Innsbruck - Zuweilen wirkt Heiner Brand, der Deutschen liebster Schnauzbart, wie eine Marionette. Erst wenn an den richtigen Fäden gezogen, also angeworfen wird, kommt Leben in den 57-jährigen Gummersbacher, der als erster Handballer sowohl als Spieler (1978) als auch als Coach (2007) Weltmeister werden konnte.
Dann ist für zweimal 30 Minuten richtig Leben in ihm, und auch noch ein paar Augenblicke danach. Wie nach dem 30:29 (17:12)-Sieg am Dienstagabend in Innsbruck. Da stürmte Brand auf den Linzer Patrick Fölser zu, um ihn mindestens zu maßregeln wegen wiederholter Brutalität in der reschen Endphase des Spieles vor 8000 Zusehern in der Olympiahalle. Erst als ihn die Seinen davon überzeugen konnten, dass der Legionär der HSG Düsseldorf nicht so oft über Gebühr zugelangt hatte, ließ Brand ab - und der Zug an den Fäden nach.
Die Analyse ging Brand, der im Mai in der deutschen Bundesversammlung auf SPD-Ticket den Präsidenten mitwählte, schon emotionslos unter dem Bart hervor. Es interessiere ihn überhaupt nicht, dass mit dem 36. deutschen Sieg im 42. Vergleich eine Revanche für die im März 2008 an gleicher Stelle erlittene Niederlage (30:32) gelungen sei, sagte er. Und im Finish sei es körperlich zu spüren gewesen, "dass für Österreich ein Spiel gegen Deutschland etwas Besonderes ist". Erkenntnisse für die EM, in deren Vorrunde Deutschland in Innsbruck auf Polen, Schweden und Slowenien trifft? "Es ist noch viel zu tun."
Kollege Dagur Sigurdsson, Coach der Österreicher, hat zwangsläufig andere Perspektiven. Er sprach trotz der schwachen ersten Hälfte, als die Deutschen einem deutlichen Sieg entgegenzueilen schienen, von einer tollen Leistung, einer besseren gar als beim Sieg vor zwei Jahren. Die Stimmung in der Halle, gut zur Hälfte von Deutschen gefüllt, "war fantastisch. Wenn so etwas bei einem Testspiel schon passiert, dann können wir uns nur noch auf die Heim-EM freuen." Der letzte Schliff für deren Vorrunde, in Linz gegen Dänemark, Island und Serbien zu spielen, soll ab heute, Donnerstag, beim Vier-Nationen-Turnier in Wiener Neustadt gelingen. Die Gegner da: Polen, Ungarn und Kroatien.
Brand saß daneben und wirkte zusehends müder. Wie das mit dem Heimvorteil sei bei so einem Turnier, wurde er gefragt. Er, der 2007 schließlich daheim ein deutsches WM-Wintermärchen erzählt hatte. "Es kann ein großer Vorteil sein, es kann aber auch ein großer Druck sein", sagte er. Und was also sei den Österreichern zuzutrauen bei der EM? Ein leichter Zug am Faden nur, Brand hebt den Kopf, die buschigen Brauen: "Ich bin nicht zum Tippen da." (Sigi Lützow; DER STANDARD Printausgabe 7. Jänner 2010)