten. Das geht auch mit der Waffe unter dem Kopfpolster des Einzelnen. Dann, wenn die Gesellschaft diesen Kampf für verloren hält - und aufgegeben hat. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD Printausgabe 7.1.2010)