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Wie eine Fahrt mit der Achterbahn oder einem Karussell - so beschreiben viele Patienten den Drehschwindel.

Foto: APA/Cristof Stache

„Alles dreht sich wie in einem Karussell". Die Beschreibung des Drehschwindels bereitet dem Allgemeinmediziner in der Regel diagnostisch wenig Probleme, ist diese horizontale Bewegungsillusion doch hinweisend für den Ausfall oder eine Störung im Gleichgewichtsorgan. Die Nähe zum Hörorgan erklärt auch, warum Drehschwindelattacken häufig von Ohrsymptomen, wie Ohrgeräusche oder Hörminderung begleitet sind und bringt alsbald folgerichtig den HNO-Arzt ins Spiel.

Klar definiert und leicht in Worte zu fassen - das zeichnet den klassischen Drehschwindel aus. Jedoch: Schwindel ist weit mehr als eine Fahrt mit dem Karussell oder der Achterbahn. Die Schwierigkeit der Betroffenen ihren Schwindel zu verbalisieren, erklärt unter anderem die problematische Zuweisung zur jeweiligen Fachdisziplin und spiegelt sich in jahrelangen Patientenkarrieren wieder. Neurologen, Orthopäden, HNO-Ärzte und Internisten sind in das schwindlige Geschehen involviert. „Ob und wann der Patient beim richtigen Spezialisten landet, steht und fällt oft mit dem praktischen Arzt", weiß Benjamin Loader, Leiter der Schwindelambulanz an der Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten am Wiener AKH und sieht im Bereich der HNO-Fortbildung der Allgemeinmediziner in Österreich noch Verbesserungsbedarf.

Dizziness, Vertigo und posturale Körperhaltungsinstabilität

In den nur vereinzelnd stattfindenden Schwindelkursen werden Ärzte unter anderem darin unterrichtet, die verschiedenen Schwindelarten richtig einzuordnen. Schwindelexperte Loader bevorzugt die grobe Zuordnung unter die Begriffe Dizziness, Vertigo und posturale Körperhaltungsinstabilität. „Dizziness" bedeutet ins Deutsche übersetzt Benommenheit, Taumel oder Schwankschwindel und beschreibt alle subjektiven Gefühle einer Instabilität. Loaders persönliche Domäne ist die Vertigo. Der objektivierbare Drehschwindel findet sich hier beheimatet. „Entscheidend ist immer, dass sich in diesen akuten Fällen ein Nystagmus feststellen lässt", erklärt der HNO-Experte. Das unwillkürliche rhythmische Zittern der Augen ist mit der Frenzelbrille messbar und gilt als wichtiger Hinweis auf den Ausfall eines Gleichgewichtsorgans.

Die posturale Körperhaltungsinstabilität erklärt Loader anhand einer Untersuchungsmethode, mit der Körperhaltung und Stabilität der Patienten auf einer Plattform digital messbar sind: „Die Posturographie erlaubt Rückschlüsse darauf ob der Patient Probleme mit der Propriozeption hat und wie stark er sich mit Hilfe seiner Augen orientiert". Im Normalfall sorgen Augen und Propriozeption (Körperwahrnehmung) gemeinsam mit dem Gleichgewichtsorgan dafür, dass der Mensch in Balance bleibt. Die Körperwahrnehmung hilft außerdem auch bei geschlossenen Augen zu erkennen, wo sich beispielsweise die Hände befinden oder wie stark ein Knie in Beugestellung steht. Überall im Organismus verteilt sammeln Messaufnehmer (Rezeptoren) diese Informationen und schicken sie weiter an das Gehirn. Dort wird dann die Gesamtkörperhaltung permanent neu errechnet.

Zentrale Kompensation

Augen, Ohren und Körperwahrnehmung kooperieren nicht nur wunderbar untereinander, sie sind auch in der Lage sich gegenseitig zu ersetzen. Beispiel: Fällt das Gleichgewichtsorgan aus, dann kompensieren Augen und Gehirn diesen Ausfall komplett oder zumindest teilweise, wie die posturographische Untersuchung beweist. Davon abgesehen besitzt das Gleichgewichtsorgan eine gewisse Fähigkeit zur Regeneration und das Ende des Schwindels ist deshalb immer eine realistische Option. Problematisch ist nur: Keiner weiß, ob und wann sich das Vestibularisorgan wieder erholt. Dazu kommt: Es gibt auch Erkrankungen, die mit immer wiederkehrenden Schwindelattacken imponieren. Für die Betroffenen sind diese eine Qual und die Angst vor kommenden Anfällen ist eine große Belastung. Das bekannteste Beispiel in der Kategorie besonderer Krankheitsbilder ist der Morbus Meniere. Der Auslöser dieser Erkrankung, die nach vielen Attacken zur permanenten Hörminderung und dem völligen Ausfall des Gleichgewichtsorgans führen kann, ist bis dato nicht bekannt.

Trainingsprogramm für Schwindelgeplagte

„Mit Schwindel kann man sehr gut leben", weiß Loader und macht unabhängig von der Ursache allen Betroffenen Hoffnung. Im Wiener AKH wurde zu diesem Zweck eine eigene Vestibularisgruppe gebildet, in der Schwindelgeplagte unter Anleitung von Physio- und Sporttherapeuten lernen mit Hilfe gezielter Bewegungen ihre Kompensationsfähigkeiten zu verbessern. Ob der Schwindel „unspezifischer" Natur ist oder aber eine verifizierte Erkrankung dahinter steckt ist dabei völlig egal. Entscheidend ist vielmehr, dass die Betroffenen mit diesem Trainingsprogramm nicht nur das Vertrauen in die eigenen körperlichen Fähigkeiten zurückgewinnen, sondern mit dem Wissen, dass Schwindel zwar unangenehm, aber nicht bedrohlich ist, schlussendlich auch ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden. (phr, derStandard.at, 19.01.2009)