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Das Raumlaborberlin unterzog die ehemalige Waschkaue der Zeche Zollverein einem Reinigungsprozess - mit der beeindruckenden Installation "Soap Opera".

Foto: AP

"Daisy" erbarmte sich: Der Schneesturm fegte doch nicht mit der befürchteten Stärke über Nordrhein-Westfalen. Und so konnte am Wochenende bei zwar eisiger Kälte, aber ohne größere Probleme die behauptete „Metropole Ruhr" als Europäische Kulturhauptstadt eröffnet werden. Als Schauplatz für das Spektakel hatte man die Zeche Zollverein in Essen ausgewählt: Dieses riesige Areal mit bizarren Industrieanlagen und Maschinen, seit 2001 Unesco-Weltkulturerbe, ist zweifellos das herausragende Symbol für den erstaunlichen Wandel, den der Ruhrpott in den letzten 30 Jahren vollzog beziehungsweise vollziehen musste.

Denn mit der Gewinnung von Kohle unter Tag - viele Schächte reichen bis zu 1,2 Kilometer tief in die Erde - war man bereits in den späten 1970er-Jahren nicht mehr konkurrenzfähig: Am 23. Dezember 1986 wurde als letzte der Essener Gruben die Zeche Zollverein stillgelegt. Sie gilt aufgrund der 1932 im Bauhaus-Stil von Fritz Schupp und Martin Kremmer errichteten Zentralschachtanlage XII mit dem mächtigen Doppelbockgerüst als das schönste der Industriedenkmäler.

Der Verkauf der Maschinen nach China konnte verhindert werden: Zusammen mit Rem Koolhaas entwickelte man einen Masterplan für das Gelände, das ein mit Leben erfüllter Stadtteil werden soll. Der niederländische Architekt warnte davor, in den Bestand einzugreifen: Er empfahl, neue Gebäude nur rundherum zu errichten. Und so geschah es.

Das Kesselhaus zum Beispiel wurde 1996 von Norman Foster in das red dot design museum umgestaltet: Die alten Maschinen bilden die Podeste für die mit Liebe zum Detail eingepassten, mit einem roten Punkt ausgezeichneten Objekte der Warenwelt. Im Salzlager installierten Ilya und Emilia Kabakov ihren Palast der Projekte, und in der ehemaligen Waschkaue, im 19. Jahrhundert errichtet, zog das choreografische Zentrum Nordrhein-Westfalen, Pact, eine dem Tanzquartier Wien vergleichbare Institution, ein.

Das mit Abstand mächtigste Gebäude, die Kohlenwäsche, hätte bereits vor drei Jahren eröffnet werden sollen: als identitätsstiftendes Ruhr Museum. Denn das Revier, mit 5,3 Millionen Einwohnern das fünftgrößte Ballungsgebiet Europas, ist weder ein einheitlicher Naturraum noch eine historisch oder politisch gewachsene Region, sondern ein wirtschaftsgeografisches Konstrukt mit 53 Städten und den in den Rhein fließenden Flüssen Lippe, Emscher und Ruhr.

Koolhaas selbst entwarf die minimalen, umso effektvolleren Zeichen, die allerdings aus Kostengründen nur zum Teil umgesetzt wurden. Er hielt sich an die Funktion der Maschine, die nicht, wie man meinen könnte, eine „Kohlenwäscherei", sondern eine Art Raffinerie war: Sie trennte das Fördergut in Kohle und Gestein.

Besucher werden einer ähnlichen Prozedur der Veredelung unterzogen: Über ein langes „Förderband" (sprich: Rolltreppe) gelangen sie auf die 24-Meter-Ebene, und von dort aus erwandern sie die monströse Maschine hinunter bis zur Sechs-Meter-Ebene.

Raffiniert ist nicht nur das orange Treppenhaus mit dem beleuchteten Handlauf: Die Dauerausstellung präsentiert sich als ein auf wesentliche Exponate verdichtetes Universalmuseum des Ruhrgebiets - und zugleich als „Berg der Erinnerungen" mit einer Vielzahl von Alltagsgegenständen, die den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, von der Schwerindustrie zur Kreativwirtschaft sichtbar machen.

Hymne von Grönemeyer

Auf diesem respekteinflößenden Gelände fand am Samstag die Eröffnung statt. Zu Beginn, während des Festaktes vor der monströsen Kokerei, wo Kohle zu Koks gebrannt wurde, schneite es noch heftig. Die Studenten der Folkwang-Hochschule boten dennoch eine mitreißende, Stomp-artige Show. Auch sie thematisierte den Wandel. Als Höhepunkt sang Herbert Grönemeyer, sozialisiert in Bochum, seine neue, recht bombastische Ruhr-Hymne. Im Gegensatz zu Kraftwerk, die sich ihren Jingle für die Expo 2000 in Hannover teuer bezahlen ließen, nahm Grönemeyer kein Geld. Und auch wenn manche Zeile von Komm zur Ruhr schwülstig ausgefallen ist („Wo ein Wort ohne Worte zählt, dir das Herz in die Arme fällt"): Grönemeyer sang den Menschen, die den Festakt auf Großbildleinwänden verfolgten, aus der Seele.

Danach spazierte man durch den farbig erleuchteten Abenteuerspielplatz aus einer versunkenen Welt. Die ehemalige Waschkaue tauchte das Raumlaborberlin in Seifenschaum (aus Luftballons): Gerade das „nicht nachhaltige Kunstwerk" Soap Opera bleibt nachhaltig in Erinnerung. Und vielerorts wurde trailerartig das Programm der nächsten Monate vorgestellt: Ein mächtiger gelber Heliumballon verwies auf die Installation Schachtzeichen im Mai, wenn insgesamt 350 ehemalige Gruben derart markiert werden. Im Pact wurde das Projekt Odyssee Europa mit sechs Uraufführungen (darunter etwa Odysseus, Verbrecher von Christoph Ransmayr) vorgestellt, René Pollesch zeigte den zweiten Teil seiner Ruhrtrilogie (der dritte folgt im Sommer), und Lutz Förster, der an der Folkwang-Hochschule lehrt, erzählte berührend aus seinem Leben.

Dass der verspätete Silvesterpfad mit einem gewaltigen Feuerwerk endete - das war klar. Die zusätzlichen Laserstrahlen hätte es aber nicht gebraucht. (Thomas Trenkler aus Essen, DER STANDARD/Printausgabe, 11.01.2010)