Sehr geehrter, wahlkämpfender Herr Landeshauptmann, ich muss Dich leider mit einer Passage aus meinem Buch "Die Burgenbürger" belästigen, in dem ich Dir immerhin die Ehre gegeben habe, als P(r)inz Joe neben Onkel Fred die zweite Hauptfigur zu sein. Während Fred Sinowatz, der ewig Verkannte, in unseren Herzen aber längst Etablierte, die letzte Figur der burgenländischen Sozialdemokratie war, die Herausforderungen noch im Geist der humanistischen Gründungsidee dieser Partei angenommen hat, fühle ich mich von Deinem nun eingeschlagenen Weg des Populismus nur angewidert! Fekters Demokratieverständnis ist eine Katastrophe, aber dass auch Du nun die politische, intellektuelle und menschliche Katastrophe in deinem Hirn und dem Deiner Partei etablierst und einen Weg einschlägst, der sich von den Blauen rhetorisch nicht mehr unterscheidet, ist schlichtweg blamabel!

Die Geschichte spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Steinbruch von St. Margarethen, Joe und Fred sind als Zeitreisende unterwegs:

Auf der Baustelle herrschte ein Wirrwarr an Stimmen und Sprachen. Fred schnappte Brocken von Tschechisch, Slowakisch, Ukrainisch, Rumänisch, Ungarisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch und sogar Türkisch auf. Lediglich die Herren Architekten und Spezialisten bedienten sich der deutschen Sprache. Sieht nach einem frühen Beispiel für Arbeitsmigration aus, sagte Fred, schau dir diese Leute an, das ist ja entsetzlich!

Man stieß auf einen Arbeiter, dem ein herabgefallener Steinblock den Kopf so tief in den Kragen gedrückt hatte, dass er im Inneren seines Brustkorbs verschwunden war. Seine Zigarette hing noch dort in der Luft, wo sie sich vor dem Unfall befunden hatte. Dennoch schichtete er unbeirrt Block auf Block und schien auch weiterhin genüsslich an seiner Zigarette zu ziehen. Einem anderen fehlten beide Unterarme, also hielt er mit den Füßen Hammer und Stemmeisen. Dabei pfiff er eine Weise aus der fernen Bukowina. Ein Dritter war am feinen Staub des Sandsteins erblindet.

Ich werde bei der Bauaufsicht Beschwerde einlegen, sagte Fred, das ist ja schlimmer als in den Kohlegruben der Manchesterkapitalisten! - Was willst du dich beschweren, Onkel Fred!, sagte Pinz Joe, willst du wirklich auch noch ein zweites blaues Auge? Ja, und Arbeitsplätze nehmen sie uns auch weg, dachte er dann, ich bin halt, was soll's, für einen ordentlichen Sozialnationalismus! Er war sich aber nicht sicher, ob er das laut sagen sollte, er war sich bei Onkel Fred überhaupt nicht mehr sicher. Diese Anachronisten der sozialen Idee, dachte er, diese allzu beseelten Kümmerer, diese rührigen Direktempfinder, diese Menschheitsretter gar, die sind überhaupt irgendwie unberechenbar, mögen sie hundertmal Bundeskanzler gewesen sein, Rührseligkeiten in der Politik sind ein alter Hut; wahrscheinlich ist er ja auch deshalb nur drei Jahre Bundeskanzler gewesen!

Gewiss, das ist "nur" Literatur - und ein Arbeitsmigrant ist noch kein Asylsuchender. Dennoch geht es in beiden Fällen um die Entscheidung zwischen zwei Haltungen - einer konstruktiv-solidarischen und einer tendenziell barbarischen. - Aber vielleicht überlegst du es Dir ja, werter Landeshauptmann von Burgenland, und besinnst Dich auf jene Werte, mit denen Du als angeblicher Sozialdemokrat eigentlich aufgewachsen sein solltest! (DER STANDARD-Printausgabe, 7.1.2010)