Islam Kalimatovs Kinder sprechen Deutsch, er selbst hat einen Job in Aussicht. Der Familie aus Inguschetien droht nun die Abschiebung aus Österreich

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Wien - "Wie ich das aushalten soll, weiß ich nicht. Ich bin nicht aus Eisen", sagt Islam Kalimatov. In dem kleinen Zimmer eines Flüchtlingsheims in Wien sitzt der 41-jährige Inguschete auf einem bunten Sofa und starrt auf seine Hände. Am Esstisch daneben schluchzt seine Tochter Marina (10), Zalina (11) und Chadi (8), die beiden Schwestern, blicken erschrocken zu ihrem Vater herüber; Zalina hackt gedankenverloren mit einem Kuli auf das Muster im Tischtuch ein.

Die vier stehen unter Schock - in ihrem jahrelang von Krieg und Flucht geprägten Leben nicht zum ersten Mal. Und: Sie haben Angst vor dem, was auf sie zukommt. Dabei schien sich ihre Existenz bis vor einem Monat wieder normalisiert zu haben: Der Vater, ein ausgebildeter Schweißer und als subsidiär Schutzberechtigter zur Arbeitsaufnahme berechtigt, hatte von einer Montagefirma eine Jobzusage, mit seiner zweiten Frau Aza - aus Inguschetien wie er - verstanden sich die Mädchen gut.

Trotz Heirat nach Polen abgeschoben

Doch am 15. Dezember 2009 wurden Aza Kalimatov und deren eigene Tochter abgeholt und in Schubhaft genommen, tags darauf nach Polen abgeschoben, weil dieses Land für ihr Asylverfahren zuständig ist. Dort befinden sie sich jetzt in einem Lager. Zwar hatte Aza nach der standesamtlichen Heirat mit Islam im Oktober 2009 einen Antrag auf humanitären Aufenthalt gestellt: Doch laut Gesetz kommt dem keine aufschiebende Wirkung zu.

Kalimatov und Kinder verlieren Status Schutzberechtigte

Außerdem: Für den 26. Jänner hat der Inguschete im Bundesasylamt Traiskirchen eine Ladung: "Zwecks Prüfung der Durchführung eines Aberkennungsverfahrens", wie auf der Benachrichtigung steht. "Herr Kalimatov und die drei Mädchen sollen den Status als subsidiär Schutzberechtigte verlieren und aus Österreich weg", deutscht das seine Rechtsberaterin aus. Weshalb, sei "unverständlich, rechtlich wie menschlich" - angesichts dessen, was die Familie hinter sich habe.

Tod durch Aortariss 

Zum Beispiel vor zweieinhalb Jahren, im August 2007, als der Tod von Islam Kalimatovs erster Frau Eliza im Mittelpunkt des Medieninteresses stand. Die Mutter Zalinas, Marinas und Chadis, die mit den Ihren ein Jahr davor aus dem Bürgerkrieg in der tschetschenischen Nachbarrepublik geflohen war, starb im neunten Schwangerschaftsmonat 40-jährig an einem Aortariss. Sie war im Erstaufnahmezentrum Thalham (Oberösterreich) zusammengebrochen. Die Frage, ob die notärztliche Hilfe rasch genug kam, wurde wochenlang diskutiert. Angeblich war aufseiten der Eingreifenden das Wort "Simulantin" gefallen.

Traumatisierungen

Danach habe auch er sich "wie tot" gefühlt, erzählt Kalimatov. Ein Psychologe bescheinigte ihm ein Wiederaufleben früherer Traumatisierungen: In seiner Heimat Inguschetien war er im Krieg schwer verletzt worden, hatte mehrfach das Sterben anderer mit ansehen müssen. Auch seine drei Töchter brauchten nach dem Tod der Mutter Psychotherapie; sie benötigen diese laut vorliegendem Befund des Kriseninterventionszentrums für Kinder, Boje, immer noch: An sich Grund genug, um einen Verbleib in Österreich zu ermöglichen.

Abschiebung trotz Deutschkenntnissen und Kursen

Dass die Kinder und er Österreich jetzt dennoch verlassen sollen, macht Islam Kalimatov völlig ratlos: Die Töchter würden doch schon gut Deutsch sprechen, Zalina gehe sogar in die Mittelschule. Außerdem: "Ich habe vom AMS drei Schweißerkurse bezahlt bekommen, das hat Steuergeld gekostet. Könnte sich Aza um die Kinder kümmern, so könnte ich über mehrere Tage auf Montage fahren. Schweißer werden doch gebraucht!", sucht er nach Argumenten. Dann blitzt kurz der Zorn in ihm auf: "Ich habe nichts mehr zu verlieren."(DER STANDARD Printausgabe 7.1.2010)