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Die Akte "Entführungsfall Natascha Kampusch" ist geschlossen.

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Der ermittelnde Oberstaatsanwalt, Thomas Mühlbacher, kam zu dem Schluss, dass Wolfgang Priklopil der alleinige Täter war, Mittäter bzw. Mitwisser habe es nicht gegeben.

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Die Polizei (im Bild Ernst Geiger) hat erneut Ermittlungsfehler eingestanden: "Dass der Hinweis auf Wolfgang Priklopil falsch bewertet wurde, ist damals in der Hektik der Ereignisse passiert."

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Natascha Kampusch habe sich erleichtert gezeigt, dass durch die Ermittlungen eine Reihe von Behauptungen aus der Welt geschafft werden konnten, ließ sie über ihren Medienberater ausrichten.

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110 zusätzliche Personenbefragungen, 30 davon als Zeugen, 25 neu entdeckte DNA-Spuren im Haus in Strasshof und monatelange Recherchen - auch im Ausland. All das hat im Fall Natascha Kampusch wenige neue Erkenntnisse gebracht. Am Freitag wurde im Wiener Justizpalast vor den Augen dutzender Journalisten, Kampusch-Vater Koch und vor dem anwesenden Anwalt des zuletzt unter Verdacht geratenen möglichen Entführungs-Komplizen Ernst H. das Endergebnis der Oberstaatsanwalt der seit Oktober 2008 wiederaufgenommenen Ermittlungen präsentiert. Die Erkenntnis daraus: Wolfgang Priklopil hat bei der Entführung von Natascha Kampusch keine Komplizen bzw. Mitwisser gehabt. Die Mehrtäter-Theorie sei auszuschließen, sagte der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl. "Wir sind sicher, dass es keine Mittäter gab", betonte auch Ernst Geiger, Leiter der Abteilung für Ermittlungen für Organisierte und Allgemeine Kriminalität im Bundeskriminalamt (BK). Auch die Verdachtslage gegen den in dem Verfahren als Beschuldigten geführten Freund von Wolfgang Priklopil, Ernst H., habe sich nicht erhärtet.

Für eine Mehrtätertheorie hatte es mehrere Hinweise gegeben, berichtete Thomas Mühlbacher, ermittelnder Oberstaatsanwalt. Unter anderem die Angaben der zum Zeitpunkt der Entführung 12-jährigen Zeugin Y. Sie hatte ausgesagt, zwei Personen im bzw. beim weißen Lieferwagen, in den das Entführungsopfer gezerrt wurde, gesichtet zu haben. Die Ermittlungen ergaben nun, dass sie offenbar zwei unterschiedliche Lieferwägen beobachtet habe. Die damals 12-jährige Zeugin stimmt dieser plausiblen Erklärung nun zu, so Mühlbacher.

Priklopil wollte Opfer "beeindrucken"

Keine Anhaltspunkte fand die Polizei auch dafür, dass Priklopil versucht habe, unmittelbar nach der Entführung Kontakt zu möglichen Mittätern aufzunehmen. Verdächtige Telefonate und ein kurzer Aufenthalt im Wald seien darauf zurückzuführen, dass Priklopil Kampusch "beeindrucken" und "verunsichern" wollte.

Das Verlies, in dem Kampusch gefangen gehalten wurde, war bereits zum Zeitpunkt der Entführung mit Sanitäranlangen ausgestattet. Laut Oberstaatsanwaltschaft spricht nichts dafür, dass der Raum bloß einem vorübergehenden Aufenthalt dienen sollte. Auch den Tresor, der den Weg zum Verließ verstellte, soll Priklopil trotz Verletzung am Finger alleine, ohne Mittäter bewegen haben können.

Möglicherweise Strafprozess gegen Ernst H.

Gegen Ernst H. wird laut Werner Pleischl, dem Leiter der Staatsanwaltschaft, weiter ermittelt. Aber nicht wegen Tatbeteiligung, dafür gebe es keine Beweise: "Das Verfahren gegen Herrn H. ist soweit eingestellt, dass er an der Tat beteiligt war. Er könnte aber trotzdem einen Strafprozess bekommen", betonte Pleischl. Denn weiterhin gebe es gegen ihn Ermittlungen wegen finanzieller Manipulation bzw. seines Verhaltens nach der Flucht von Natascha Kampusch. H. hatte kürzlich zugegeben, kurz nach der Flucht von Natascha Kampusch von der Entführung erfahren zu haben, hat der Polizei aber zunächst nichts darüber berichtet. Die Summe von 500.000 Schilling, die H. im Zeitraum der Tat an Priklopil überwiesen hatte, sei Schwarzgeld aus Wohnungsverkäufen gewesen, das er am Finanzamt vorbeischleusen wollte.

Polizei gibt Ermittlungsfehler zu

Die Polizei hat angesichts der Beendigungen der Ermittlung jedenfalls erneut Ermittlungsfehler eingestanden. "Das war damals in meinem Verantwortungsbereich", sagte Ernst Geiger, Leiter der Abteilung für Ermittlungen für Organisierte und Allgemeine Kriminalität im Bundeskriminalamt (BK). "Dass der Hinweis auf Wolfgang Priklopil falsch bewertet wurde, ist damals in der Hektik der Ereignisse passiert. Das war ein großer Fehler." Mit den jetzigen Erhebungen ist der Fall seiner Meinung nach geklärt: "Was man mit Ermittlungen machen kann, ist getan worden." Persönliche Konsequenzen will Geiger keine ziehen.

Erschwerend sei hinzugekommen, so Geiger, dass sich immer wieder "obskure Personen" in die Ermittlungen eingemischt hätten. Es habe viele "krause Behauptungen und Theorien" gegeben, denen nun aber allen nachgegangen wurde. Zu diesen krausen Behauptungen zählen laut den Ermittlern auch jene Berichte, dass Kampusch mehrmals fliehen konnte, dann aber wieder zu Proklopil zurückkehrte. Diese Behauptungen hätten aus einem Internet-Chat gestammt, wo sich eine Person als Natascha Kampusch ausgegeben habe, was aber nicht der Wahrheit entsprach.

"Untersuchungen waren gerechtfertigt"

Dass sich die neu aufgenommen Ermittlungen gelohnt haben, glaubt Mühlbacher: "Die Untersuchungen waren gerechtfertigt und es war Verbesserungspotenzial in den Untersuchungen vorhanden." Nicht zuletzt hätten sich die Ermittlungen auch deshalb gelohnt, weil im Interesse des Opfers gehandelt wurde und alle Missverständnisse ausgeräumt wurden, wonach Kampusch selbst nicht an der Aufklärung des Verbrechens interessiert gewesen sein soll.

Kritik gab es in Richtung des Leiters der Evaluierungskommission, Ludwig Adamovich, der mehrfach in Medien über eine Mehrtäterschaft spekuliert hat. Es sei nicht die Aufgabe der Kommission, persönliche Meinungen kund zu tun, so der Leiter der SOKO Kampusch, Kurt Linzer. Mit den Spekulationen rund um den Entführungsfall müsse nun auch "Schluss sein".

Der Vater von Kampusch, Ludwig Koch, sagte nach der Pressekonferenz: "Ich bin beruhigt. Es war es wert, dass noch einmal umfassend ermittelt worden ist." Ob für ihn selbst die Causa nun erledigt ist, ließ er offen. "Dazu will ich heute nichts sagen", meinte er.

Kampusch-Anwälte unzufrieden mit Arbeit der Polizei

Nicht ganz erledigt scheint die Causa für die Kampusch-Anwälte zu sein. Denn die Polizei hat nach Ansicht der Rechtsvertreter von Natascha Kampusch unmittelbar nach der Entführung nicht genug zur Aufklärung des Falls getan. "So kann man das nicht sagen, man hätte sie nicht gefunden", meinte ihr Anwalt Gerald Ganzger. "Aus unserer Sicht - als erste Reaktion - kann man sagen, dass wir der Meinung sind, dass man damals schon hätte mehr tun müssen."

Den "so dichten Hinweise" auf ihren Entführer Wolfgang Priklopil hätte man durchaus anders nachgehen können und müssen. "Es gab schon damals die Möglichkeit, DNA-Spuren zu nehmen", betonte Ganzger. "Und die Gerichtsmedizin in Wien hätte diese untersuchen können." So gesehen hätte man im Wagen, in dem Kampusch entführt wurde, Spuren nehmen sollen und außerdem Suchhunde einsetzen: "Das Argument, dass das Verlies so abgeschottet ist, dass es nicht gefunden worden wäre, kenne ich - ich teile es nicht", meinte der Anwalt.

Ein weiteres Versäumnis ortete der Jurist im Umgang mit Priklopil, der von den Beamten weiter befragt hätte werden müssen. Bei Einvernahmen wäre der Täter laut Ganzger unter Umständen zusammengebrochen und hätte die Entführung gestanden. Mögliche rechtliche Schritten wegen etwaiger Ermittlungspannen wollte der Anwalt nicht kommentieren: "Wir warten jetzt zunächst einmal auf den Endbericht der Evaluierungskommission und dann schauen wir weiter", so Ganzger. Die Kommission unter der Leitung von Ludwig Adamovich, Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident, habe ja die Aufgabe, sich mit möglichen Fehlern zu beschäftigen.

Kampusch wünscht sich Ende der Gerüchte

"Sie wünscht sich nun, dass diese haarsträubenden Gerüchte ein Ende finden." Mit diesen Worten kommentierten Natascha Kampuschs Medienberater am Freitag das Ergebnis der seit Oktober 2008 geführten Erhebungen bezüglich möglichen Komplizen ihres Entführers Wolfgang Priklopil. Die heute 21-Jährige habe sich erleichtert gezeigt, dass durch die Ermittlungen eine Reihe von Behauptungen aus der Welt geschafft werden konnten.

"Jetzt gibt es das Ermittlungsergebnis von den Experten und die haben mehr oder weniger jedes Gerücht noch einmal überprüft", so die Medienberater. Diese hätten sich allesamt als "nicht haltbar" erwiesen. Grundsätzlich habe man mit solch einem Ermittlungsergebnis gerechnet: "Sie (Kampusch Anm.) hat immer gesagt, sie hat keine Kenntnis von Mittätern", betonten die Berater neuerlich. Ihre Aussage sei nun ebenso betätigt, wie die Tatsache, dass es auch sonst keine Anhaltspunkte für Komplizen gebe. (rwh, APA, derStandard.at, 8.1.2010)