Keine Heldengeschichte, "sondern eine, wie sie das Leben spielt": Andreas Tobias und Florian Stettner als Brüder Messner.


Drama im Gepäck: Joseph Vilsmaiers "Nanga Parbat" - ab 15. 1. im Kino

Wien - Die Besteigung des 8125 Meter hohen Nanga Parbat durch Reinhold und Günther Messner 1970 wurde nicht nur vom Tod des jüngeren Bruders überschattet, sondern in der Folge auch von Rechtsstreitigkeiten mit anderen Expeditionsteilnehmern: Diese warfen Messner vor, seinen Bruder nach der gemeinsamen Durchsteigung der Rupal-Flanke, der höchsten Steilwand der Welt, auf dem Gipfel im Stich gelassen zu haben.

 

Als der Berg schließlich 2005 die Überreste von Günther freigab und damit Reinholds Version stützte, trat dieser an Regisseur Joseph Vilsmaier (Stalingrad, Comedian Harmonists) heran, um die Ereignisse für die Leinwand zu adaptieren - wohl auch, um so einen Schlussstrich zu ziehen.

 

Vilsmaier konzentriert sich auf Rivalitäten: auf die kameradschaftliche zwischen den Brüdern (Andreas Tobias, Florian Stettner) und auf jene mit Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer (Karl Markovics), der der Messner'schen Freigeistigkeit nur Nazirhetorik und Knickerbocker-Mentalität entgegensetzen kann. Körperliche und technische Herausforderungen treten ebenso in den Hintergrund wie der Nanga Parbat: Das wahre Drama nehmen die Menschen hier mit auf den Berg - und zurück in die Zivilisation. (pek)

Foto: Thimfilm

Standard: Die Besteigung des Nanga Parbat, bei der Ihr jüngerer Bruder Günther ums Leben gekommen ist, liegt mittlerweile 40 Jahre zurück. Warum sind Sie jetzt an Joseph Vilsmaier herangetreten, um das Drama als Film zu erzählen?

Messner: Die Ereignisse habe ich schon damals im Buch Die rote Rakete dokumentiert, das ich aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen durfte. Darin wechsle ich öfter die Erzählperspektive, weil ich auf dem Nanga Parbat das Gefühl hatte, zugleich Akteur und Zuschauer zu sein. Das war eine außerkörperliche Erfahrung, die für mich eigentlich nur als Film erzählbar war. Der Untertitel des Buchs heißt auch Drehbuch zu einem Film, der nie gezeigt werden kann.

Standard: Ist die Verfilmung also eine nochmalige Aufarbeitung und späte Hinterfragung?

Messner: Ich hatte kein Interesse, eine Heldengeschichte zu erzählen. Mein Bruder und ich hatten uns aus eigener Schuld in eine Zwangslage manövriert, aus der wir nicht mehr auskamen. Das ist Tatsache. Ob unsere Entscheidung richtig war oder falsch, spielt aber keine Rolle. Diese Geschichte ist Teil meines Lebens und so nahe wie möglich an den Tatsachen erzählt.

Standard: Der Film endet mit einem Foto von Ihnen, als Sie Jahre später noch einmal allein auf dem Gipfel waren. Eine Art Echtheitszertifikat auch für den Film?

Messner: Aus der 1970er-Expedition haben wir keine Bilder gerettet, die sind mit dem Bruder verschwunden. Für mich ist ein Gipfelfoto aber völlig unwichtig. Natürlich war die Bezwingung der großen Berge ursprünglich ohne Foto nicht beweisbar: Auch Hermann Buhl konnte seine Erstbesteigung des Nanga Parbat 1953 nur anhand seines einzigen Fotos beweisen. Ich habe selbst davon gelebt, dass ich Bilder gemacht, Vorträge gehalten habe. Heute ist mir das Fotografieren auf dem Berg mit diesen kleinen Kameras peinlich geworden. Außerdem spielt es keine Rolle mehr, ob ich irgendwo oben war oder nicht.

Standard: Der vom Heldentum geprägte deutsche Bergfilm der 30er-Jahre lebte stark von Mythos und Melodram. War Ihnen Distanz zu bestimmten Traditionen wichtig?

Messner: Der klassische Bergfilm war fürchterlich. Die Filme von Fanck, deren Ästhetik Riefenstahl und Trenker übernahmen, haben das politische System verinnerlicht - und waren damit unglaublich erfolgreich. Damit ist der Bergfilm später in Misskredit geraten. Und die gleichen Autoren - bis auf Riefenstahl, die nicht mehr auf die Beine kam - haben dann nach dem Krieg Heimatfilme geschrieben, die im Grunde noch viel schlimmer waren.

Standard: Dafür erliegt der moderne Bergfilm der Faszination für die Natur, der Held wird zum Abenteurer und Aussteiger.

Messner: Aber noch niemand hat einen Film geschaffen, der auf dem Berg spielt und das entsprechende Selbstverständnis beim Zuschauer auslöst. Auch der Dokumentarfilm Am Limit über die Huber-Brüder, der Sportklettern als Höchstleistung präsentiert, wirkt in diesem Punkt verkrampft. Nordwand über die Tragödie auf dem Eiger hat sich zu Recht an der Ästhetik der 30er-Jahre orientiert und ist bis auf das verunglückte Ende immerhin ein guter Ansatz. Aber Filme wie Vertical Limit oder Cliffhanger waren einfach nur fürchterlich.

Standard: Wie kann man sich also distanzieren?

Messner: Etwa durch die Musik. Nicht mit Wagner, sondern mit einem Filmkomponisten wie dem Argentinier Gustavo Santaolalla. Außerdem durch die Dialoge selbst: Dadurch dass unser Expeditionsleiter Herrligkoffer mit seiner Haltung aus der Zwischenkriegszeit auf den Geist der 68er prallt, hatten wir die Möglichkeit, das Pathos zu konterkarieren.

Standard: Herrligkoffer spricht ganz im Duktus eines Soldaten von Sieg und Schlacht. Hier wird eine "alte" gegen eine "neue" Schule in Opposition gebracht, sowohl rhetorisch als auch alpinistisch.

Messner: Herrligkoffer spricht immer von der Gemeinschaftsleistung. Eine kriegerische Haltung. Er steigt ja auch für seinen auf dem Nanga Parbat verstorbenen Bruder, Willy Merkl, hoch. Er hat auch 1953 über Buhls Erstbesteigung immer im Plural geschrieben, worauf Buhl ergänzt hat: "Immer wenn er ‚wir‘ schreibt, war er ab und zu in der Nähe. Wenn er ‚ich‘ sagt, war er nie dabei."

Standard: Eine besondere Funktion im Film nimmt der Pfarrer im Südtiroler Heimatdorf ein, der bedeutsam über Kain als "Hüter seines Bruders" predigt.

Messner: Wir haben nach Diskussionen die calvinistische Bußhaltung wieder abgeschwächt. Aber der Pfarrer hat vermittelnde Funktion. Und diese Dorfgeschichten kann Vilsmaier recht gut erzählen: Wie funktioniert eine Gemeinde in den Bergen? Zum kirchlichen Hintergrund habe ich weniger Zugang. Bei uns sind alle in die Kirche gegangen bis auf meinen Urgroßvater. Der konnte angeblich zwölf Liter Wein trinken, bis er besoffen war, und ging nie in die Messe. Er hat seinen Hof verloren, sonst wäre ich nicht Bergsteiger, sondern Bauer geworden.

(Michael Pekler,  DER STANDARD/Printausgabe, 09./10.01.2010)