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Schwarz auf Weiß: Ukrainische Offizielle präsentieren die neuen Stimmzettel für die Präsidentschaftswahl.

Foto: Reuters

Kiew/Moskau - Die Feier zum fünften Jahrestag der Orangen Revolution in der Ukraine hat es mehr als deutlich gezeigt: Die Revolution ist vorbei, ihre Protagonisten sind heillos zerstritten. So lud Präsident Wiktor Juschtschenko seine ehemalige Weggefährtin Julia Timoschenko zum „Tag der Freiheit" ins Ukrainische Haus am Kiewer Europaplatz nicht nur nicht ein, sondern nutzte auch die Gelegenheit, ihre Regierungsarbeit scharf zu kritisieren.

Gegenseitige Vorwürfe, Beleidigungen und Blockaden stehen seit 2005, als es zum Bruch zwischen Juschtschenko und Timoschenko kam, auf der Tagesordnung. Dreimal wurden die Ukrainer seither zu den Urnen gerufen, fünf Regierungen wurden gebildet.

Die politische Instabilität ist laut Politologen nicht nur auf das Machtstreben der handelnden Personen zurückzuführen, sondern auch auf die in den Nachwehen der Orangen Revolution eilig zusammengeschusterten Verfassungsänderungen. Als Folge sind die Kompetenzen zwischen Präsident, Regierung und Parlament nicht klar abgegrenzt.

Die Hoffnung ist daher groß, dass die am 17. Jänner stattfindende Präsidentenwahl eine Stabilisierung der politischen Lage bringt und ein Verfassungsprozess angestoßen wird. Derzeit liegt laut der Dezember-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts FOM Wiktor Janukowitsch, Chef der Partei der Regionen und großer Verlierer der Orangen Revolution, mit 29 Prozent in Führung. Regierungschefin Timoschenko folgt mit 14 Prozent. Um den dritten Platz kämpfen Exnationalbankpräsident Sergej Tigipko (sechs Prozent), der frühere Außenminister und Parlamentssprecher Ar_senij Jazenjuk (sechs Prozent) und - weit abgeschlagen - Jusch_tschenko selbst (vier Prozent).

Eine Stichwahl zwischen Janukowitsch, der im Süden und Osten seine Wahlbasis hat, und Timoschenko, die im Westen und im Zentrum populär ist, am 7. Februar gilt als so gut wie sicher. Umfragen sehen Janukowitsch als Gewinner eines zweiten Wahlgangs. Politologen verweisen aber auf die Mobilisierungsfähigkeiten von Timoschenko. Eine große Bedeutung wird den noch Unentschlossenen, rund 20 Prozent, sowie der Positionierung der übrigen Kandidaten, zukommen.

Keineswegs sicher ist nach Ansicht ukrainischer Politologen, dass nach der Wahl auch tatsächlich Ruhe einkehren werde. Laut Anton Finko vom Zentrum für Politik- und Konfliktforschung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die verlierende Seite das Wahlergebnis nicht anerkennen wird. Wladimir Fesenko, Direktor des Penta-Zentrums, ist der Meinung, dass Timoschenko im Fall einer Niederlage alles Mögliche unternehmen werde, um sich an der Macht zu halten.
Unabhängig vom Wahlausgang zeichnet sich ein Trend zum pragmatischeren Umgang mit dem großen Nachbarn Russland ab. Sowohl Janukowitsch als auch Timoschenko stehen für eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau - ohne jedoch die europäische Perspektive aus den Augen verlieren zu wollen. Experten des Internationalen Zentrums für Politikstudien in Kiew sehen daher schon die Rückkehr der „Multivektorenpolitik" aus den Zeiten von Präsident Leonid Kutschma.

„Die Ukraine könnte ein Land mit einer Brückenfunktion zwischen Russland und Europa sein", sagte Dieter Segert, Professor für Transformationsprozesse am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Konfliktlösend könnte eine stärkere Dezentralisierung des Landes wirken, die den verschiedenen regionalen Identitäten mehr entgegenkommt. (DER STANDARD Printausgabe, 11.1.2010)