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Ein gefallener König (Michael Maertens), noch im Kerker unantastbar.

 


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Gemischte Reaktionen erntete Claus Peymanns Richard II.-Inszenierung bereits aus Anlass ihrer Berliner Premiere am BE 2000. So schrieb Rolf Michaelis in Die Zeit Nr.28. vom 6.7.2000: "Thomas Braschs schnoddrige Übersetzung mit erfrischend aktuellen Anspielungen auf die Ganovenmanipulationen des Herrn Kohl und seiner 'Freunde' (...) geben dem Stück eine bös realistische Grundlage, die dauerhafter sein dürfte als die seltsam brave Inszenierung, die neben Michael Maertens keinen Schauspieler zur Erscheinung, geschweige denn zum Strahlen bringt." Urs Jenny hingegen sah Peymann nach einem Jahr "mühsamsten Strampelns" am BE "groß herausgekommen" (Der Spiegel, 3.7.2000): "Peymanns umsichtige Sicherheit darin, eine solche Historie szenisch anschaulich zu erzählen, setzt sich durch."

Foto: Prammer/Reuters

Wien - Das Aas verwest bereits auf offener Burgtheater-Bühne: Der königliche Gloster liegt unter einer Plane, Fliegen umsummen die Leiche. Ganz am Schluss wird Shakespeares Richard II. am nämlichen Ort zu Staub zerfallen: ein Bürgerkönig (Michael Maertens) im Knitterleinen, der seinen Hof mit sprunghaften Manieren und kieksenden Anklagen in Atem gehalten hat.

Der zweite Richard ragt wie ein frommes Relikt in die Sphäre moderner Machtpolitik herüber: Als vor Gott Gesalbter wäre er gerne gottbegnadet. Nur erweist er sich leider als schwach, desorganisiert und erst im tiefen Fall von tadelloser Statur. Aber in Claus Peymanns aus Berlin übernommener, frisch justierter und vielfach neu besetzter Inszenierung spürt man wenig Interesse an den Fragestellungen alter Staatsrechtslehren. Vor einem mit Platten ausgelegten Klinikum (Bühne: Achim Freyer) ist einer dem anderen ein Wolf - vor allem aber ein Hanswurst.

Richards Höflinge, unter ihnen betuliche Onkel, an den Beinen bandagierte Tanten, sind Weißclowns. Man muss rekapitulieren: Peymann brachte die Premiere von Richard II. vor zehn Jahren am Berliner Ensemble heraus. Die Inszenierung oszillierte bereits damals heftig zwischen zwei miteinander unvereinbaren Bewusstseinslagen: Sie hetzt Brecht-Typen mit steifen Hüten und Barbierschüsseln aufeinander.

Sie amüsiert sich königlich über die Schlächtergesinnung unaufgeklärter, opportunistischer Spieß- und Henkergesellen. Zugleich aber vermag sie sich den Sturz von der hohen Klippe - die Erhabenheit eines (zugegeben schwachen) Königs wird in den Dreck gezerrt - nur als bürgerlichen Betriebsunfall vorzustellen.

Maertens, um beim Ereignis dieser doch arg stadttheaterhaften Unternehmung zu bleiben, ist liebenswürdig nervenschwach. Ein Streit unter Gefolgsleuten enthüllt das Blut, das ihm als Mörder seines Onkels an den Fingern klebt. Der König spielt Billard. Er meckert beim geringsten Anflug von Stress los und lässt sofort die Schultern hängen. Über seine gezackte Messingkrone freut er sich wie über einen Zylinder - Einwände aus den Reihen der lauernden Verwandtschaft wischt er weg wie ein Kanzleileiter: "Och, Onkel ...!"

Gegen den kahlen, nach Sätzen schnappenden Bolingbroke im Advokatenanzug (Veit Schubert) ist diese freundliche Memme von Anfang an chancenlos. Sein Weibchen, die Königin (Dorothee Hartinger), fällt beim leisesten Anhauch von Gegenwind in Ohnmacht.

Bürgerlicher Atem

In dieser fahlen Politlandschaft weht nicht der Pesthauch des Verhängnisses, sondern der Atem bürgerlicher Geschäftemacherei. Peymann übersetzt sich seinen Shakespeare in einen Vulgär-Brecht: Selten hat man in einem Richard II. so sehr gelacht wie in dieser Slapstick-Unternehmung, die Übersetzer Thomas Brasch mit Gags und Kalauern bestückt hat. Bolingbroke kehrt aus dem Exil mit einem Grüppchen Trommelschläger heim - ein storchbeiniger Northumberland (Klaus Pohl) geht ihm beim Machterwerb zur Hand.

Der eine Onkel Richards stirbt nach heftigen Verwünschungen in seinem Rollstuhl (Martin Schwab), der andere, ein wahrer Berg von einem Hausvater (Manfred Karge), wechselt säuselnd und trippelnd die Fronten. Er sticht zu schlechter Letzt dem alten, abgesetzten König ins gequälte Herz.

Maertens aber bleibt der Atlas dieser noch so jungen Ära Hartmann. In seinen besten Momenten scheint er die Sätze aus der Luft zu pflücken: Dann halten, wie er in seinem intensiven Kerkermonolog auf Knien feststellt, auch wirklich Seele und Gehirn Hochzeit, um lauter schöne, gleißende Gedanken hervorzubringen.

Das Wiener Publikum jubelte seinem Alt-Alt-Direktor herzlich zu: Der Beifall konnte nicht allein dieser Inszenierung gegolten haben, deren Ideologiekritik deutlich gestrig war und ist. Er schien vielmehr einer Ära zugedacht, die in der Erinnerung mehr und mehr verklärt erscheint. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 11.01.2010)