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Unfreiwilliger Morgensport: Der Kampf um einen Platz in der überfüllten U-Bahn.

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Wieviele Menschen passen eigentlich in eine U-Bahn? Ach ja, einer geht schon noch. Im morgendlichen Berufsverkehr auf der Fahrt durch die Wiener U-Bahn-Schächte kann man nicht nur das Gruseln lernen, sondern auch viel Wissenswertes erfahren. Besonders g'schmackig wird's, wenn der Lautsprecher am Bahnsteig ein technisches Gebrechen verkündet und die wartende Menschenmasse im Sekundentempo anwächst - und mit ihr die Nervosität.

 

Jeder Neuankömmling wird zum potenziellen Konkurrenten im dichten Geschiebe und Gedränge. Trippelschrittartig, häufig verbunden mit überraschenden Sidesteps, versuchen sich die Wartenden an die vorderste Front zu schieben - bis zur gelben Linie, bis endlich der Zug einfährt. Das Gefecht ist eröffnet, sobald die Türen aufgehen, und Passagiere herausquellen oder sich herausquälen. Ein gewaltiger Kraftakt, weichen doch weder die „wir-wollen-rein-Stürmer", noch die „wir-bleiben-drin-Kämpfer" einen Schritt zur Seite. Ellbogen, mannsgroße Rucksäcke und metallverstärkte Handtaschen erweisen sich dabei als nützliche Grundausstattung für eine U-Bahn-Fahrt. Wer kann, versucht es mit einem Fahrrad, das spürt keinen Schmerz, erfüllt aber durch seine Form den Zweck eines Rammbocks. Wer es schließlich hineinschafft - und das ist ein ungeschriebenes Gesetz - rührt sich statuengleich nicht mehr von der Stelle.

Drinnen, ein Bild des Elends: Menschen, gezwungenermaßen in bedenklicher Schräglage, Körperteile, die an fremden Körperteilen kleben, Gesichtsausdrücke, die jene missbilligen, die es gewagt haben, auch einzusteigen, ein stiller, wenn auch mitunter frecher Kampf um die Haltegriffe. Das „Zug fääääat ab" ist gleichzeitig das Signal zur Rückkehr in den Alltag. Handys werden gezückt („Du, Schatzi, ich bin in der U-Bahn"), erste Pizzaschnitten ausgepackt, Zeitungen in Position gebracht. Parfum- und Schweißwolken entfalten sich - moderne Mittel der Revierverteidigung eben.

Mit etwas Glück hat man ganz vorne einen U-Bahn-Fahrer an Bord, der die Lage in den Innenräumen entweder unterschätzt oder ein Sadist ist und bei der nächsten Station statt eines sanften Ausrollens eine quasi Notbremsung einlegt. Spätestens dann bricht der Suderant aus dem Wiener hervor und aus den Konkurrenten wird ein kollektiver Jammerhaufen, kostet doch die Höllenfahrt 1,80 Euro. (Sigrid Schamall)