Richard Sorge, deutscher Spion des KGB in Japan während des Zweiten Weltkriegs, ist Kubaczeks Protagonist. Cornelia Niedermeier traf den Autor zum Gespräch.
Wien - Ein Leben, dessen Eckdaten sich lesen wie von einem Drehbuch-Schreiber ersonnen: Richard Sorge, deutscher Spion für die Sowjetunion in Japan während des Zweiten Weltkriegs, wurde als Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer russischen Mutter 1895 in den Erdölfeldern bei Baku geboren.
Er kämpfte im Ersten Weltkrieg, wurde schwer verwundet, zählte während seiner kurzen akademischen Karriere in Deutschland 1923 zu den Mitbegründern des später weltberühmten Frankfurter Instituts für Sozialforschung. 1925 entschied er sich für ein Leben als Agent des KGB. 1944 wurde er nach seiner Enttarnung in Japan gehenkt.
Tatsächlich existieren drei Verfilmungen von Sorges Leben. Überraschend ist nun der Blickwinkel, aus dem sich Martin Kubaczek in seinem neuen Roman "Sorge. Ein Traum" dem Vielgestaltigen nähert. Der Wiener Autor setzt der wohlfeilen Spannungsdramaturgie des Agenten-Thrillers eine Ästhetik der Dunkelkammer entgegen, als die sich wohl jedes Leben dem fremden Blick verschließt. Vor allem aber die Existenz eines Agenten, dessen Dasein auf dem Verwischen der eigenen Spuren beruht. Dieser Dunkelkammer entnimmt Martin Kubaczek einzelne klare Moment-Aufnahmen. Die Zusammenhänge herzustellen bleibt der Fantasie und der Kombinationslust des Lesers anheimgestellt.
Leichthändig und wie nebenbei stellt Kubaczek, der selbst 15 Jahre lang in Tokio gelebt und an dortigen Universitäten gelehrt hat, der actionreichen Vita des deutschen Spions einen zweiten stillen Protagonisten zur Seite: den unaufgeregten Alltag des asiatischen Landes.
Standard: Richard Sorge ist hierzulande weitgehend unbekannt. Wie kamen Sie auf ihn?
Kubaczek: Zuerst war es sein Gesicht, das mich angesprochen hat, die ausdrucksstarke Physiognomie. Ich habe 1997 ein Foto von ihm in einer japanischen Zeitung gesehen. Dann habe ich angefangen, mehr über ihn zu lesen. Bald waren es vor allem die Widerstandsformen in Deutschland und Japan, die mich fasziniert haben. Man weiß noch heute viel zu wenig darüber, wie viel Ablehnung diesen Systemen gegenüber existiert hat.
Standard: Organisierter Widerstand?
Kubaczek: Nicht nur. Wenn man heute von Widerstand spricht, dann heißt es schnell "Weiße Rose" . Durch die Verfilmung Margarete von Trottas kennt man vielleicht noch den "Rosenstraße-Protest" . Aber schon die "Swing-Kids" kennt kaum jemand, oder die "Edelweiß-Piraten" .
Standard: Sah Sorge die Antwort auf die Fehlentwicklungen im Deutschland der Zwischenkriegszeit im Kommunismus verwirklicht?
Kubaczek: Sorge war als Jugendlicher in den wilhelminischen Ersten Weltkrieg gezogen. Das war der erste technisierte, maschinisierte Krieg. Maschinengewehre wurden erfunden, Flugzeuge, der Beschuss kam erstmals von oben. Er lag schwerverletzt im Stacheldraht und kam ins Lazarett wie viele andere. Und wie viele andere hat er sich gefragt, was man tun kann, damit eine solche Katastrophe nicht noch einmal passiert. Als Krankenschwestern arbeiteten dort Akademikertöchter. Sie gaben Sorge, wie vielen anderen, marxistische Schriften zu lesen.
Standard: Richard Sorge entschied sich also 1925 für eine Agenten-Ausbildung in Moskau. Obwohl er in Deutschland am Beginn einer glänzenden akademischen Karriere stand?
Kubaczek: Ja. Man könnte grob sagen, er war einer der Mitbegründer der Frankfurter Schule. Denn er war Assistent von Kurt A. Gerlach, dem ersten Professor am Institut für Sozialforschung. 1923 war es Sorge gewesen, der die erste Schulungswoche des Instituts organisiert hatte, in einem kleinen Bahnhofs-Wirtshaus in Thüringen. Dort waren alle versammelt, Georg Lukacz, Karl Korsch, Felix Weil. Und nach Gerlachs plötzlichem Tod übernahm Sorge als sein Assistent für kurze Zeit die interimistische Leitung des Instituts. Er hätte eine akademische Karriere machen können, aber er hat sich entschieden, in die Aktion zu gehen. Schon vorher hatte er in Bergwerken gearbeitet und dort kommunistische Zellen im Ruhrgebiet organisiert.
Standard: Der Agent als Chiffre eines der eigenen Ideenwelt gewidmeten Lebens?
Kubaczek: Das ist ganz aktuell. Wirtschaft ist Krieg. Und Manager sein in der Wirtschaft heißt, du bist eigentlich Agent. Du betrügst, schamlos, brutal. Du lässt Menschen über die Klinge springen. Und diese Leute, die sich auch einsetzen für Gutes, haben dasselbe Problem: Sie leben rund um die Uhr für ihren Job. Und sie verraten dafür ihre Familie. Das ist das große Dilemma, in dem wir alle stehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.1.2010)