Zur Person: Ulrike Felt hat 1983 das Doktorat in theoretischer Physik an der Universität Wien abgeschlossen. Sie arbeitete anschließend fast fünf Jahre lang im Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Während dieser Zeit wechselte sie in die sozialwissenschaftliche Forschung. Sie kehrte nach Wien zurück, wo sie am Institut für Wissenschaftsforschung arbeitet und 1997 in diesem Bereich habilitierte. Seit 1999 ist sie Professorin und Vorständin des Instituts.

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Möglichst viele Publikationen veröffentlichen, um irgendwann mal einen festen Job zu bekommen. Grundlagenforschung hintanstellen, um bei Uni-Rankings vorne mitmischen zu können. Die Wissenschaft ist heute vor allem durch eine Projektifizierung gekennzeichnet, Wissen wird immer mehr gegen notwendige Mittel abgewogen. Geforscht wird in Drei-Jahres-Rhytmen, was dazu führt, dass junge Forscher sich mit kurzfristigen Verträgen durchschlagen müssen. Dazu kommt die "Überwachung" wissenschaftlicher Leistung durch quantitative Messkriterien und Rankings.

Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt, Leiterin des Instituts für Wissenschaftsforschung der Universität Wien, hat sich mit der Situation junger Lebenswissenschaftler beschäftigt. Sie erklärt im Interview mit derStandard.at, welche Auswirkungen diese und weitere Faktoren letztendlich auf das Potenzial für Innovationen haben können.

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derStandard.at.: In einem Ihrer Texte ist die Rede von einem "forschungspolitischen Wandel" in Österreich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte. Was genau meinen Sie damit?

Ulrike Felt: Dieser Wandel kann sicher mit steigenden, wenngleich oft indirekten, Steuerungsbemühungen charakterisiert werden. Der Fokus der Politik hat sich von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen hin zu Innovationen verschoben - wobei Innovation aus meiner Sicht im politischen Diskurs für "neues Wissen im Kontext potenzieller Anwendungen" steht. Forschungspolitik versucht also nicht Erkenntnisproduktion per se zu fördern, sondern es wird in einer engeren Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft gedacht.

Hand in Hand damit geht auch ein verstärkter Qualitätsdiskurs, der durch immer mehr Evaluierungen, vertragliche Leistungsvereinbarungen und Selektionsprozesse umgesetzt wird. In diesem Zusammenhang ist auch die wachsende Zahl an Preisen und Auszeichnungen für Forscher zu sehen und der damit Hand in Hand gehende Exzellenzdiskurs. Schließlich gehört dazu auch eine wachsende Zahl an vorerst nur zeitlich begrenzten Verträgen vor allem für jüngere Forscher. Dadurch erhofft man sich auf Systemebene eine Steigerung der Leistungen und hält sich Selektionsmöglichkeiten möglichst lange offen.

derStandard.at: Welche forschungspolitischen Faktoren würden Sie in Österreich als innovationsfördernd, welche als innovationshemmend bezeichnen?

Ulrike Felt: Als innovationsfördernd kann man in Österreich sicherlich ein wachsendes Leistungsbewusstsein sehen, aber auch - zumindest in einigen Bereichen - ein höheres Bewusstsein als früher, was die Notwendigkeit der Investition in Infrastruktur betrifft. Wissenschaft und Forschung haben im politischen Diskurs etwas an Bedeutung gewonnen, wenngleich hier noch einiges getan werden muss.

Als innovationshemmend kann man einige Facetten der etablierten Mechanismen zur Qualitätssicherung beschreiben: Wenn Qualität zunehmend quantitativ definiert wird und der Druck auf die Forscher zu stark wächst, tendieren Forscher eher zu risikominimierenden Strategien. Dadurch wird sicherlich nicht das gesamte Innovationspotential ausgeschöpft. Konkret bedeutet das, dass das Wissenschaftssystem risikofreudiger werden muss und dies nicht auf den einzelnen Forscher - hier trifft es jüngere Forscher insbesondere - abwälzen kann.

Auch die zunehmende kurzfristige Ergebnisorientierung erweist sich als Problem. Dadurch verliert man die längerfristige Perspektive etwas aus dem Auge. Das könnte durchaus eine Gefahr für die Nachhaltigkeit des Wissens bedeuten. Außerdem ist es wesentlich, Innovation nicht nur im Bereich der Naturwissenschaften zu verorten - wie dies implizit oft geschieht. Gesellschaftsgestaltung durch Wissenschaft braucht ein breiteres Verständnis und müsste auch die Sozial- und Geisteswissenschaften stärker in das Denken unserer Gesellschaft von Morgen mit einbeziehen.

derStandard.at: Welche Probleme sehen Sie darin, dass Forschungseinrichtungen wie Universitäten immer häufiger Messkriterien, quantitativ messbaren Strukturen und Rankings unterworfen werden?

Ulrike Felt: "Regieren nach Zahlen" ist tatsächlich in den letzten Jahren zu einem beliebten Modell avanciert. Es basiert auf der Vorstellung, dass man durch das stete Beobachten von quantitativen Indikatoren wissen kann, ob sich das Wissenschaftssystem in die richtige Richtung bewegt. Man glaubt, so eine "objektivere" Form von Forschungspolitik betreiben zu können.

Dass dies eigentlich absurde Übungen der Ordnung herstellt, kann man sehr gut am Beispiel des Shanghai-Rankings sehen: So sank die Universität Wien von 2006 auf 2007 von Platz 85 auf einen Platz über 155. Der einzige Grund hierfür war die administrative Abspaltung der Medizinischen Universität. Es lässt sich hier also kein wirkliches Qualitätsargument finden.

derStandard.at: Seit dem österreichischen Universitätsgesetz 2002 müssen die heimischen Unis jährlich "Wissensbilanzen" erstellen. Inwiefern könnte diese Quantifizierung von Forschungsarbeit die Arbeit von Wissenschaftlern direkt oder indirekt negativ beeinflussen?

Ulrike Felt: Wissensbilanz selbst ist schon ein Unwort. Brauchen wir jetzt auch Wissensbuchhalter? Der Begriff vermittelt die Illusion, dass Wissen und Wissensaktivitäten quantifizierbar sind. Das hat aber die fatale Konsequenz, dass bestimmte Tätigkeiten, die nicht quantifiziert und in Wissensbilanzen vermerkt werden können, schleichend an Wert verlieren werden. Das wäre etwa Betreuungsarbeit oder andere qualitative Leistungen. Mittelfristig wird sich durch solche Wertesysteme die Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung der Forscher und der Forschungseinrichtungen ändern.

derStandard.at: Sie kritisieren, dass diese "Wissensbilanzen" auf Quantität und Output basieren - aus Ihrer Sicht ein innovationshemmendes System?

Ulrike Felt: Wenn man zunehmend auf formalen Output schaut, verliert man die Prozesse, die dorthin führen aus dem Auge. Um diese Prozesse geht es aber eigentlich, wenn wir Innovation ermöglichen wollen. Das System, so wie es funktioniert, fördert eher "intelligente Repetition", das heißt das Publizieren von Variationen von Erkenntnissen oder von ein wenig Neuem. Es macht radikalere Innovationen zu einem Risiko, das Einzelne tragen müssen. 

Durch zu starke enge (Selbst)-Kontrollmechanismen werden Zeit und Freiraum eingeschränkt und damit auch Kreativität. Und wir sind uns dieser Konsequenzen indirekt auch bewusst: Denn sonst würden wir nicht eigene Exzellenzprogramme ins Leben rufen, die ausgewiesenen Forschern genau diese Freiräume wieder zurückgeben sollen. Konkret bedeutet dies aber auch, dass eine Zwei-Klassen-Forschungsgemeinschaft geschaffen wird: Die Exzellenz, welche unter freieren Bedingungen arbeiten und denken kann und die "normalen Forscher", die den Systemkräften in vollem Maße ausgesetzt sind.

derStandard.at: Sie haben unter anderem Interviews mit jungen Wissenschaftlern der Lebenswissenschaften geführt. Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sich direkt oder indirekt auf die Forschungstätigkeit auswirken, wurden dabei erkennbar?

Ulrike Felt: Die oben beschriebenen Veränderungen zeigen nun für die jüngeren Generationen besonders deutliche Auswirkungen: Während gleichzeitig immer mehr und neue Möglichkeiten für sie in der Phase der Doktorate und kurz danach entstehen, ist es klar, dass das System massiv auf Selektion ausgerichtet ist. Das Problem besteht allerdings darin, dass den jungen Forschern oft unklar ist, was sie genau erfüllen müssen um Erfolg haben zu können. Wie viele Publikationen reichen aus? Ist das Institut/Labor/Department an dem man derzeit arbeitet gut genug, um als Sprungbrett in der Karriere zu dienen? Wie lange muss man durch die Welt wandern, bis man endlich mit einer etwas festeren Stelle rechnen kann?

Das bedeutet, dass sie all ihr Handeln auf die Optimierung ihrer Karrierechancen ausrichten müssen und das romantische Bild des interessierten jungen Forschers, der seiner Leidenschaft nachgehen kann, oft als zynischer Werbetrick gesehen wird. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Risikofreudigkeit und damit auf das Innovationspotential - was nur mehr als verständlich ist.

derStandard.at: Sie stellen die Hypothese auf, dass sich die Form der wissenschaftlichen Wissensproduktion und somit das produzierte Wissen verändert. Die Gründe dafür seien etwa, dass die Arbeit von Forschern immer mehr am quantitativen Output und an der Zahl der Publikationen gemessen werde. Sehen Sie dahingehend eine Gefahr, dass auf diese Weise Wissen, Ideen oder Innovationsgeist "verloren" gehen könnten?

Ulrike Felt: Ja, ich gehe davon aus, dass sich Wissensproduktion und auch das produzierte Wissen verändert. Zum einen müssen Forscher immer mehr in Kategorien von Nützlichkeit ihres Wissens argumentieren, auch wenn sie im Bereich der Grundlagenforschung tätig sind. Zum anderen wird durch die zunehmend quantitative Orientierung in der Qualitätssicherung auch die Produktion von Wissen in bestimmte risikoärmere Bereiche "umgeleitet".

Aber wir müssen uns auch vor Augen halten, dass die qualitative Kontrolle immer schwieriger wird, wenn sich die Produktionsdichte und -geschwindigkeit von wissenschaftlichem Output erhöht. Forscher tendieren dazu, auch einmal weniger kontrollierte Daten und Interpretationen zu publizieren. Das kann man sehr gut an der steigenden Anzahl von Papers sehen, die im Nachhinein zurückgezogen werden müssen, weil sie falsche Daten oder Interpretationen beinhalten, aber auch an der steigenden Sorge um wissenschaftlichen Betrug.

Auch den Nachhaltigkeitsaspekt von Wissen sollte man nicht aus dem Auge verlieren. Wir müssen mit viel Umsicht darauf achten, Wissen in breiten Bereichen zu produzieren - auch wenn dessen potenzielle Anwendungsmöglichkeit nicht unbedingt klar ersichtlich ist. Im Grunde leben wir im heutigen Wissenschaftssystem von der früheren Offenheit der Forschungspolitik, die Forschung in sehr unterschiedliche Richtungen ermöglichte. (derStandard.at, 7.1.2010)