Wien - Man muss sich das Leben der Wiener Philharmoniker als ausgesprochen wechselhaft vorstellen. Wie die einzelnen Musiker das Hin und Her zwischen unterschiedlichsten Projekten in Oper, Konzert und diversen Kammermusikgruppierungen bewältigen, ist schon rätselhaft genug.

Es wäre eine andere Frage, wie der kollektive Organismus des Orchesterganzen funktioniert, der sich ja anschickt, zwischen den engmaschigen Dienstplänen regelmäßig für Höhepunkte im Veranstaltungskalender zu sorgen. Auch im ersten Abonnementkonzert nach dem Neujahrskonzert im Musikverein demonstrierten die Philharmoniker ihre fast schlafwandlerische Routine im homogenen Zusammenspiel.

In der "Pastorale"-Falle

Jenseits dieser vom Orchester an den Tag gelegten Souveränität hängt eine höhere Form des Gelingens von der Schlüssigkeit des Ganzen ab. Und da vermittelte Dirigent Daniel Barenboim bei Beethovens 6. Symphonie kaum mehr als harmlose Gefälligkeit. Dort, wo der Komponist großflächig malt, fordert er auch deutliche Akzentuierungen und exakte Spannungsverläufe, die Barenboim allerdings meist schuldig blieb - und in die "Pastorale"-Falle geriet.

Über weite Strecken regierte somit gepflegte Langeweile oder Beliebigkeit. Und dies trotz mancher Eigeninitiative aus dem Orchester mit zum Teil grandiosen Konturen, zumal verabsäumt wurde, solche Ansätze im Stimmengeflecht sinnvoll weiterzutragen.

Verschwenderische Farben

Auch bei zwei Werken Schönbergs schienen es vor allem die Orchestermitglieder zu sein, die Leidenschaft einbrachten - obwohl Barenboim hier alles, beeindruckenderweise ohne Noten, weitgehend pannenfrei organisierte.

Dass dabei manches Detail, zum Beispiel irreguläre Rhythmen in den Variationen op.31, unklar blieb, fiel allerdings kaum ins Gewicht. Denn die Wiener fanden mit Schwung und verschwenderischem Klangreichtum zu einem schwelgerischen Musizieren, das all jene Lügen strafte, die Schönberg spröd finden. Auch noch dort, wo es laut Partitur dünn und fahl klingen soll, herrschte stattdessen - ebenso wie in den hochexpressiv gespielten 5 Orchesterstücken op. 16 - der pure Luxus. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 11.01.2010)