Der Fall Natascha Kampusch ging und geht nicht nur Kriminalisten und Ermittler an - sondern auch alle Menschen, die sich für Fragen des Schutzes von Verbrechensopfern interessieren. Hier stellt sich die Frage, ob es jetzt, nach dem am Freitag präsentierten Bericht, wonach es nur einen Täter gab, auch mit den Angriffen auf Kampusch in der Öffentlichkeit endlich ein Ende haben wird. Die Antwort darauf geht über den Anlassfall hinaus, von dem viele schon nichts mehr hören können: angesichts dessen, was alles verbreitet wird, durchaus verständlich.

Man nehme etwa die zuletzt öffentlich angestellten Spekulationen, Kampusch sei nach drei Fluchtversuchen freiwillig zu ihrem Entführer Wolfgang Priklopil zurückgekehrt. Irgendeiner Wahrheitsfindung hat dieses Gerücht sicher nicht gedient. Vielmehr wird jeder, der nur ein wenig psychologisches Verständnis hat - und erst recht Personen, die sich mit den Folgen von Traumatisierung und den Umständen beschäftigen, die diese wiederaufleben lassen - solche Mutmaßungen als unbotmäßige Einmischung erkennen. Als Angriff auf die Glaubwürdigkeit eines Verbrechensopfers.

Genau um eine solche "Schuldumkehr" bei Ermittlungen und Strafverfahren zu verhindern, wurden den vergangenen Jahrzehnten Regeln wie das Recht auf schonende Vernehmung, auf Prozessbegleitung, auf Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht usw. eingeführt. Die Frauenbewegung und fortschrittliche Kriminologen hatten sie lang gefordert. Leitender Gedanke dabei: Opfer von sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung und anderen aus Machtgier begangenen Verbrechen sollen nicht zum zweiten Mal Opfer werden.

Für Kampusch gilt das offenbar nicht. Seit ihre Entführung in Österreich von Behörden und Kommissionen "aufgearbeitet" wird, steht ihre Glaubwürdigkeit vielmehr zur freien Verfügung. Ein Gerücht hier, ein Geschreibsel dort - dass sie, ursprünglich schlecht beraten, Teile ihrer Geschichte öffentlich erzählt hat, wird gegen sie verwendet. So als hätte sie damit zugestimmt, öffentlich vorgeführt zu werden. So ist eine Stimmung, eine Situation entstanden, in der für das Opfer eines perfiden Verbrechens die Opferrechte außer Kraft gesetzt worden sind. Und über mögliche politische Verantwortlichkeiten redet keiner mehr. (Irene.Brickner@derStandard.at)