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Mapuche in Temuco. Seit den 1990ern wird der Konflikt größer.

Foto: epa/Ian Salas

Temuco - "15.000 Pesos zum Ersten, Zweiten und Dritten. Verkauft." Die Kälber werden aus dem Auktionskorral getrieben, durch den eiskalten Regen, der typisch ist für den Winter im Süden Chiles. Drei Stunden verfolgt Jorge Luchsinger von einem Strohballen aus die Auktion seines Hab und Guts. Als das letzte Kalb das Gehege verlässt, hat er feuchte Augen.

Es ist das Ende seiner Familiengeschichte, die vor mehr als 100 Jahren im Süden Chiles begann. Luchsingers Milchviehbetrieb wird in Kürze einer Gruppe Mapuche-Indígenas übergeben. Seine Tiere und Maschinen werden versteigert. "So war das nicht geplant, man hat mich erpresst" , sagt der Nachfahr von Schweizer Einwanderern. Es ist der Schlusspunkt eines Dramas, das vor zehn Jahren mit Landbesetzungen, Brandstiftung, Überfällen, Diebstahl und getöteten Ureinwohnern begann. "Ich bin hier aufgewachsen, im Hof steckt die Arbeit meiner Großeltern, meiner Eltern und von mir" , sagt Luchsinger.

Einen Kilometer Luftlinie entfernt sitzt Reina Lleuful an einem abgewetzten Holztisch in einer Holzhütte und weint. Ihr Mann und ihr Sohn sind seit einer Woche in der Provinzhauptstadt Temuco in Haft, draußen verfaulen 4000 Erdbeerpflanzen, die gesetzt werden müssen. Die 45-jährige Mapuchefrau hat ein Geschwür am Bein und schafft kaum die Hausarbeit. "Ohne meinen Mann bleibt die Arbeit auf dem Feld liegen" , seufzt die Mutter dreier Kinder. "Wenn wir keine Früchte verkaufen, haben wir keine Einnahmen."

José und sein Sohn Ignacio sind als Terroristen angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, im Juni einen Reisebus mit Graffiti der radikalen Mapucheorganisation CAM beschmiert, Fenster eingeschlagen und Passagiere bedroht zu haben. Der 45-jährige José ist ein "líder" : einer, der die Gemeinde organisiert. Sein Sohn Ignacio ist Mechaniker. "Wir gehen von der Unschuld der beiden aus" , sagt Juan Jorge Faundes vom kirchlich unterstützten Instituto Indígena. "Ignacio hat sich nie politisch betätigt, und sein Vater hat sich stets gegen Gewalt ausgesprochen und mit Landbesitzern verhandelt."

Der Landkonflikt im Süden Chiles ist so alt wie die Conquista. Die Mapuche widerstanden 50 Jahre lang den spanischen Eroberern, bis diese ihnen 1641 die Ländereien südlich des Bio-Bio-Flusses zugestanden. Doch mit der Unabhängigkeit Chiles endete der Pakt. 1866 beschloss der chilenische Kongress, alle Ländereien, deren Besitz die Mapuche nicht nachweisen könnten, seien fortan Staatsland. Als Chile 1883 den Salpeterkrieg gegen Bolivien und Peru gewann, wurden die Soldaten mit Landtiteln im Süden belohnt.

Gleichzeitig wurde die Einwanderung aus Europa gefördert. Die Mapuche wurden immer mehr abgedrängt und assimiliert. Von den rund 900.000 leben heute mehr als 60 Prozent in Städten, wo sie als Hausmädchen oder Bauarbeiter tätig sind. Viele kämpfen als Kleinbauern ums Überleben. Der Konflikt schaukelte sich Ende der 90er hoch, als die Mapuche begannen, sich zu organisieren.

Es kam zu Vandalenakten, im Gegenzug wurde das Antiterror-gesetz, das noch aus der Zeit der Militärdiktatur von Augusto Pinochet stammt, wiederbelebt. Delikte wie Brandstiftung und Landnahme können dadurch doppelt so hoch bestraft werden. Knapp 30 Mapuche oder Sympathisanten wurden seither verurteilt oder angeklagt. Menschenrechtsorganisationen und die Uno haben wiederholt die Anwendung der Antiterrorgesetze und die exzessive Gewalt der Polizei im Zusammenhang mit dem Mapuche-Konflikt verurteilt. Auch aus Österreich kommt Unterstützung: Priester des Missionshauses St. Gabriel in Mödling kümmern sich um ihre Anliegen.

Korrupte Indígenabehörde

Die Indígenabehörde Conadi sollte eigentlich Land von Privaten kaufen und den Indígenas übergeben. Es kam zu Korruption und Konflikten innerhalb der Behörde, in der zahlreiche Indígenas saßen. Conadi existiert zwar noch, befindet sich aber seit Wochen im Streik, steht kurz vor der Auflösung und antwortete nicht auf die Anfragen des Standard .

Der radikale Mapucheflügel hat Autonomieforderungen gestellt, ähnlich wie sie im Nachbarland Bolivien seit kurzem gelten. Luchsinger prophezeit daher, sein Fall sei "erst der Anfang eines Flächenbrandes, der den ganzen Süden Chiles erfassen wird". (Sandra Weiss/DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2010)