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Harald zur Hausen (73), deutscher Virologe, erhielt 2008 den Nobelpreis für Medizin. Er entdeckte die Typen HPV 16 und HPV18 des humanen Papillomvirus als Verursacher von Gebärmutterhalskrebs. Seit Jahresbeginn ist Zur Hausen Präsident der Deutschen Krebshilfe. 

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Standard: Die Influenza-A(H1N1)-Viren haben nicht nur eine Grippe-Pandemie ausgelöst, sondern auch erbitterte Diskussionen über Sinn und Unsinn von Impfaktionen. Macht es Sinn, so breit gegen Viren anzukämpfen?

Zur Hausen: Ja, das macht Sinn. Und zwar nicht nur, um sich selbst gegen die entsprechende Infektion zu schützen, sondern auch die Gemeinschaft. Wenn wir eine Impfrate von 50 bis 60 Prozent erreichen, wird sich die Influenza weniger epidemieartig ausbreiten können. Bei einer Reihe von Impfungen haben wir auch die Chance, die Erreger auszurotten. In Amerika sind etwa die Erreger von Masern, Mumps, Röteln und Kinderlähmung ausgerottet, bei uns leider noch nicht. In Deutschland traten noch vor zwei Jahren tödliche Masernfälle auf. Das ist traurig.

Standard: Baut man durch die breite Durchimpfung nicht Resistenzen auf?

Zur Hausen: Durch die Impfungen in der Regel nicht. Bei der Influenza bilden sich jedoch rasch Varianten der Erregertypen, die dann resistent sind. Da muss man das Spektrum eben erweitern, das ist ein kontinuierlicher Prozess. Bei den Papillomviren und Hepatitis-B-Viren ist das Risiko der Varianten minimal, die Mutationsrate ist extrem gering. Deshalb sind sie gut durch Impfungen zu erfassen. Anders ist das bei den Hepatitis-C-Viren, da ist die Mutationsrate sehr hoch, deshalb konnte bis heute kein wirksamer Impfstoff entwickelt werden.

Standard: Sie haben entdeckt, dass Gebärmutterhalskrebs durch die Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV) ausgelöst wird. Am Nutzen der HPV-Impfung wird aber gezweifelt. Wissenschafter forderten in einem Manifest die Neubewertung der Wirksamkeit.

Zur Hausen: Es wurde mit Argumenten gearbeitet, die nicht korrekt waren. Man hat die falschen Gruppen analysiert, nämlich jene, die schon sexuell aktiv waren. Die HPV-Impfung verhindert Infektionen und damit die Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs, wenn junge Menschen vor Beginn ihrer sexuellen Aktivitäten geimpft werden. Es ist für die Frauen extrem wichtig, dass die Vorstufen verhindert werden können. In Deutschland müssen pro Jahr 150.000 Eingriffe aufgrund von Krebsvorstufen und Gebärmutterhalskrebs durchgeführt werden, die man vermeiden könnte. Durch die mediale Diskussion hat man die Bevölkerung völlig unnötig verunsichert. Die Impfrate ist von 38 auf 33 Prozent gesunken. Das ist in meinen Augen eine Katastrophe. Mädchen, die nicht geimpft werden, haben ein höheres Risiko, später zu erkranken.

Standard: Ihrer Meinung nach sollen sich ja nicht nur Mädchen, sondern auch Buben impfen lassen, weil sie Überträger sind. Wie optimistisch schätzen Sie die Solidarität der jungen Männer ein?

Zur Hausen: Ich glaube, die Solidarität der Mütter ist fast wichtiger, denn sie müssen ihre Söhne überzeugen, dass so eine Impfung wichtig ist. Es bedarf auch der Aufklärungsarbeit durch Ärzte und Gesundheitsberater in den Schulen. Ich würde auch dafür plädieren, dass die Krankenkassen die Impfungen der jungen Männer bezahlen.

Standard: Sie verwenden gerne den Begriff "Schutzimpfung gegen Krebs", wollen Sie damit provozieren?

Zur Hausen: Nein. Viele empfinden den Begriff Krebsimpfung aber als Provokation, weil beim Gebärmutterhalskrebs noch nicht nachgewiesen werden konnte, dass eine Krebserkrankung durch die Impfung verhindert wurde. Sehr wohl aber die Vorstufen, die Voraussetzung für die Entstehung dieses Krebses sind. Insofern gehen wir davon aus, dass die Impfung auch eine Schutzimpfung gegen den Gebärmutterhalskrebs sein wird. Bei der Hepatitis-B-Impfung können wir heute schon sagen, dass sie Krebs verhindert. In Taiwan zum Beispiel werden die Kinder seit 20 Jahren geimpft. Eine Studie ergab, dass 70 Prozent weniger Leberkrebs entwickelten.

Standard: Glauben Sie, dass man bald auch noch bei anderen Krebsarten Viren als Verursacher entdecken wird?

Zur Hausen: Ich sehe es als meine Lebensaufgabe an, auch weitere Krebserkrankungen daraufhin abzuklopfen, ob sie zumindest durch Infektion verursacht sind. Wir haben ein neues Programm entwickelt, das sich mit der Fragestellung beschäftigt, ob bei Dickdarmkrebs, Pankreaskrebs, praemenopausalem Brustkrebs oder Lungenkrebs von Nichtrauchern - Krebserkrankungen, bei denen Ernährungsfaktoren wie der Verzehr von rotem Fleisch eine große Rolle spielen - auch infektiöse Faktoren beteiligt sind.

Standard: Welche Kriterien muss der Impfstoff der Zukunft erfüllen?

Zur Hausen: Er muss vor allem in den Ländern, in denen die Krebserkrankungen besonders häufig auftreten, erschwinglich sein. Die HPV-Impfung etwa ist im Augenblick viel zu teuer. Impfstoffe müssen hitzestabil sein, sollen keine Kühlketten erfordern und nicht als Spritze verabreicht werden müssen, weil gerade in tropischen Ländern die Wiederverwendung der Spritzen nicht verhindert werden kann.

Standard: Was braucht die Krebsforschung?

Zur Hausen: Wir brauchen noch sehr, sehr viel Grundlagenforschung. Denn bei vielen der Krebsformen verstehen wir noch nicht die wirklichen Ursachen und damit auch nicht die Mechanismen, über die sie den Krebs auslösen. (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 11.1.2010)