Leipzig/Hamburg/Mainz - Die regierungsinternen Gespräche über ein deutsches Angebot zur Truppenaufstockung in Afghanistan sind laut einem Zeitungsbericht zum Stillstand gekommen. Alle Vorschläge zur Aufstockung und Erweiterung der Mandatsaufgaben für Afghanistan scheiterten derzeit am Widerstand des deutschen Vizekanzlers und Außenministers Guido Westerwelle (FDP), berichtete die "Leipziger Volkszeitung" am Dienstag unter Berufung auf einen Regierungsvertreter. Westerwelle habe es bereits bei zwei Gesprächsrunden des Afghanistan-Entscheidungskreises bei der Bundeskanzlerin abgelehnt, sein Ja zu einer Verstärkung der deutschen Kampfeinheiten in Afghanistan zu geben.

Zugleich werde nach einem Ausweg aus dieser Gesprächsblockade gesucht, schreibt die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Militärexperten der Bundeswehr erarbeiten demnach derzeit ein neues Ausbildungskonzept für afghanische Sicherheitskräfte. Geprüft werde, wie Ausbildungsfähigkeiten der Bundeswehr mit Kampffähigkeiten der Sicherheitskräfte in Afghanistan in Verbindung zu bringen seien. Als denkbar gilt laut Zeit ein bisher von der Bundeswehr nicht praktiziertes Prinzip, wonach die Ausbildung im konkreten Einsatz außerhalb der Kasernengelände erfolgen könne. Dies soll auch die Grundlage der weiteren Feldjäger-Arbeit in Afghanistan sein.

Afghanistan-Konferenz

Am 28. Jänner findet in London eine internationale Afghanistan-Konferenz statt. Die USA drängen ihre Verbündeten und damit auch Deutschland, dabei weitere Soldaten zuzusagen.

Die derzeitige Mandatsobergrenze liegt bei 4500 Soldaten. Bislang sind 4300 Bundeswehrsoldaten am Hindukusch im Einsatz. Zudem hat Deutschland mit rund 100 Ausbildern die Führung bei der Polizistenausbildung. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte gesagt, er werde in London mit konkreten Zahlen zur Aufstockung der deutschen Truppen aufwarten, gegebenenfalls aber auch US-Erwartungen enttäuschen: "Die immer mal wieder genannte Zahl von 2500 zusätzlichen Soldaten ist nicht realistisch", sagte Guttenberg Anfang Jänner gegenüber der "Leipziger Volkszeitung". Der deutsche Grundsatz laute: "Eine sichere Zukunft für Afghanistan ist nicht allein militärisch zu gewinnen".

Der Verteidigungsminister betonte, er lasse sich bei den Truppenplanungen weder von seinen Ministerkollegen aus der NATO noch von den USA-Wünschen unter Druck setzen: "Ich bin niemand, der sich einen Gruppenzwang unterwirft. Zu meiner Meinungsbildung brauche ich auch keine Vorgabe aus den USA", sagte der CSU-Politiker in dem Interview.

Deutschland: Mehr internationale Sicherheitskräfte

Wie die Financial Times Deutschland Anfang Jänner berichtet, wolle Deutschland auf der Afghanistankonferenz den internationalen Partnern vorschlagen, mehr afghanische Sicherheitskräfte zu qualifizieren als bisher geplant. Auf diese Weise wolle man den USA entgegenkommen, die von der Bundesregierung die Entsendung weiterer Soldaten erwarten, heißt es laut FT unter Berufung auf Regierungskreise weiter.

Deutschland hält demnach eine Stärke von insgesamt 110.000 Polizisten für sinnvoll. Das seien 30.000 afghanische Polizisten zusätzlich. An ihrer Ausbildung wolle man sich beteiligen.

Kritik der obersten Protestantin

Unterdessen hält die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, an ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz auch nach ihrem Treffen mit Verteidigungsminister  Guttenberg fest. Sie sagte am Montagabend im "heute journal" des ZDF: "Für mich hat sich die Einstellung nicht geändert, weil wir seit 2007 als evangelische Kirche ganz klar sagen, es kann nicht um einen gerechten Krieg gehen, sondern um einen gerechten Frieden." Die Kriterien müssten ganz klar sein, dass das Militärische nur dazu dienen könne, den zivilen Aufbau zu stärken, betonte die Bischöfin von Hannover und Vertreterin von fast 25 Millionen Protestanten. "Und wir haben die große Sorge, dass das Zivile dabei in den Hintergrund tritt."

Minister Guttenberg hatte Käßmann am Montag zu einem Truppenbesuch in Afghanistan noch im ersten Quartal 2010 eingeladen. (red, APA, derStandard.at, 12.1.2010)