Foto: Free Tibet

Nur ein paar Tage nach der Aburteilung von Liu Xiaobo hat Chinas Justiz einen weiteren Dissidenten zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Dhondup Wangchen hat dabei noch weniger Öffentlichkeit gefunden als Liu, Chinas führender Demokratie-Aktivist. Die Nachricht über die sechs Jahre Haft des jungen Tibeters wegen "Spaltung des Vaterlands" hat nur über die Filmkampagne seiner Familie im Exil ihren Weg aus China gefunden.

Denn Dhondup Wangchens Waffe war eine Videokamera, und sein Verbrechen ein 25-minütiger Streifen über das Leben der Tibeter unter chinesischer Herrschaft. Genauer gesagt: Videomaterial, das der 35-jährige Dhondup Wangchen und sein Partner, der Mönch Jigme Gyatso, aus Tibet herausschmuggelten und das im Ausland zu dem kurzen Dokumentarfilm zusammengefügt wurde. Dhondup Wangchen und Jigme Gyatso waren zu der Zeit, auf dem Höhepunkt der Revolte in Tibet im März 2008, schon im Gefängnis gelandet; Gyatso wurde im Oktober 2009 wieder freigelassen.

Anders als Liu, der intellektuelle Vordenker der neuen Demokratiebewegung in China nach dem Tian'anmen-Massaker und Mitinitiator der "Charta '08" , ist Dhondup Wangchen aber ein Amateur, angetrieben von dem Unrecht, das er in der Besetzung seiner Heimat durch China erkennt. "Leaving Fear Behind" heißt der englische Titel seines Films, der in den vergangenen zwei Jahren überall in der Welt gezeigt wurde - und zumindest einmal sogar in Peking vor ausländischen Journalisten in einem schäbigen Hotelzimmer. Das war im August 2008, kurz vor Beginn der Olympischen Sommerspiele als Ausweis der Toleranz der chinesischen Regierung.

Tausende Kilometer sind Dhondup Wangchen und Jigme Gyatso auf dem Motorrad durch Tibet gefahren, allen Widrigkeiten zum Trotz, die ihnen die Behörden in den Weg legten, so heißt es auf der Webseite von Dhondup Wangchens Cousin, der in der Schweiz im Exil lebt und den Film promotet. In Interviews zeichneten die beiden Filmemacher die Verbitterung der Tibeter über die Unterdrückung und über den Verlust ihrer Kultur auf.

Aufgewachsen als Sohn von Bauern in der Tsoshar-Region im Nordosten Tibets und ohne große Schulbildung, war Dhondup Wangchen mit seinem Cousin über den Himalaya zu den Exiltibetern nach Indien geflüchtet. Frau und Kind sind noch dort, doch Dhondup Wangchen ging zurück. Er wollte seinen Film drehen. (Markus Bernath, DER STANDARD, Printausgabe 8.1.2010)