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Ex-Anwalt und Islamist: Anjem Choudary.

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Wootton Bassett: Jede Woche geht hier ein Trauerzug mit Gefallenen durch, die über die nahe Airbase heimgeflogen wurden.

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Medien und Politiker gehen ihm freimütig auf den PR-Leim.

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Wäre er nicht Hassprediger, könnte Anjem Choudary viel Geld in der Werbung verdienen. Der 42-jährige Engländer ist ein Naturtalent: Immer wieder bringt er mit geringstmöglichem Aufwand seine kruden islamistischen Thesen unters Volk und spielt dabei so geschickt auf der Klaviatur der Medien, bis die Nation kopfsteht.

Diesmal hat der Chef der verbotenen Extremistenorganisation Al-Muhajiroun auf seiner Website einen Protestmarsch mit leeren Särgen gegen den Afghanistan-Krieg angekündigt. So weit, so konventionell, wäre da nicht der Schauplatz der Demonstration: Im mittelenglischen Marktflecken Wootton Bassett nehmen mindestens einmal in der Woche ganz normale Bürger, Armeeveteranen und die nächsten Angehörigen Abschied von gefallenen Soldaten. Die Prozession über die Hauptstraße des Städtchens rührt die Herzen einer Nation, die mehrheitlich am Sinn der Hindukusch-Expedition zweifelt, sich aber instinktiv um ihre Armee schart. Außer dem Königshaus genießt keine Institution auf der Insel höheres Ansehen als das Militär.

Genau da setzt Choudary an. Muslime hätten das Recht, sich "mit allen Mitteln" gegen ihre "Unterdrückung" in Großbritannien zu wehren, hat der gelernte Anwalt früher gesagt und damit indirekt die Suizidattentate auf die Londoner U-Bahn und einen Doppeldecker-Bus verteidigt. Die Parade eines heimkehrenden Regiments verurteilte er als "Marsch brutaler Mörder" . Anhänger des Islamistenführers protestierten gegen die Parade in Luton mit Plakaten wie "Britische Soldaten sind Mörder und Vergewaltiger" , seit Montag stehen sie wegen Volksverhetzung vor Gericht.

Choudarys jüngstes Vorhaben füllt seit Tagen die Titelseiten der Londoner Boulevardblätter, eilfertig distanzieren sich seriöse Muslim-Organisationen vom früheren Vorsitzenden des muslimischen Anwaltsverbandes, der inzwischen wegen seiner radikalen Ansichten aus der Anwaltskammer verbannt wurde. Auch Spitzenpolitiker wie Premier Gordon Brown und Oppositionsführer David Cameron gehen dem Islamisten auf den PR-Leim. "Entsetzt, empört, kotzelend" fühlen sie sich, wollen den geplanten Marsch verbieten, von dem der vermeintliche Organisator treuherzig sagt: "Ich weiß nicht, ob er stattfindet. Ich bin eigentlich an Konfrontation nicht interessiert." Seine eigentliche Motivation vertraute Choudary einem BBC-Interviewer an: "Wenn ich unsere Demo nicht in Wootton Bassett halten würde, hätte ich nicht die Aufmerksamkeit der Medien." Und weil er schon einmal im Scheinwerferlicht stand, schob der geschickte Propagandist gleich noch eine Provokation hinterher. In einem offenen Brief an die Hinterbliebenen getöteter Soldaten fordert Choudary dazu auf, zum Islam überzutreten: Nur so könnten sie sich "vor dem Höllenfeuer retten" . (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, Printausgabe, 7.1.2010)