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Fühlt sich auch Homer Simpson in seinen Freiheitsrechten bedroht? Wir wissen es nicht. Das Bild zeigt ein Sicherheitsorgan beim Probe-Scannen auf dem Airport von Manchester.

Foto: Reuters/Noble

Unter den vielen Meldungen, die dem gescheiterten Anschlag des nigerianischen "Unterhosenbombers" auf eine Passagiermaschine in Detroit folgten, sticht eine als besonders amüsant hervor: Die jetzt allgemein geforderte Einführung von Nacktscannern könnte sich in Großbritannien empfindlich verzögern. Und zwar, weil die Scanner gegen das britische Kinderpornographiegesetz verstoßen würden, das jegliche "Abbildungen" nackter Kinder kategorisch verbietet. Man könnte dies gut als Kurzschluss zweier gesellschaftlicher Paniken charakterisieren: einerseits die Panik, wir könnten jederzeit einem Terroranschlag zum Opfer fallen; andererseits die allgegenwärtige Sorge, böswillige Perverse könnten den lieben Kleinen etwas zuleide tun. Beide Gefahren haben in den vergangenen zehn Jahren für Schlagzeilen, Einschaltquoten und leise Hysterie gesorgt. Jetzt fährt gewissermaßen die eine Panik der anderen in die Parade.

Aber bei dieser anekdotischen Heiterkeit bleibt es dann auch schon. Schließlich ist fraglich, ob die Geschäftigkeit und das Stakkato an Forderungen nach neuen Sicherheitsmaßnahmen, die jedem - gelungenen oder gescheiterten - Anschlag folgen, wirklich als "Panikreaktionen" zu charakterisieren sind. Denn die Überbietungsstrategien von Medien und Politikern, die immer und erwartungsgemäß noch mehr Gesetze, die Einführung von noch besseren Technologien fordern, gehen doch ganz augenscheinlich an der Stimmung der Bevölkerung vorbei. Wo genau ist eigentlich die Panik? Wer steigt denn bibbernd ins Flugzeug? Wer fühlt sich wirklich unsicher, wenn er einen Bahnhof betritt? Wer bettelt denn darum, den Sicherheitsbehörden alle Bürgerrechte auszuliefern, vermeintlicher Sicherheit wegen?

Die große Aufregung ist jedenfalls nirgendwo zu konstatieren - eher eine bemerkenswerte Gelassenheit. Und das ist längst ein wiederkehrendes Muster. Schon als 2005 Anschläge auf die Londoner U-Bahn, die "Tube", 50 Menschen töteten, war von der "heroischen Gelassenheit" der Briten die Rede. Da schleppten sich die Überlebenden aus den U-Bahn-Schächten, schnippten sich die Asche von den Schultern, gingen ins nächste Starbucks und sagten druckreif in die TV-Kameras: "Damit haben wir doch täglich gerechnet."

Nicht, dass westliche Gesellschaften nicht erregbar und hysterisierbar wären. Die Kulturalisierung und Religionisierung von Konflikten, wie sie in den vergangenen Jahren Einzug gehalten hat, trägt tatsächlich oft paranoide Züge - die Angstlust, dass "uns" die Moslems "überschwemmen", dass "wir" und "der Islam" einfach nicht zusammenpassen und "wir" in Europa, der Migration wegen, "von Moslems umzingelt" sind, diese Politpathologie hat sich bis in den gesellschaftlichen Mainstream hineingefressen. Aber eine Terrorhysterie gibt es nicht.

Auch wenn auf jeden Attentatsversuch neue, oft erratische Sicherheitsmaßnahmen folgen: Dem "Schuhbomber" verdanken wir, dass wir uns am Flughafen die Schuhe ausziehen müssen, dem Versuch, mit nachträglich gepanschten Explosivstoffen ein Flugzeug zu sprengen, verdanken wir die Unbequemlichkeit, uns Rasierwasser und Abschminkmilch jetzt am Reiseziel besorgen zu müssen. Ein wenig lästig ist das. Aber eine Bedrohung unserer liberalen Freiheitsrechte? Naja.

Logik des Ressentiments

Im Grunde liegen die Dinge auf der Hand und die Bürger scheinen dafür ein vernünftiges Verständnis zu haben: Hundertprozentige Sicherheit ist - auch mit ausgeklügeltster Technik - nicht zu haben. Also ist man bereit, das kleine Risiko, das bleibt, zu tragen.

Ha, sagen da einige gelernte Linke, daran sehe man, dass die neuen Sicherheitsmaßnahmen nur der inneren Aufrüstung dienen, kleine Schritte zur totalitären Kontrolle aller seien, aber gegen terroristische Anschläge gar nichts bringen. - Gewiss ist es immer eine Abwägungsfrage, ob solche Maßnahmen nicht zu sehr in unser aller Privatsphäre eingreifen. Aber es bleibt doch ein schaler Geschmack, wenn diese Abwägungsfragen zu Glaubensfragen hochstilisiert werden. Beispiel "Nacktscanner": Warum sollte gerade ein Körperscanner meine Privatsphäre unerträglich beeinträchtigen? Es ist ja grotesk: Oft sind es die selben Leute, die sich im Supermarkt eine Kundenkarte aufschwätzen lassen oder bei Amazon ihre Bücher bestellen und damit großen Unternehmen ihre Konsumvorlieben frei Haus liefern, die die Vorstellung empört, ein Flughafenbeamter könnte ihnen unter die Wäsche schauen und ihre Intimpiercings sehen.

Womöglich ist das eine Geschmacksfrage, aber es lassen sich gute Grunde anführen, dass die klassische Gepäckskontrolle inklusive der Begutachtung ungewaschener Socken entwürdigender ist.

Zu diesen diskursiven Fragwürdigkeiten zählt auch die Häme, die nach den Pannen um den "Unterhosenbomber" nun den Geheimdiensten und anderen Sicherheitsbehörden entgegenschlägt. Einerseits wird angemerkt, dass die geringe Zahl der versuchten Terrorattacken die Sammelwut an Daten nicht rechtfertige, ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, dass es vielleicht durchaus auch die Erfolge der Sicherheitsbehörden sind, die Terrorpläne schon im Vorfeld vereiteln. Andererseits wird die Panne, dass Abdulmutallab trotz aller Warnungen durch alle Kontrollen schlüpfen konnte, als Beweis dafür genommen, dass die Sicherheitsdienste sich in ihren Datenkonvoluten hoffnungslos verheddern. - Da ist gewiss etwas dran: Wenn man tausende Hinweise sammelt, Millionen E-Mails scannt, hunderttausende Telefonate auf verdächtige Catch-Phrasen abhört, dann weiß man zwar theoretisch viel, aber praktisch bleibt dieses Wissen unter einem Datenfriedhof begraben. Nur wirkt es etwas bizarr, wenn dieses Argument just von jenen vorgebracht wird, die stets etwas alarmistisch vor einem "Überwachungsstaat" warnen. Denn wenn man sich vor der Kontrollleidenschaft undemokratischer Sicherheitsdienste fürchtet, dann ist das doch eine gute Nachricht, dass diese ihre Datenmengen nicht mehr zu beherrschen vermögen.

Man darf sich also schon fragen, ob die Rede vom "Überwachungsstaat" nicht eine Prise wahnhafter ist als der beklagte "Sicherheitswahn" selbst. Wenn es Tendenzen in Richtung Überwachungsgesellschaft gibt, dann sind die Einfallstore eher die flächendeckende Videoüberwachung und das Datentrading großer Firmen. Aber dass sich die Bürger aus Terrorpanik in die Arme einer globalen Megastasi werfen - diese These braucht schon den Humus der Paranoia.

Vielleicht fügt sie sich aber auch nur bestens in ein Weltbild des Ressentiments, das in sich nicht einmal besonders stimmig sein muss: Dass Sicherheitsdienste dumm und inkompetent sind; dass sie uns umfassend kontrollieren; dass "der Westen" grundsätzlich kopflos auf islamistische Terroristen reagiere; selbst die steile These, dass Obama auch nichts anderes als Bush täte, fügt sich blendend in dieses selbstgestrickte Bescheidwissen, das sich aus der Realität nur immer die Mosaiksteine rauspickt, die das Ressentiment scheinbar bestätigen. (Robert Misik/DER STANDARD-Printausgabe, 12.1.2010)