Von der Politik erwartet sich Claudia von Werlhof in Sachen Uni-Reform nichts: "Der Widerstand von oben ist beinhart."

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Viele sehen die Uni-Proteste nach der Freigabe der meisten Hörsäle am Ende. Claudia von Werlhof, Politikwissenschafterin an der Uni Innsbruck, ist hingegen von einer Fortsetzung der Proteste überzeugt, schließlich seien die Verhältnisse an den Unis gleich geblieben: "Alles ist am Kapital orientiert und wird verschult. Das hat mit einem freien Bildungswesen nichts zu tun." Im Interview mit derStandard.at erklärt von Werlhof, warum sie sich mit dem Rektor der Uni Innsbruck "angelegt" hat, der Studierenden-Bewegung noch andere Bewegungen folgen werden und wieso es eine Revolutionierung der Wissenschaft abseits von neoliberalen Reformen braucht.

derStandard.at: Sie haben im Oktober einen Vortrag im besetzten Sowimax an der Uni Innsbruck gehalten und haben dort gesagt, dass sie froh seien, noch eine Studentenbewegung in Österreich miterleben zu dürfen. Über Weihnachten ist es jedoch relativ ruhig geworden, die besetzten Hörsäle wurden nach und nach freigegeben, bewegt hat sich noch nicht viel. War das zu erwarten?

von Werlhof: Besetzungen sind nichts Langfristiges. Das war nur der Auftakt zu etwas, das sich noch zeigen wird.

derStandard.at: Wie hat diese Bewegung in so kurzer Zeit überhaupt entstehen können?

von Werlhof: Viele Studierende leiden erst einmal akut unter der mangelnden freien Beweglichkeit im Studium und den Einschränkungen, die durch die Bologna-Reform Platz gegriffen haben. Ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, wie lange sie brauchen, bis sie darauf reagieren, denn es ist ja immerhin schon sieben Jahre her, dass die Reform umgesetzt wurde. 2001/02 gab es ja auch schon eine Bewegung und Demonstrationen. Das schlief aber dann ein, weil die Leute die Auswirkungen noch nicht selbst erfahren haben. Die Erfahrung spielt die wesentliche Rolle und die ist in den letzten Jahren gemacht worden.

Was die jungen Leute nun erst einmal ganz simpel einklagen ist ihre Bewegungsfreiheit. Sowohl ihre geistige als auch ihre physische, denn diese neue Lehrpläne mit den völlig verschulten Lehrgängen sind ein Witz. Diese jungen Menschen wollten nach der Schule eigentlich erstmals selber über ihr Leben bestimmen und dürfen das nicht. Nach dem Schul-Knast kommt jetzt der Uni-Knast. Das ist das Motiv für viele überhaupt da mitzumachen und das durchzuhalten.

derStandard.at: Die persönlichen Einschränkungen sind also ausschlaggebend für das Engagement?

von Werlhof: Viele Studierende haben noch gar nicht kapiert, was ihnen bevorsteht. Man muss wissen, was diese Reform wollte und auch bewirkt hat: Nämlich Verhältnisse, die mit einem universitären, akademischen oder freien Bildungswesen nichts mehr zu tun haben. Alles ist am Kapital orientiert, wird verschult. Das sind ganz einfach neoliberale Projekte, die umgesetzt werden. In der Öffentlichkeit ist das aber kaum diskutiert und erklärt worden. Es sind nicht mehr die Menschen als Menschen gefragt sondern das "Humankapital".

Die Wissenschaft steht aber auch ohne die neoliberalen Reformen in der Krise. Das lässt sich an den Klima- und Naturkatastrophen ablesen, die ja auch durch die Wissenschaft verursacht sind. Der Fortschritt kommt ja letztendlich aus den Universitäten. Es werden eben auch die zerstörerischen Folgen von Wissenschaft mittlerweile sichtbar. Es steht deshalb eine Revolutionierung der Wissenschaft an.

derStandard.at: Können das die Universitäten selbst bewerkstelligen? Oder ist man auf die Politik angewiesen?

Von Werlhof: Von der Politik braucht man sich nichts erwarten. Das kann nur von unten kommen: von den Lehrenden, den Studierenden und der Bevölkerung. Wir werden sehen, was in ein paar Jahren los ist, wenn Hungerkatastrophen ausbrechen, weil die Böden von der Chemie und die Pflanzen von der Gentechnik kaputt sind. Es kommt ja einiges auf uns zu, dann wird man schreien nach einer anderen Wissenschaft. Das ist erst der Anfang, es werden noch viele andere Bewegungen folgen.

derStandard.at: Wie kann eine Revolutionierung der Wissenschaft funktionieren?

Von Werlhof: Es muss erst einmal untersucht werden, was alles falsch gelaufen ist. Von den offiziellen Institutionen wird das nicht gefördert werden, die wollen davon gar nichts wissen. Da sind dann andere Kräfte gefragt, etwa Leute rund um den alternativen Nobelpreis. Diese Revolutionierung kann man aber nicht am Geld fest machen. Es muss ein geistiges Umdenken geben, das kostet nichts.

derStandard.at: Mittlerweile scheinen sich die BesetzerInnen in verschiedene Lager gespalten zu haben. Einige wollen wieder besetzen, andere geben sich mit Kompromissen zufrieden. Könnte das dazu beitragen, dass diese Bewegung in Vergessenheit gerät und scheitert?

von Werlhof: Warum scheitern? Diese Bewegung hat ihre Aufgaben, die objektiv da sind, ja noch gar nicht wirklich entdeckt. Es gibt immer Leute, die nur mehr Geld und Erleichterungen für sich selbst wollen. Daneben aber auch welche, die die Inhalte, die gelehrt werden, kritisieren. Bis hin zu denen, die überhaupt etwas ganz anderes fordern. Da tun sich natürlich Klüfte auf.
Die Praxis dieser Bewegung war anfangs toll. Sie haben egalitäre Verhältnisse geschaffen. Nur dann haben die Beeinflussungsversuche von oben begonnen, um die Studierenden zu zermürben. Das Rektorat hat Leute geschickt, sie haben Angebote gemacht und die Bewegung gespalten.

Hier in Innsbruck hat der Rektor den BesetzerInnen zwei Räume angeboten, die gar nicht existieren. Das eine ist eine Baustelle und das anderen ein Durchgang zwischen den Liften. Das sind betrügerische Unternehmungen gewesen um die Leute aus dem Saal zu kriegen. Ich habe mich persönlich mit dem Rektor angelegt, weil ich das unglaublich fand.

derStandard.at: Sie glauben nicht an eine Resignation von Seiten der protestierenden Studierenden?

Von Werlhof: Die Studierenden haben sehr erfolgreiche Erfahrungen gemacht. Es waren ja über 60 Universitäten besetzt in Europa und Übersee. Das hat sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Man kann also sicher nicht sagen, dass das eine erfolglose Bewegung war. Die Frage, was jetzt kommt, steht im Raum. Aber dass nichts kommt, damit braucht niemand zu rechnen. Es gibt auf jeden Fall eine Fortsetzung, die Bedingungen sind ja dieselben geblieben.

derStandard.at: Was kann man aus diesem Protest lernen?

Von Werlhof: Viele Leute haben angefangen zu kapieren, dass sie in einer misslichen Lage sind. Sie haben es aber auch geschafft alternative Organisationsformen mit großer Selbstverständlichkeit zu praktizieren, die eigentlich nicht in diese Gesellschaft gehören – nämlich konsequente Basisdemokratie. Das gibt Selbstvertrauen. Diese Leute haben unheimlich viel gelernt in diesem Prozess und werden das ihr ganzes Leben lang nicht vergessen.

Die Studierenden haben auch gelernt, dass sie den Politikern vollkommen egal sind. Der Widerstand von oben ist beinhart, alle neoliberalen Projekte werden durchgezogen. Von allen Politikern, da rückt keiner einen Millimeter zurück, weil Konzerne dahinter stehen. Das ist eine neue Situation, die es früher nicht gab. Diese Einsicht unter den Protestierenden hat natürlich auch die Folge, dass das politische System immer mehr in Misskredit gerät. Sie merken, dass sie nicht in einer Demokratie leben. Das ist ja das, was sie unter anderem so aufregt.

Die Uni war früher zumindest teilweise demokratisch. Der Uni-Rat, heute, ist eine völlig absurde Institution. Dort sitzen Leute aus der Ökonomie und Politik, die darüber entscheiden, was an der Uni passiert. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass Leute in solche Sitzungen gehen und den Uni-Rat auffordern, seine Arbeit niederzulegen. (Teresa Eder, derStandard.at, 11. 01. 2010)