Fixpunkt einmal pro Woche: Das gemeinsame Frühstück

Foto: ÖJAB/Christian Stipkovits

Mobiliar und Haustiere erwünscht: Willie Eppel hat ihre Bibliothek mitgebracht

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Im Gemeinschaftsraum mischen sich die Stile

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In der Küche wird öfters gemeinsam gekocht

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"Ich habe viel zu wenig Zeit. Am liebsten hätte ich einen Rucksack mit Düsenantrieb, der mich schnell von Ort zu Ort bringt", erzählt die 64-jährige Irene Opletal. Sie ist erst vor ein paar Monaten nach Wien gezogen und nutzt jetzt intensiv das kulturelle Angebot der Hauptstadt. Opletal ist eine Bewohnerin der ÖJAB-Generationen-Wohngemeinschaft in der Hanauskagasse im zwölften Wiener Gemeindebezirk, die Ende November eröffnet wurde. Studierende und Senioren, die aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr alleine wohnen können oder wollen, leben gemeinsam auf 545 Quadratmetern. In den vergangenen Jahren stieg der Bedarf an alternativen Wohnformen abseits von Alten- und Pflegeheimen. Die Idee Ältere und Junge in einer WG zu mischen, wird auf diese Weise erstmals in Österreich umgesetzt.

Im Gemeinschaftsraum reihen sich neue-gemusterte und altmodisch-braune Sofas aneinander, dazwischen baumelt eine Hängematte. Eigenes Mobiliar und Haustiere dürfen behalten werden und so mischen sich die Stile zu einem farbenfrohen Ganzen. Die ehemalige Buchhändlerin Willie Eppel hat ihre Bibliothek und ein Klavier mitgebracht. Vier Gänge gehen sternförmig vom Hauptraum weg, jeder Gang hat ein eigenes barrierefreies Badezimmer inklusive Toiletten. Damit sich die unterschiedlichen Lebensrhythmen nicht überschneiden, leben Senioren und Studierende in getrennten Gängen. In der großen Küche sitzen einige Bewohner bei dem wöchentlichen, gemeinsamen Frühstück zusammen. Öfters wird auch gemeinsam gekocht und gegessen, berichten die WG-Bewohner.

Seniorengespräche statt googeln

Dabei entwickeln sich längere Gespräche mit Irene Opletal und Willie Eppel. "Ich glaube, die Jungen profitieren davon, einmal mit jemandem zu reden, der dabei war und nicht nur das Internet zu befragen", sagt Eppel. "Ich finde besonders spannend, dass hier nicht nur verschiedene Generationen, sondern Menschen aus unterschiedlichen Ländern wie Bulgarien, Slowenien oder Togo zusammen wohnen", sagt Psychologiestudentien Eva Flenning.

Senioren zahlen für ihren rund 20 Quadratmeter großen Raum inklusive Alltagsbetreuung und Reinigung 435 Euro. Doppelzimmer kosten pro Kopf 265 Euro. Platz bietet die WG für 19 Personen, einige Zimmer sind noch frei. Die jungen Leute können sich das Geld für die Miete wieder verdienen, indem sie von sieben Uhr Abends bis sieben Uhr Früh Bereitschaftsdienst leisten. "Dabei handelt es sich aber nicht um pflegerische Leistungen, sondern mehr um Handgriffe wie ein Glas Wasser holen", betont Daniela Mahel, die Leiterin des Projekts der österreichischen Jungarbeiterbewegung (ÖJAB). Die jungen Bewohner sind verpflichtet, Fortbildungen in Erster Hilfe und Kommunikation mit älteren und an Demenz erkrankten Menschen (Validation) zu besuchen. Für die Senioren ist die Teilnahme freiwillig.

"Es ist mehr wie zu Hause, als in einem Studentenheim", sagt Kunstgeschichtestudentin Zana. "Die Nachfrage von Seiten der Studierenden ist größer. Bei Senioren ist es meist ein längerer Prozess, bis die Entscheidung getroffen wird, einen Lebensabschnitt zu beenden und die alte Wohnung aufzugeben", sagt Mahel. So wie Eppel, die noch nicht ganz in die WG eingezogen ist: "Die Bücher und mein Klavier sind schon hier, aber meinen Kleinkram habe ich noch in meiner alten Wohnung. Ich muss 147 Stufen steigen, mal schauen, wie lange ich das noch schaffe."

Falls sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert, können individuell Lösungen gefunden werden. Wer mehr Hilfe benötigt, kann ein zusätzliches Angebot buchen. Die Pflege kostet zwar extra, wird aber vom Fonds Soziales Wien gefördert. Fünf Gehminuten entfernt, in der Dörflerstraße 14, liegt der Stützpunkt der Hauskrankenpflege der ÖJAB. Ebenfalls in der Nähe liegt ein Altenheim, die Infrastruktur und Angebote wie Seniorenclubs oder Ausflüge können auch von den WG-Bewohnern genutzt werden. "Es sollen nicht alle über einen Kamm geschoren werden und die Selbständigkeit der Senioren so lange wie möglich gefördert werden", erklärt Mahel.

Alternativen zum Altenheim

Vier Fünftel des Tages verbringen Senioren in den eigenen vier Wänden. Den endgültigen Schritt in ein Altenheim lehnen viele dennoch ab, da sie sich körperlich und geistig noch fit fühlen. Einsamkeit und Isolation können die Folge sein. Daher sind in den vergangenen Jahren alternative, selbstbestimmte Wohnmöglichkeiten entstanden. Bei betreutem Wohnen schließen Senioren je nach Bedarf Verträge für hauswirtschaftliche oder pflegerische Dienstleistungen ab. Bei "Gemeinschaftlichem Wohnen" geht der Kontakt zwischen den älteren Menschen über nachbarschaftlichen Kontakt hinaus. Und schließlich gibt es die Senioren-WG, in der alte Menschen zusammen wohnen. Für Demenzkranke werden therapeutische Wohngemeinschaften angeboten, die sich durch eine speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Architektur, Raumgestaltung und professionelle Unterstützung auszeichnen.

Tägliche Begegnung

Die WG in Meidling ist aus der Generationenarbeit der ÖJAB entstanden. "Wir haben gelernt, dass familiäre Strukturen nur entstehen, wenn es tägliche Begegnungen zwischen den Generation gibt. Eine Familie macht nicht die Anzahl der Mitglieder oder das Geschlecht aus, sondern die Generationen", sagt Christian Rab, der Initiator und stellvertretender ÖJAB-Geschäftsführer ist. Von der Kollegenschaft kommt bereits Anerkennung für das Projekt, im November wurde es mit dem "Österreichischen Pflege- und Betreuungspreis 2009" der Volkshilfe ausgezeichnet. (jus, derStandard.at, Jänner 2010)