Den kann er bekanntermaßen nicht feiern, weil er als erster Punk schon 1977 Ausverkauf witterte, sich angewidert abwandte, erhobenen Hauptes kurz aufs Häusl ging – und nicht mehr wiederkehrte. Seit damals befindet er sich in einem Zustand, dem Neil Young einen Namen gegeben hat: Gone but not forgotten. Und auch wenn jetzt wieder irgendwelche Rock’n’Roll-Streber Chuck Berry, Ike Turner oder Howlin’ Wolf rufen werden, Elvis war der King. Einer, dem diese Bezeichnung selbst unangenehm war, weil er natürlich wusste, dass er Rock’n’Roll nicht erfunden hat, was ja aber auch niemand ernsthaft behauptet.
Hierzulande zelebriert man Elvis’ 75er gewählt mondän. Man ließ die "Kronen Zeitungs"-Leser über ihre 75 Lieblings-Presley-Lieder abstimmen, die sie sich nun als Dreier-CD andrehen lassen. Immerhin wird das mithelfen, dass Elvis weiterhin der tote Popstar sein wird, der posthum am meisten Kohle scheffelt – auch wenn ihm da im Jahr 2009 wahrscheinlich Michael Jackson dazwischen gekommen ist. Aber das übersteht er auch noch.
Morgen, Samstag, den 9. Jänner, findet im Wiener Club U am Karlsplatz das wahrscheinlich würdigste Tribute des Landes statt. DJ Mushroom verlegt dort Königslieder und auch den Stoff, aus dem sich diese speisten – bei freiem Eintritt.
Ich habe vor zwei Jahren, anlässlich des 30. Elvis-Todestages, ein Interview mit Peter Guralnick zum Thema gemacht. Guralnick gilt wegen der beiden Wälzer "Last Train to Memphis: The Rise of Elvis Presley" und "Careless Love: The Unmaking of Elvis Presley" als definitiver Elvis-Biograf. Diese sowie weitere Bücher wie "Sweet Soul Music", "Feel Like Going Home", "Searching For Robert Johnson" oder "Dream Boogie: The Triumph of Sam Cooke" haben ihn zu meinem Lieblings-Musikbuchautoren gemacht.
Im letzten Herbst hab ich ihn zu der deutschen Übersetzung von "Sweet Soul Music" befragt, dieses Interview erscheint am 16. Jänner im ALBUM. Hier nun noch einmal das Guralnick-Gespräch über den one and only.
Herr Guralnick, mit ihren Büchern "Last Train
to Memphis" und "Careless Love" haben Sie die definitive
Elvis-Presley-Biografie geschrieben. Darin gibt es eine Stelle, in der Sie die
Konfusion beschreiben, die Sie als Teenager Ende der 1950er fühlten, als Sie
Elvis zum ersten Mal hörten. Wie war es, als Sie von seinem Tod erfuhren?
Peter Guralnick:
Ich war traurig. Ich hatte damals gerade das Buch Elvis: What Happened
gelesen, das mich ziemlich aufgewühlt hatte. Zumal dieses Buch Dinge an die
Öffentlichkeit brachte, die damals noch nicht bekannt waren. Aber ich will da
meine Gefühle nicht hochspielen oder besonders bedeutend machen. Damals hat
jemand sein Kind und seinen Vater verloren.
Haben Sie Elvis je live
gesehen?
Guralnick: Ja,
1971 in Boston. Das aufregende daran war weniger der Auftritt selbst. Der war
zwar souverän, aber Elvis war eben weit weg. Wirklich aufregend war die Fahrt
dorthin mit der U-Bahn, die überfüllt war mit Leuten, die zum Konzert fuhren.
Es herrschte eine unglaubliche Aufregung. Für mich war das wie die
Restaurierung von Elvis. Damals habe ich hauptsächlich über Blues-Sänger
geschrieben, Howlin' Wolf, Muddy Waters oder Rhythm-and-Blues-Sänger wie
Solomon Burke, James Brown - das galt damals als cool. Über Elvis zu schreiben
war überhaupt nicht cool. Ich dachte über all das aber immer als eine Art
Kontinuum. Aber so wurde es nicht aufgenommen. Diese neue Aufregung zu erleben,
in dem Sinne, dass seine Musik wieder auf eine Art wahrgenommen wurde, die
nichts mit der gängigen Elvis-Mania der Fifties zu tun hatte, war sehr
speziell. Da war etwas, das die Leute in ihren Herzen behalten hatten und das
plötzlich wieder hip war und erstarkt wiederkehrte.
Wie schwierig war es über
jemanden zu schreiben, den die Popkultur als "bigger than life and
death" einschätzt und behandelt?
Guralnick: Als ich wusste, was ich mit der
Biografie wollte, nämlich den Mythos beiseite schieben und Elvis als die Person
zeigen, die er war, wurde das Nebensache. Mir ging es darum, den Teenager, der
besessen war von Musik, den Autodidakten, der sich selbst alles beigebracht
hatte, zu zeigen. Als ich meine vorgefasste Vorstellung ausgeräumt hatte, war
das Thema fast wie ein weißes Blatt Papier. Es war schwierig, diszipliniert zu
bleiben und sich nicht von unkomplizierten Schlüssen verführen zu lassen. Aber
das führte letztlich zu neuen Wahrheiten. Ein Beispiel: Elvis Vater, Vernon,
galt als faul und unbeholfen. Das ist falsch. Leider erst nach der
Veröffentlichung von Last Train bekam ich Korrespondenzen, die belegen,
wie er sich um viele, viele Jobs bemühte, hunderte Meilen weit fuhr, nur um
seine Familie durchzubekommen. Das sind die Dinge, die ich aufzeichnen wollte.
Dasselbe gilt für Elvis Manager Tom "Colonel" Parker. Ich versuchte
zu absorbieren, was damals geschah, und nicht die Bewertung zu übernehmen.
Ihre Arbeit reflektiert immer
auch den Fan Peter Guralnick.
Wie balancieren Sie diese Sicht mit der notwendigen Objektivität gegenüber
ihren Sujets?
Guralnick: Ich habe nie über etwas oder jemanden
geschrieben, für den ich mich nicht wirklich brennend interessiert hätte. Das
bedeutet nicht, dass ich jeden Aspekt einer Geschichte herzlich umarme. Denken
Sie an persönliche Freundschaften, an all die verschiedenen Qualitäten, die
derartige Beziehungen beinhalten. Da gibt es immer wieder fragwürdige
Ereignisse, aber sie stellen die Freundschaft nicht infrage. Ich fühle mich
weder als Verteidiger noch als Richter. Nehmen wir den Country-Musiker Merle
Haggard. Was mich an ihm fasziniert, ist sein kreatives Sprühen. Auf seine Art
ist er ein Genie. Würde ich über ihn schreiben, könnte ich trotzdem nicht seine
politischen Standpunkte romantisieren. Die würden kaum je mit meinen
harmonieren. Das gilt für jeden, über den ich schreibe. Bei Elvis wirkte zudem
meine Liebe zum Blues mit. Als ich Songs wie Mystery Train oder That's
All Right hörte, kannte ich die Originale, die Art, wie er sie
interpretierte, fand ich jedoch umwerfend. Ich hörte diese Songs sowohl als
Hommage an die Originale als auch als neue Originale mit einer eigenen kreativen
Leistung. Ich versuchte zu verstehen, was er versuchte und was seine
Inspiration war.
Sie haben über viele, oft von
der Welt vergessene schwarze Musiker geschrieben. War Elvis da ein Thema?
Guralnick: Manchmal, ja. Für Fats Domino etwa. Am
besten war Howlin' Wolf. Als ich Wolf erstmals interviewte, war ich verdammt
nervös. Das war etwa 1967. Ich weiß nicht mehr genau, was ich ihn gefragt habe,
jedenfalls sprach Wolf plötzlich über einen Blues-Sänger, der nach Kalifornien
gegangen war. Und ich meinte, was, wer? Und Wolf: Na dieser "white
boy", der Erfolgreiche! Er sprach tatsächlich über Elvis. Wow! Für mich
war Wolf neben Sam Phillips das größte Talent überhaupt. Ihn zu hören, wie er
über Elvis als Blues-Sänger sprach, überschritt meine kühnste Fantasie! Ich
habe auch mit Rufus Thomas oder Little Milton und anderen über ihn gesprochen.
Dabei begegneten mir nie Vorurteile oder der Neid, der später auftauchte. Rufus
hat Elvis als einer der ersten in seiner Radioshow gespielt. Man hat es ihm
dann verboten. Er hat ihn trotzdem gespielt.
Wenn man Graceland besucht,
liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite diese riesige Merchandise-Mall,
das "Disgraceland". Was denken Sie über die Ausbeutung der Ikone
Elvis?
Guralnick: Ich denke nicht darüber nach. Im Ernst:
Es ist wie mit Robert Johnson. Als das erste Robert-Johnson-Album 1961
erschien, habe ich es bei Sam Goodys gekauft. Ich war damals Freshman am
College. Ich höre es bis heute immer wieder. Der Punkt ist: Dieses Album hat in
30 Jahren knapp 15.000 Stück verkauft, weltweit. Eric Clapton kannte es, Keith
Richards, Mick Jagger, natürlich Muddy Waters, Wolf und ein paar andere. Als
dann das Robert-Johnson-Boxset 1990 erschien, wurde es plötzlich mit Platin
ausgezeichnet. Johnson wurde eine Ikone, und jeder hatte das Album herumliegen.
Aber für mich ist das irrelevant. Die Musik war immer da, und sie war immer
kraftvoll. Ein Reflex des Publikums ist, wenn etwas populär wird, es
abzuschreiben. Das ist so ein Einzelkinderreflex. Der ist für mich ebenso
vernachlässigbar wie die Ausbeutung.
Es gibt eine
"Dylanologie" - Dylan ist ein ausgewiesener Elvis-Fan -, aber es gibt
kaum etwas wie eine "Presleyologie" ...
Guralnick: Bei Dylan hat man es mit einer
gebildeteren Fangemeinde zu tun, während Elvis ein Working-Class-Phänomen war.
Das ist der Unterschied, denn ich ausmachen würde.
Hat Elvis im heutigen Pop noch
eine Bedeutung?
Guralnick: Hat
DeFord Bailey eine Bedeutung? Hat Bobby Bland heute eine? Es kommt immer darauf
an, wie tief jemand schürft, wie neugierig jemand ist. Aber ich will nicht
vergleichen. Als Elvis "King of Rock'n'Roll" genannt wurde, hat er
das immer abgelehnt. Für ihn gab es keine Hierarchie in der Musik. Er ersehnte
sich einen Platz in der Musik, die er so großartig fand. Dabei hat er sich nie
verglichen. Er hätte nicht einmal behauptet, größer als Mario Lanza zu sein ...
- und nie hätte er sich mit B.B. King oder Bobby Bland gemessen.
Justin Timberlake hat Sun
Records und das Soul-Label Stax gekauft und kokettiert heute live mit
Elvis-Posen ...
Guralnick: So
wird Tradition fortgesetzt. Das Publikum mag das gar nicht mit bekommen, der
Tradition selbst ist das egal. Es gäbe keine Popkultur, wenn sie umfassend als
kollektive Erinnerung präsent wäre. Popkultur ist eine Mischung aus Reflexion
und Einfluss. Solange sie sich daraus entwickelt und nicht zum Museum verkommt,
bleibt sie Popkultur. Man sagt, dass die afroamerikanische Kultur das kürzeste
Gedächtnis hat. Einmal, weil es die kreativste ist, und zweitens, weil sie am
wenigsten akademischen Freizeitbeschäftigungen frönt. Für eine weiße
"middle class" ist es leicht, über Popkultur zu sinnieren, wenn man
keine existenziellen Sorgen hat.
Wenn Elvis leben würde, was
wäre die eine Frage, die Sie ihm stellen wollen würden?
Guralnick: Was
mich immer noch brennend beschäftigt: Hat er Arthur "Big Boy" Crudup
(von ihm stammt das Original von That's All Right Mama, Anm.) je live
gesehen? Hat Crudup in Tupelo gespielt, hat Elvis ihn dort gesehen ...
Bei jedem Elvis-Jubiläum
taucht der dumme Rassismus-Vorwurf auf. Was entgegnen Sie da?
Guralnick: Die
Antwort ist: Seine Musik, seine Haltung und all seine Statements zeigten nie
eine Tendenz zum Rassismus. Das angebliche Zitat "Schwarze taugen
lediglich zum Musik- machen und Schuheputzen" wurde vielfach als falsch
widerlegt. Elvis selbst war dieses Gerücht so unangenehm, dass er 1957, als er
sonst keine Interviews gab, einem afroamerikanischen Magazin ein Interview
anbot, um diese Vorwürfe auszuräumen. Und das war mit Sicherheit kein PR-Gag,
denn seine Fangemeinde war ja nicht unbedingt schwarz. (Karl Fluch, derStandard.at, 8. 1. 2010)
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