Wenn Kroatien je einen ausgeglichenen Präsidenten gebraucht hat, dann jetzt", pflegt Ivo Josipovic den Kritikern zu antworten, die ihm Mangel an Temperament vorwerfen. Tatsächlich hat der nüchterne Professor für Strafprozessrecht nichts vom Idealbild des liebenswerten, manchmal kapriziösen Patriarchen, dem noch sein Vorgänger Stipe Mesic nahekam. Mit seiner Frau Tatjana, heute Professorin für Immobilienrecht, hat der Vater einer 18-jährigen Tochter seine Karriere partnerschaftlich organisiert. Ernst, bescheiden, präzise, konzentriert und frei von Machtgehabe wirkt er im Gespräch.
Kein Zug zur Macht charakterisiert auch die Laufbahn des künftigen kroatischen Präsidenten, eher ein Drang, alles zu wissen, alles vorbildlich hinzukriegen und sich nichts nachsagen zu lassen. Als guter Fußballer hätte der Bub mit den vielen Talenten auf die Sportschule gehen können. Er entschied sich aber für den Musikzweig des angesehenen Zagreber Ersten Gymnasiums. Nach der Matura schwankte er zwischen Physik und Jus, wählte Letzteres und studierte nebenher noch Komposition an der Musikakademie. "Wenn ich ein Mozart gewesen wäre", sagte er einmal, "hätte ich alles liegen lassen und nur noch komponiert." Seine universellen Interessen trugen ihm aber etliche gute Positionen ein: Neben seinem Lehrstuhl leitet er die Zagreber Musik-Biennale und schuf als Parlamentsabgeordneter ein neues Urheberrecht.
Kommunistisch erzogen, kam der Sohn eines Anwalts aus dem Küstendorf Baska Voda früh mit Politik in Kontakt: Schon zu Studienbeginn schloss er sich der Partei an und schrieb, als die KP sich 1990 sozialdemokratisierte, deren neue Satzung. In der Tudjman-Ära war die Zugehörigkeit zur Linken der Laufbahn nicht förderlich, und so trat er 1994 aus. Später kandidierte er als Unabhängiger auf der Liste der Sozialdemokratischen Partei, der er erst 2008 wieder beitrat.
Dass er sich im Duell um die Präsidentschaftskandidatur gegen Ex-Wirtschaftsminister Ljubo Jurcic durchsetzte, machte den bis dato kaum bekannten 52-Jährigen für seine Gegner zum Homunkulus des Parteichefs Zoran Milanovic, der ihn favorisierte. Aber dass er nun ein "ferngesteuerter Präsident" würde, wie sein Konkurrent meinte, ist nicht wahrscheinlich: Sein Leben ist der Beweis, dass man es im kleinen Kroatien auch ohne starke Netzwerke zu etwas bringen kann. (Norbert Mappes-Niedieck/DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2010)